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Marco Wanderwitz: "Die Mitte ist schwächer"

Rede in der Aktuelle Stunde zu den Auswirkungen der Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es macht Sinn, sich zu Beginn der Debatte noch mal das Wahlergebnis vom Oktober anzuschauen:

(Tino Chrupalla [AfD]: Sehr gerne!)

In Thüringen hat damals die Linkspartei 31 Prozent bekommen, die AfD 23 Prozent.

(Tino Chrupalla [AfD]: Und die CDU?)

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik haben damit die politischen Ränder eine Mehrheit der Wählerstimmen erhalten,

(Tino Chrupalla [AfD]: Das ist der Wählerwille! Das nennt man so! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Was für ein Quatsch! Wieso „Ränder“?)

anders als beispielsweise in Brandenburg und in Sachsen wenige Wochen zuvor. Es macht schon Sinn, dass auch ich noch einmal darauf hinweise

(Zurufe von der AfD und der LINKEN)

– wenn Sie von beiden Seiten laut schreien, scheine ich ja nicht so falsch zu liegen –:

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

In Brandenburg haben wir es mit der Höcke-AfD,

(Zuruf von der FDP: In Thüringen!)

also dem extremsten Teil dieser rechtsradikalen Partei, zu tun.

Die Wochen vergingen. Es wurde gesprochen, es wurde übereinander gesprochen. Eine Mehrheit für einen Ministerpräsidentenkandidaten, eine Ministerpräsidentenkandidatin hat sich nicht abgezeichnet. Gleichwohl ging der amtierende Ministerpräsident in eine Ministerpräsidentenwahl. Das ist zumindest gewagt.

(Stephan Brandner [AfD]: Wie sind Sie eigentlich auf Twitter zu erreichen?)

– Zu Ihnen komme ich gern, Herr Brandner. Sie gehören ja auch zum Höcke-Flügel Ihrer Partei. – Die AfD wählte im dritten Wahlgang den von ihr selbst aufgestellten Kandidaten nicht. Keine einzige Stimme hat er bekommen. Sie haben das Ziel gehabt, mit dieser Wahl die Demokratie verächtlich zu machen. Das ist Ihnen leider gelungen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der AfD)

Herr Kemmerich ist dann mit der Annahme der Wahl in diese Falle getappt. Ich danke Kollege Lindner ausdrücklich für die heute nochmals erfolgte Einordnung. Vielen Dank dafür! Natürlich hätte Herr Kemmerich diese Wahl nie annehmen dürfen; denn Demokraten dürfen sich nicht von Rechtsradikalen abhängig machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zurück zum Wahlergebnis. Leider sehen wir seit geraumer Zeit, dass sich die Wahlergebnisse in den alten Ländern und den neuen Ländern nach wie vor, teilweise mehr als je zuvor, erheblich unterscheiden. Die Mitte ist schwächer. Die wirtschaftliche Lage in den neuen Ländern hat sich beispielsweise im Verhältnis zu den 90er-Jahren wesentlich verbessert. Die Mitte, die regierungstragenden Parteien, profitieren davon aber nicht. Warum? Auch nach 30 Jahren ist die Demokratie, sind demokratische Prozesse und demokratische Wirkmechanismen weniger verinnerlicht, werden teilweise offen abgelehnt und diskreditiert.

(Tino Chrupalla [AfD]: Was für ein Unsinn!)

Die fehlende Unterscheidung – auch Kollegin Kaiser hat das hier angesprochen – zwischen einer demokratisch gewählten und einer demokratischen Partei ist leider weit verbreitet.

(Tino Chrupalla [AfD]: Das bestimmen Sie! Das ist klar!- Gegenruf des Abg. Marian Wendt [CDU/CSU]: Nein, der Verfassungsschutz! – Gegenruf des Abg. Tino Chrupalla [AfD]: Auch der nicht!)

Die mangelnde Akzeptanz von Minderheitenrechten, Kompromissfindungen, Mehrheitsentscheidungen – die Demokratie tragende Elemente – ist leider an der Tagesordnung. Der europäische Gedanke, von dem kein anderes Land mehr profitiert als die Bundesrepublik Deutschland, hat weniger Anhänger als in den alten Ländern. Die Extreme sind wählbarer, als das in den alten Ländern der Fall ist.

Zur AfD hat Katrin Göring-Eckardt hier das Nötige gesagt.

(Tino Chrupalla [AfD]: Schön, wie Sie sich dahinter verstecken!)

Ich möchte im Licht der Rede des Kollegen Korte gerne noch einmal darauf hinweisen, wer die Spinne im Netz der ehemaligen DDR war: Die staatstragende Partei, die einzige Partei, die etwas zu melden hatte, war die SED.

(Stephan Brandner [AfD]: Wie heute in Thüringen! – Zurufe von der LINKEN)

Es gibt viele aufrechte Christdemokratinnen und Christdemokraten, die Ihre Parteigenossen zum Beispiel in Hoheneck, in meinem Wahlkreis, als politische Gefangene eingesperrt haben.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit – Stichwort: die Extreme sind wählbarer – den Blick auf Ihre Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag, Frau Hennig-Wellsow, lenken. Sie ist Unterzeichnerin des Manifests der Antikapitalistischen Linken, vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft.

(Marian Wendt [CDU/CSU]: Ha!)

Die Extreme auf beiden Seiten sind leider in den neuen Ländern auch 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung wählbarer. Vor uns liegt also eine große Aufgabe, die wir weiterhin gemeinsam ausfüllen müssen.

(Tino Chrupalla [AfD]: Bla, bla, bla!)

Die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die Demokratie zu verteidigen, für sie zu werben – ich lade Sie alle in der Mitte dieses Hauses, die sich beteiligen möchten, herzlich gern dazu ein.

(Beifall bei der CDU/CSU – Beatrix von Storch [AfD]: Menschen als Abschaum bezeichnen, das ist Hass und Hetze erster Güte! Dafür stehen Sie!)