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Marc Henrichmann: Die Reduzierung der Wahlkreise ist nicht die einzige Lösung

Rede zur Wahlrechtsreform

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich glaube, ein Ziel eint uns alle: dass dieser Bundestag nicht ins Unermessliche wachsen darf. Ich darf das als Vorsitzender eines Kreisverbandes sagen, der schon vor Jahren gesagt hat, 630 wäre eine Zahl – das kann auch ein Deckel sein –, mit der man arbeiten könne. Wir merken es alle, wenn wir hier zur Abstimmung schreiten, dass es schon enorm eng wird.

Aber wenn hier propagiert wird, die Reduzierung oder die deutliche Kappung der Zahl der Wahlkreise sei die einzige Lösung, dann ist heute auch noch einmal deutlich geworden: Das ist sie nicht. Wir müssen sicherstellen, dass ein Deckel greift. Das geht auch und insbesondere über Überhang- und Ausgleichsmandate.

Es laufen hinter den Kulissen ernste Gespräche. Es muss eine Lösung gefunden werden. Wer dem Kollegen Heveling zugehört hat, der konnte, wenn er nicht nur krakeelt hat, zwischen den Zeilen heraushören, dass durchaus intensive Gespräche geführt werden und es hier und da auch Zugeständnisse zumindest geben kann.

Mit Blick auf diese Aktuelle Stunde bin ich mir nicht sicher, ob es Sinn macht, dieses Thema hier regelmäßig wieder hochzuziehen, oder ob es nicht besser wäre, diese intensiven Gespräche miteinander zu führen. Es bringt beispielsweise auch nichts, zu sagen: „Wir verlängern die Frist um drei Monate“, wie es die AfD tut. Ein konstruktiver Vorschlag auf dem Weg zur Reduzierung der Zahl der Sitze dieses Bundestages ist das auch nicht wirklich.

(Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Seitz [AfD]: Das schafft aber Gerechtigkeit!)

Wir haben im Jahr 2002 schon einmal eine Reduzierung der Zahl der Wahlkreise erlebt, damals von 328 auf 299. Ich durfte vor einiger Zeit in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs sein, wo sich Wahlkreise über drei Kreise erstrecken, also riesengroß sind. Seit 2002 ist die Zahl der Wahlkreise konstant. Was ist gewachsen? Das ist die Zahl der Listenmandate. Die Zahl von 410 Listenmandaten ist genannt worden, ebenso auch das Verhältnis der Mandate von 60 zu 40.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das macht uns zugegebenermaßen natürlich die Zustimmung schwer, mit dem Rasenmäher über die Zahl der Wahlkreise zu fahren. Es braucht eine Entscheidung, die die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt, aber auch Direkt- und Listenmandate wieder in ein vernünftiges Verhältnis bringt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht mir ausdrücklich nicht – das möchte ich betonen – um die Frage von Abgeordneten erster oder zweiter Klasse, sondern es geht um Bürgernähe und die zu bewältigende Distanz in den Wahlkreisen. Ich darf das einmal für mich sagen: Ich bin 2017 von etwas über der Hälfte der Wählerinnen und Wähler, die zur Wahl gegangen sind, gewählt worden. Diese Menschen aus 14 Städten und Gemeinden mit vielen Ortsteilen, Bauernschaften, Bahnhöfen, Fußgängerzonen haben mich hierhergeschickt.

Ich habe wie viele andere Mitbewerber damals um diese Stimmen gekämpft. Ich fahre von Nordwalde im Norden meines Wahlkreises bis Olfen im Süden ungefähr eine Stunde, 55 Kilometer.

(Benjamin Strasser [FDP]: Die Listenabgeordneten auch!)

Ich habe den Menschen versprochen, dass ich mich kümmere, dass ich da bin, dass ich zuhöre. Das nehme ich ernst – wie viele Kolleginnen und Kollegen auch.

(Benjamin Strasser [FDP]: Ja, wir auch!)

Im letzten Jahr hieß das für mich ungefähr 230 Wahlkreistermine, 6 800 Kilometer. Es ist der hohe Einsatz und die hohe Präsenz aller Kandidatinnen und Kandidaten, die sich zur Wahl gestellt haben, die uns damals eine Wahlbeteiligung von 81,3 Prozent und damit über dem Durchschnitt beschert haben. Ein Erststimmenergebnis von über 8 Prozentpunkten über meinem Zweitstimmenergebnis, dem meiner Partei, zeigt, dass Personeneinsatz und Präsenz hoffentlich auch honoriert werden.

(Benjamin Strasser [FDP]: Ich war 2 Prozent drüber!)

Wer die Axt an die Zahl der Wahlkreise legt, der trifft nicht nur die Wahlkreisabgeordneten, sondern auch die Listenbewerber. Ich weiß, dass ganz viele auf ihren Briefköpfen „Wahlkreisbewerber“ oder „Wahlkreisabgeordneter“ stehen haben. Sie bezeichnen sich ja zu Recht als Vertreter eines Wahlkreises. Auch die fahren demnächst nicht nur eine Stunde von Nord nach Süd oder vielleicht noch etwas länger, sondern anderthalb Stunden; Zeit, die eben durch weniger Präsenz aufgewogen wird, weniger Kümmern, weniger Bürgernähe, die wir so dringend brauchen.

Ich ziehe eine Parallele zur politischen Bildung. Wir sind uns alle einig, dass wir in diesen Zeiten über aufsuchende politische Bildung reden müssen, nämlich Bildung, die zu den Menschen kommt, die es nötig haben, statt einzufordern, dass die Menschen zur politischen Bildung kommen.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Scheinheiliger Unsinn!)

Genau das ist, ehrlich gesagt, eine Anforderung an die Menschen, die sich politisch engagieren, ob hauptamtlich oder ehrenamtlich: dass sie die Bürgernähe suchen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denken wir bei diesen Schritten bei aller Kompromissbereitschaft auch an die Perspektive der Menschen.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Ich sehe keine Kompromissbereitschaft bei Ihnen!)

Ich bin mir nämlich sicher, dass das, was hier drohend gesagt wird – nach dem Motto: wir sagen allen Leuten, wer hier blockiert –, nach einer Wahl umschlägt, wenn die Menschen merken, dass die Wahlkreise so riesengroß geworden sind, dass sie ihre Abgeordneten kaum mehr sehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen denken wir aus der Perspektive der Menschen: Nähe und Zuhören, das Vertrauen in Menschen wird gewählt und nicht das Vertrauen in Parteibuchstaben oder Listen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)