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Julia Klöckner: Wir brauchen keine Gießkannenpolitik

Rede in der Debatte zu gleichwertigen Lebensverhältnissen

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Damen und Herren Abgeordneten! Unser Land ist sehr vielfältig, sehr unterschiedlich, und das ist ein großer Schatz. Die einen ziehen es vor, im Osten zu leben; die anderen leben lieber im Westen, Norden oder Süden. Die einen ziehen es vor, im ländlichen Raum zu leben; die anderen leben lieber in einer Großstadt. Dass es diese Unterschiedlichkeit gibt, das ist schön, und das ist das Gegenteil von Eintönigkeit. Was aber nicht gut ist, was wir eben nicht bewahren oder nicht mehr vorantreiben sollten, ist, dass es Regionen gibt, die immer stärker abgehängt werden. Dazu gehören auch Ballungszentren, aber vor allen Dingen auch einige ländliche Räume. Dorf ist nicht gleich Dorf; das ist klar. Kraftzentren sind in den ländlichen Regionen.

Aber was mir auffällt, auch bei der Debatte hier bei uns in Berlin, ist, dass wir viele Debatten fast nur noch mit der Brille der Großstadt führen. Wir reden über Wohnraummangel, und meist sind die ländlichen Räume nur zweiter Sieger; denn Wohnraummangel in der Stadt hat einen anderen Namen im ländlichen Raum: Das ist der Leerstand. Mit Leerstand zurechtzukommen, ist etwas anders, als keine Wohnung zu finden in der Großstadt. Deshalb ist die Debatte darüber, wie wir über gleichwertige Lebensverhältnisse reden, eine Perspektivendebatte und auch eine Anwaltsdebatte. Ich sehe mich als Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und die ländlichen Räume als Anwältin für die ländlichen Regionen in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist wichtig, dass es keine Neiddebatte, keine Stadt-Land-Debatte ist. Ich will deutlich sagen, dass die ländlichen Räume eben nicht nur Kompensationsraum für Städter sind, nicht nur Rückzugsräume an den Wochenenden oder für nostalgische Vorstellungen sind. Die ländlichen Räume als Kraftzentren brauchen eine entsprechende Versorgung und Infrastruktur. Dafür müssen wir gezielt sorgen.

Wir haben einen Landatlas in meinem Ministerium. Damit haben wir den Überblick darüber, wie es in den ländlichen Regionen aussieht. Wir brauchen keine Gießkannenpolitik. Auch deshalb begrüße ich die Zusammenarbeit mit Franziska Giffey, Horst Seehofer und auch mit allen Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sowie den kommunalen Spitzenverbänden sehr; weil wir mit einer sehr dezidierten, spezifischen Blickweise die Einzelprobleme anschauen. Konkret: Wir reden in den ländlichen Räumen nicht über zu große Klassen. Wir reden darüber, dass Klassen zu klein sind und Schulen geschlossen werden. Wir reden auch nicht über schnellstes Internet. Wir sind mittlerweile schon dankbar, wenn wir überhaupt einen Anschluss haben. Deshalb sage ich Ihnen: Der ländliche Raum ist nicht der Zweite, der in den Blick genommen werden, sondern er muss gleichzeitig in den Blick genommen werden.

Ich will es für meinen Bereich – Ernährung und Landwirtschaft – konkret machen. Zum Beispiel beschäftigt uns die Frage: Wie können wir Start-ups, wie können wir im Bereich der Digitalisierung der Landwirtschaft das nutzen, was wir jetzt schon für die Attraktivität des Berufes, aber auch für politische Ziele erreichen können? Weniger Pflanzenschutzmittel und mehr Tierwohl, das geht mit Precision Farming, mit der Präzisionslandwirtschaft. Aber dazu brauche ich eine entsprechende Ausstattung. Deshalb darf es keine digitalen zwei Geschwindigkeiten in Deutschland geben. Deshalb müssen Frequenzversteigerungen nicht nur ergebnisorientiert, sondern auch versorgungsorientiert gestaltet werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ja, sehr wichtig! Machen!)

Und das sage ich ganz deutlich, auch bei allen Spezialrednern, die uns sagen: „Es kommt zu spät; es kommt zu langsam“: Glückwunsch! Dann erkennen Sie Deutschland nur als ein statisches Land. Vielleicht haben Sie wahrgenommen, dass sich Deutschland entwickelt hat, dass sich Regionen entwickelt haben? – Eine Bundesregierung, die glaubt, es sei ein für alle Mal geregelt, ob wir gleichwertige Lebensverhältnisse haben oder nicht haben werden, die ist nicht von dieser Welt. Wir sind aber von dieser Welt, und wir sind für Land und Stadt zuständig. Deshalb sage ich: Es wird eine Daueraufgabe bleiben. Ich werde deshalb Ehrenamt mit Hauptamt fördern; denn das ist der Kitt im ländlichen Raum, das macht die Seele der ländlichen Räume aus. Mit BULE, unserem Bundesprogramm für die ländlichen Räume, werden wir das fördern, was an neuen Ideen da ist, wie Leben gelingen kann.

Ich freue mich auf die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“. Wir sollten sie nicht mit zu hohen Erwartungen überfrachten. Es geht nicht nur darum, dass Altschulden getilgt werden. Es geht darum, wie wir aktivieren können, in den ländlichen Regionen so zu leben, wie man leben möchte. Mit dieser Bundesregierung und der ressortübergreifenden Zusammenarbeit kann der Grundstein gelegt werden, damit die kommende Generation sagt: Wir leben gerne hier.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)