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Ingmar Jung: Wir wollen die nationalen Schutzrechte gerade für kleinere Unternehmen erhalten

Rede zur europäischen Patentrechtsreform

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst die Gelegenheit nutzen, um noch auf einige Dinge einzugehen, die eben gesagt wurden und die man nicht so stehen lassen kann.

Sie haben zwar kurz den Begriff „Europäisches Patent“ genannt, Herr Kollege. Sie haben aber ein Stück weit den Eindruck vermittelt, als wollten wir, wie es auch in Ihrem Antrag steht, die Gerichtsbarkeit von Bund und Ländern hier aufheben.

Man muss deutlich sagen, dass das nicht der Fall ist. Das, was hier vereinbart werden soll und auch in dem Vertrag geregelt ist, ändert zumindest an allem, was wir an nationaler Gerichtsbarkeit, an nationalen Schutzrechten und an nationalen Schutzsystemen haben, erst einmal gar nichts. Das bleibt alles so bestehen, wie wir es jetzt haben.

Darüber hinaus bleibt auch bei den Europäischen Patenten, die über das Europäische Patentamt beantragt werden können und nach jetziger Rechtslage dann in sogenannte Bündelpatente zerfallen und nationalem Rechtsschutz in den einzelnen Mitgliedstaaten ausgesetzt sind, alles genau so bestehen, wie es nach jetziger Rechtslage ist.

(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: So sieht es aus!)

Der dritte Punkt ist die Änderung, um die es geht. Fakultativ soll die Möglichkeit bestehen, bei Patenten im europäischen Rahmen ein sogenanntes Einheitspatent zu haben, das dann Rechtsschutz gewährt, und zwar einheitlich in allen Mitgliedstaaten, was bei Patenten, die weit über Nationalstaaten hinauswirken, auch sinnvoll sein kann. An dieser Stelle kann doch kein Mensch davon sprechen, dass die Gerichtsbarkeit von Bund und Ländern aufgehoben wird. Vielmehr wird damit eine Rechtssituation weiterentwickelt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein zweiter Punkt, den Sie jetzt nicht mehr angesprochen haben, der in Ihrem Antrag aber eine große Rolle spielt, betrifft die richterliche Unabhängigkeit, die Sie anzweifeln. Diese Argumentation finde ich schon ziemlich gewagt. Sie begründen Ihre Auffassung damit, dass in den sogenannten Beratenden Ausschuss Rechts- oder Patentanwälte berufen werden können. Dieser Beratende Ausschuss wählt aber nicht am Ende die Richter, wie teilweise suggeriert wird, sondern erarbeitet eine Vorschlagsliste, die mindestens doppelt so viele Kandidatinnen und Kandidaten enthalten muss, wie später vom Verwaltungsausschuss – das ist das Wahlgremium – tatsächlich gewählt werden können.

Ihre Argumentation lautet nun: Wenn in diesem beratenden Gremium Rechts- oder Patentanwälte vertreten sein können, die für ein Wahlgremium eine Vorschlagsliste erstellen, aus der das Wahlgremium dann Kandidaten auswählt, werden die Richter sich den Patent- und Rechtsanwälten später so verpflichtet fühlen, dass sie am Ende nur noch willfährige Urteile abgeben, also nicht mehr unabhängig sind.

Wenn man so wenig Vertrauen in das Rechtssystem hat, meine Damen und Herren, dann weiß ich nicht, wo­rüber wir hier diskutieren. Es ist völlig normal, dass in beratenden, vorbereitenden Gremien Leute sitzen, die aus der Branche kommen und nicht völlig fachfremd sind.

Genau deswegen gibt es ein zweistufiges Verfahren. Das ist absolut richtig und hat nichts mit verfassungsänderndem Charakter zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Man muss aber auch Folgendes sagen: Das sind alles Rechtsfragen, die am Ende geklärt werden können. Man spricht sie nur deshalb an, weil sie möglicherweise einen Mechanismus auslösen, der formal zu anderen Beschlussfassungen hätte führen können, wenn man denn der Auffassung ist, dass sie so durchgeführt werden müssten. Wenn es Ihnen darum ginge, hätten Sie darum gebeten, hier ein neues Verfahren einzuführen oder Ähnliches. Sie beantragen hier aber die Aufhebung, weil es Ihnen um etwas anderes geht und Sie in der Sache dagegen sind.

Insofern müssen wir darüber reden, ob wir das Europäische Patentgericht und auch das einheitliche Europäische Patent an dieser Stelle haben wollen. Ich sage Ihnen für die Unionsfraktion ganz klar: Ja, wir wollen das so haben. Denn was wollen wir denn?

Wir wollen einerseits die nationalen Schutzrechte, die wir heute haben, gerade für kleine und mittelständische Unternehmen erhalten. Oft reicht ihnen das. Oft brauchen sie keine weiteren Rechte. Gerade für Zulieferbetriebe, die Erfindungen machen und besondere Patente anmelden, reicht häufig der nationale Schutz aus. Ihn wollen wir erhalten. Das ist gar keine Frage.

Gleichzeitig wollen wir aber auch das schaffen, was innerhalb der Europäischen Union nun seit 50 Jahren diskutiert wird – einen Rechtsschutz, der über den Schutz des Nationalstaats in besonderen Situationen hinausgeht. Denn im Moment gibt es tatsächlich keine entsprechende Möglichkeit. Man kann nur, wie gesagt, über das Europäische Patentamt ein Europäisches Patent beantragen, das aber sofort in ein sogenanntes Bündelpatent zerfällt und dann nur in jedem einzelnen Mitgliedstaat für sich Rechtsschutz gewährt. Das führt dazu, dass Sie am Ende 25 unterschiedliche Verfahren haben. Sie haben möglicherweise 25 Verfahren, in denen Patentrechte angegriffen und verteidigt werden können, und Sie haben am Ende eine völlige Rechtsunsicherheit und eine Rechtssituation, die völlig ungleich ist.

Das kann man denen, die Forschung und Innovation in einem einheitlichen Binnenmarkt vorantreiben, nicht zumuten.

(Stephan Thomae [FDP]: Sehr richtig!)

Wir brauchen eine zeitgemäße Lösung, die nicht völlig auf die Vergangenheit gerichtet ist und sich von anderen Nationalstaaten abschottet, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Dr. Nina Scheer [SPD])

Was man dabei auch berücksichtigen muss, ist die Frage, wer am Ende den Nutzen hat. 40 Prozent aller europäischen Patentanmeldungen kommen schon heute aus Deutschland. Gerade die deutschen Unternehmen sind es doch, die den Nutzen davon tragen. Für die müssen wir doch nun endlich zeitgemäße Lösungen schaffen, statt zu glauben, dass wir das Rad zurückdrehen und uns völlig abschotten können.

Wie oft haben wir darüber diskutiert – Sie in der Vergangenheit und vielleicht darf ich das in Zukunft mittun –, dass wir in Forschung und Innovationen investieren müssen. Wir haben gerade eine Exzellenzstrategie beschlossen. Alle sind sich einig: Wir müssen etwas dafür tun, um voranzukommen, damit Deutschland zukunftsfähig ist und wir Innovationen haben. Und dann sind wir nicht bereit, Forschern, die Erfindungen machen, die Möglichkeit zu geben, sie über die nationalen Grenzen hinaus schützen zu lassen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen müssen wir am Ende die Entscheidung treffen: Wollen wir rückwärtsgewandt Abschottungspolitik betreiben, oder schaffen wir in dem einheitlichen Binnenmarkt, den wir haben, für bestimmte Situationen, die über die nationalen Staaten hinausgehen, einheitliche Regelungen? Wir sind der Auffassung: Letzteres ist richtig. Und ich hoffe und bin mir sicher: Am Ende wird das auch die Mehrheit des Hauses sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)