Skip to main content

Ingmar Jung: Die Gaffer sind in keiner Weise schutzwürdig

Rede zur Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes bei Bildaufnahmen

Vielen Dank, Herr Kollege Luczak. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über einen Gesetzentwurf – und jetzt erlauben Sie mir, dass ich über den rede, der die ganze Zeit vorlag, und nicht über den, der in allerletzter Sekunde offenbar doch noch vorgelegt wurde –, der sich mit zwei Phänomenen befasst, die in Zeiten, in denen jeder einen Fotoapparat, eine Kamera irgendwie immer bei sich hat und Aufnahmen anfertigen kann, natürlich immer größere Bedeutung erfahren: zum einen – wir haben es schon zweimal gehört – mit dem Verhalten von Schaulustigen, von Gaffern bei Unfällen und zum anderen mit dem, was unter dem Oberbegriff „Upskirting“ und Ähnlichem läuft.

Lassen Sie mich eines sagen, bevor es gleich noch jemand einwendet – ich habe es die letzten Tage ein paarmal gehört –: Uns ist durchaus bewusst, dass die Anzahl der Taten in diesem Bereich in Zeiten einer Pandemie möglicherweise ein wenig zurückgehen könnte, weil sich die Leute nicht mehr so nahekommen und unmittelbar treffen. Das ist aber kein Grund, ein Gesetzgebungsverfahren nicht weiter zu bestreiten. Denn wir sind uns, glaube ich, alle sicher: Es kommt eine Zeit danach. Deswegen bietet es sich geradezu an, das Verfahren jetzt weiter zu betreiben und zum Abschluss zu bringen. Deswegen ist es sinnvoll, dass dieser Punkt heute auf der Tagesordnung steht.

Worum geht es konkret? Zum einen geht es um den Bereich der Gaffer. Heute macht jeder überall Fotos, stellt sie ins Netz, lässt sie kommentieren, liken. Das kann jeder tun, wie er möchte. Aber eine Grenze ist dann erreicht, wenn man das Persönlichkeitsrecht oder auch die Würde von anderen damit beschränkt oder verletzt.

Das ist leider sehr oft bei Unfällen der Fall. Man sollte eigentlich meinen, dass es irgendwie abwegig ist, Lebende in hilfloser Lage oder insbesondere auch Tote in entwürdigender Weise zu fotografieren; aber es kommt ungemein oft vor. Jetzt kann man sich lange darüber streiten, ob das Persönlichkeitsrecht mit dem Moment des Todes endet oder nicht. In jedem Fall endet die Würde dort nicht vollständig. Wir haben eine staatliche Verantwortung, die Würde derer, die nicht mehr am Leben sind, zu schützen und nicht die Schaulustigen in die Lage zu versetzen, auch noch Fotos machen zu können.

Frau Ministerin, Sie haben es zu Recht angesprochen: Diese Fotos werden nicht nur gemacht. Sie werden ins Netz gestellt, sie werden geteilt, sie werden gelikt. Und noch schlimmer: Sie werden kommentiert. Das ist etwas, was für die Angehörigen besonders bitter ist, die sich mit einem schweren Verlust auseinandersetzen müssen und dann möglicherweise irgendwo noch herabwürdigende Kommentare lesen müssen, die ihren Angehörigen betreffen. Wenn man ein bisschen recherchiert, dann findet man Dinge in der Art, dass Brandopfer in einen Zusammenhang mit Grillpartys und Ähnlichem gebracht werden. Das ist, ehrlicherweise, nur noch ekelhaft. Deswegen ist die Grenze, die bisher zwischen Lebenden und Verstorbenen bestand, falsch, und es ist richtig, dass wir das an der Stelle unter Strafe setzen. Da sind die Gaffer wirklich in keiner Weise schutzwürdig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Es kommt noch ein zweiter Aspekt hinzu: Wenn teilweise bei Unfällen insbesondere auf der Autobahn die Einsatzkräfte zunächst einmal damit beschäftigt sind, aufblasbare Sichtschutzwände aufzubauen oder Ähnliches, weil so viele Leute ein Interesse daran haben, das jetzt zu beobachten, Fotos zu machen, und die Einsatzkräfte nicht zu dem kommen, wofür sie eigentlich verantwortlich sind, nämlich den Menschen zu helfen, dann ist die Grenze wirklich überschritten. Sie müssen das teilweise auch schon aus Gefahrenabwehrgründen tun. Es ist ja immer wieder der Fall, dass sich bei großen Unfällen auf der Gegenseite ein Stau bildet, weil Autofahrer ihre Fahrt verlangsamen, das Handy zücken und dann während der Fahrt unbedingt noch ein Foto machen müssen, um das irgendwo mitzuteilen.

Da muss ich sagen: Ich finde richtig, dass wir staatlich ein klares Signal setzen. Dieser Sensationsgeilheit, die andere gefährdet, muss wirklich Einhalt geboten werden. Deswegen ist strafrechtlicher Schutz an der Stelle richtig, egal ob es sich bei den Bildern um Lebende oder Verstorbene handelt. Es ist gut, dass wir das jetzt angepackt haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der zweite Teil, über den wir reden, ist ein besonderer. Apropos staatlich handeln und sozial missbilligen: Wenn man Leute draußen fragt – wir haben es mal getestet –, ob es strafbar ist, jemandem heimlich unter den Rock zu fotografieren, dann glaubt jeder, dass das eigentlich so ist. Generalprävention scheint also an der Stelle auch ohne Gesetz zu funktionieren. Aber umso wichtiger ist es, dass wir den Tätern das klare Signal senden, dass wir das als Staat missbilligen.

Wer glaubt, das sei ein Phänomen, das nicht besonders verbreitet ist, der muss nur mal in irgendeiner der gebräuchlichen Suchmaschinen die Begriffe „Upskirting“ und „Downblousing“ eingeben. Sie brauchen die Links dann gar nicht anzuklicken; Sie werden sich schon wundern über die Vielzahl, die Sie da finden. Es gibt Leute, die beschäftigen sich damit. Es gibt Leute, die es offenbar toll finden, Teile des Körpers zu fotografieren, die nicht fürs Fotografieren bestimmt sind, und die es auch noch besonders toll finden, es anderen mitzuteilen und die Fotos ins Netz zu stellen. Was das für die Opfer bedeutet, kann sich jeder vorstellen.

Wenn man dann sagt: „Na ja, sobald die veröffentlicht und verbreitet worden sind, dann ist das ja nicht mehr zurückzuholen; dann kann der Staat ja eingreifen und strafrechtlich vorgehen“ oder: „Man könnte sich doch zivilrechtlich wehren“, dann muss ich sagen: Das ist nicht genug. Die entwürdigende Handlung passiert doch schon in dem Moment, in dem heimlich irgendwo unter den Rock, in die Bluse rein oder anderswohin fotografiert wird.

Wenn man darüber diskutiert, ob man an der Stelle schon handeln muss oder ob man warten kann, bis dann tatsächlich eine Verbreitung eintritt, dann ist man, glaube ich, auf dem falschen Weg. Wir müssen schon vorher handeln. Das haben andere Länder teilweise schon getan. Es ist gut, dass wir es jetzt tun. Ich glaube, dass wir da auf dem richtigen Weg sind.

Ganz absurd ist die Behauptung, man solle sich doch – wie ich das in den letzten Tagen ein paarmal gehört habe – vielleicht so kleiden, dass man die Fotos nicht machen kann. Also das, meine Damen und Herren, betrifft die völlig falsche Seite.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Da hat eine der Aktivistinnen in den letzten Tagen den richtigen Satz gesagt: Die problematische Situation wird gelöst, wenn die Gesetzeslage sich ändert und nicht die Rocklänge der Frauen.

In diesem Sinne: Herzlichen Dank und gute Beratung!

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)