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Frank Heinrich: "Instrumentalisierung der Ereignisse in Chemnitz einstellen"

Rede zu Vermeintliche Hetzjagden in Chemnitz

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Chemnitz ist weder grau noch braun“ – das ist nach den Erlebnissen Ende August letzten Jahres ein Poster, welches als Reaktion auf diese Tage durch meinen Kollegen Frank Müller-Rosentritt und andere aus Chemnitz entstanden ist. Chemnitz ist meine Stadt, und ich liebe sie so, wie sie ist, auch in Zeiten, wie wir sie seit August letzten Jahres erleben, aber ganz besonders im Monat danach erlebt haben.

Eines möchte ich hier klipp und klar zum Ausdruck bringen: Die Ereignisse in Chemnitz sind von den verschiedensten Seiten instrumentalisiert worden, und sie werden bis heute instrumentalisiert – Sie sehen es –, auch indem diese Debatte geführt wird. Die Große Anfrage der AfD zielt in die Richtung, die Ereignisse in Chemnitz wieder und wieder für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren; das habe ich in diesen Tagen auch von Wählern und Ihren Leuten in Chemnitz gehört. Instrumentalisieren Sie doch bitte nicht diesen Mord. Es geht doch um etwas anderes. Sie stellen diese Anfrage und beschäftigen sich mit Worten. Manche sagen, es sei Wortklauberei, zu fragen, ob es „Hetzjagden“ gegeben hat. Dabei geht es doch darum, was tatsächlich passiert ist.

Ich möchte angesichts der vielen Stimmen, die die Ereignisse am 26. August und in den Folgetagen für ihre Zwecke instrumentalisiert haben, nicht verschweigen, was in Chemnitz zu kurz gekommen ist: Ein Mensch wurde umgebracht.

(Zurufe von der AfD: Ja! – Genau! – Eben! – Richtig!)

Und es tut weh, wenn das im eigenen Wahlkreis passiert. Mir tut aber auch Ihr Verhalten weh und, ehrlich gesagt, auch das Ihresgleichen. Ich beschränke mich jetzt nur auf das, was ich am eigenen Leib und mit Freunden so erlebt habe: Unbeteiligte sind bedroht worden,

(Zuruf von der AfD: Ist ja nicht wahr!)

wie es in dem Video, über das wir heute unter anderem reden und das um die Welt ging, zu sehen war. Und jetzt wird über die Worte, die gebraucht wurden, geredet. Dabei sind an diesem Tag Freunde von mir

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Freunde, ja!)

dort gewesen; sie haben Panik erlebt.

(Martin Rabanus [SPD]: So ist es!)

Mitbürger, bei denen aufgrund ihres Aussehens ein Migrationshintergrund vermutet werden konnte, haben sich einige Tage und Wochen auf unseren Straßen nicht mehr sicher gefühlt.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist doch Unsinn! Sagt der Ministerpräsident! Sagt die Polizei! Alle sagen das!)

– Das sagen meine eigenen Freunde mit Migrationshintergrund.

Hier oben auf der Tribüne sitzt eine junge Frau aus Afghanistan. Ich stelle mir vor, wie Mahmaz darauf reagiert hätte, auf der einen Seite wegen der Demos, andererseits auch wegen der Berichterstattung.

Der von Ihnen organisierte sogenannte Trauermarsch hat Bürger dazu gebracht, mich, weil ich dieses Schild schweigend neben mich gehalten habe,

(Der Redner hält ein Papier hoch)

aus der Situation so anzugreifen, dass drei Leute von der Bundespolizei zwischen mich und Ihre Leute gehen mussten. Wirtschaftsdelegationen aus dem Ausland haben fest vereinbarte Termine mit Firmen aus Chemnitz abgesagt und in andere Städte verlegt, zum Schaden meiner liebenswerten Stadt.

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Ja, das liegt an der Berichterstattung!)

Ich möchte nicht verschweigen, dass wir als Chemnitzer erleben mussten, dass auch weitere Akteure die aufgeheizte Stimmung missbraucht haben.

(Martin Reichardt [AfD]: Reden Sie doch mal zur Sache!)

Es gab – Sie haben das gerade reingerufen – auch Angriffe gewaltbereiter linksgerichteter Aktivisten. Auch die nationale Berichterstattung haben viele meiner Mitbürgerinnen und Mitbürger vor allem in den ersten Tagen als missbräuchlich erlebt. Ich hätte mir deutlich mehr Zurückhaltung von allen Seiten gewünscht.

Ich fordere Sie auf: Stellen Sie endlich die Instrumentalisierung der Ereignisse in Chemnitz ein!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Martin Reichardt [AfD]: Wer hat das denn instrumentalisiert?)

Stattdessen empfehle ich dringend in dieser komplexen Situation, in der Diskussion um das erstochene Opfer, um die Straftat in der Innenstadt: Geben wir dem Rechtsstaat die Chance, auch wenn es schmerzt, eine ordentliche Aufklärung zu betreiben. Die juristische Aufarbeitung in unserem Land, auf die ich stolz bin, soll die nötige Zeit bekommen, damit es am Schluss fair ausgeht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Halten Sie sich mit voreiligen Schlüssen zurück,

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Das war doch die Kanzlerin!)

auch in Bezug auf die Große Anfrage. Genau diese Herangehensweise hätte ich mir in den Tagen, Wochen und Monaten nach August letzten Jahres zum Besten meiner Stadt Chemnitz gewünscht.

„Chemnitz ist weder grau noch braun“ – ich habe es Ihnen vorhin gezeigt.

(Der Redner hält wieder das Papier hoch – Dr. Alice Weidel [AfD]: Schöner Zettel! Was soll das heißen?)

Ich habe die lebendige Kulturszene meiner Stadt vor Augen. Ich erinnere mich an die Tausenden Studenten der Technischen Universität, die über die Berichte schockiert waren und sich deutlich positioniert haben. Wenn ich die industriellen Leistungen von Chemnitz in Vergangenheit und Gegenwart sehe, wenn ich an die NINERS denke, die Basketballmannschaft, die Vielfalt verkörpert, und an die vielen weiteren Vereine, die Integration leben,

(Zuruf des Abg. Tino Chrupalla [AfD])

dann denke ich: Wir werden und wollen mit Recht aus ganz anderen Gründen als denen, die Sie aufgemalt haben, Europäische Kulturhauptstadt 2025 werden. Das ist mein Chemnitz.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Kein Wort zur Sache! Kein Wort!)