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Frank Heinrich (Chemnitz): "Menschenrechtsverletzungen kommen noch viel zu häufig vor"

Rede zur internationalen Lage der Menschenrechte von LSBTTI

Vor einigen Jahren hatte ich die Gelegenheit, bei einem Besuch in Uganda einige Vertreter der LSBTTI-Bewegung zu treffen. Frappierend war schon, dass dies mehr oder weniger geheim stattfinden musste. Eine Dame aus der Runde – ich nenne sie Denise – hatte am eigenen Leib erlebt, was es bedeutet, zum einen im eigenen Land von Mitbürgern verteufelt zu werden und zum anderen vom Staat nicht nur nicht geschützt, sondern eher noch mitgejagt zu werden: Sie war wenige Wochen zuvor von der Polizei ins Gefängnis geworfen worden – nach einem Gesetz, das es zu dem Zeitpunkt noch gar nicht gab. Der sogenannte Bahati Bill wurde zwar eingereicht und diskutiert, aber er war nicht verabschiedet, geschweige denn in Kraft – und doch hatten Leute aus dem Umfeld von Denise die Drohungen für Nichtverräter, die das angekündigte Gesetz vorsah, schon so ernst genommen und Polizisten in vorauseilendem Gehorsam reagiert, dass sie einige Wochen zu Unrecht in Haft saß. Dies ist nur eine von zahllosen Geschichten, die beschreiben, wie auch in der heutigen Zeit noch mit diesem Thema umgegangen wird. Ich von meiner Seite war und bin immer wieder schockiert.

Erstens. Beschreibung des Status quo. Ich bin der Bundesregierung sehr dankbar, dass sie uns mit ihrer Antwort auf diese Große Anfrage einen Überblick über die internationale Lage der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgendern und Intersexuellen (LSBTTI) verschafft. Ich nehme dankbar zur Kenntnis, dass in den letzten Jahren Fortschritte erzielt worden sind. Die Entkriminalisierung von Homosexualität nimmt zu: 2018 wurde sie in Indien, Libanon und Trinidad/Tobago legalisiert. Eingriffe wie Sterilisation oder erzwungene Geschlechtsumwandlung kommen weniger häufig vor.

Jedoch bestehen noch viele entmutigende Berichte, was die Menschrechtslage von LSBTTI angeht. Auch 2019 kriminalisieren immer noch 70 Staaten Homosexualität. Menschen drohen langjährige Haftstrafen, in fünf Staaten sogar lebenslang. Dass Homosexualität in elf Staaten mit der Todesstrafe geahndet wird, ist nicht hinnehmbar. Im Iran zum Beispiel wird Homosexualität mit Peitschenhieben bestraft, in Mauretanien mit der Todesstrafe durch öffentliche Steinigung.

LSBTTI-Personen unterliegen aber nicht nur strafrechtlicher, sondern auch staatlicher Verfolgung und gesellschaftlicher Tabuisierung. Dies führt dazu, dass Aktivistinnen und Aktivisten in einigen Ländern dazu gezwungen sind, versteckt zu agieren – wie Denise. In Russland und insbesondere im Nordkaukasus findet sogar eine Form organisierter Verfolgung von Homosexuellen statt, welche von Vertretern des Staates und der Bevölkerung vollstreckt wird. Homophobe Propaganda durchdringt Jugendorganisationen, Druck wird auf Medien und Aktivistinnen und Aktivisten ausgeübt.

Im Alltag sind LSBTTI-Personen darüber hinaus nicht selten Opfer von gewaltsamen Übergriffen wie beispielsweise Tötungsdelikten. Berichte aus Afghanistan dokumentieren polizeiliche Misshandlungen und sogar Vergewaltigungen von homosexuellen Männern.

Daraus ergibt sich, dass LSBTTI-Personen erheblicher Diskriminierung unterworfen sind, häufig lebenslang unter Angst leiden und in der Befürchtung leben müssen, die Arbeit zu verlieren. Menschen sollten jedoch überall in der Welt unabhängig von ihrer sexuellen Identität frei und sicher leben können. Als Menschenrechtspolitiker setze ich mich dafür ein, dass Menschenrechte für alle gelten und LSBTTI-Rechte je länger, je mehr untrennbarer Bestandteil von Menschenrechten werden.

Menschenrechtswidrige Handlungen finden aber nicht nur in afrikanischen oder muslimischen Staaten statt, sondern auch in europäischen oder nordamerikanischen Demokratien, so in den Vereinigten Staaten von Amerika. Gerade in den letzten Jahren erleben wir, wie selbst das Staatsoberhaupt neben sexistischen oder rassistischen Aussagen immer wieder auch homophobe Äußerungen macht.

Zweitens. Deutschlands Engagement. Wir sollten mit dem erhobenen Zeigefinger vorsichtig sein; denn tatsächlich ist es noch nicht so lange her, dass wir § 175 StGB durch das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung ersetzt haben. Auch bei uns kommen Übergriffe nicht vereinzelt vor. Das Wort „schwul“ ist bei vielen immer noch ein Schimpfwort. Deshalb bin ich dankbar, dass Deutschland sich für die Rechte von LSBTTI aktiv einsetzt. Ich begrüße die Aktion von Staatsminister Roth, der im November 2017 einen Brief an seinen Amtskollegen in Ägypten zur Freilassung von LSBTTI-Personen geschickt hat. Genauso haben er und sein Vorgänger Gabriel dies auch in anderen Fällen getan.

Beim Schutz der Menschenrechte von LSBTTI-Personen ist darüber hinaus eine enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft unabdingbar; Vernetzung ist dringend notwendig. In diesem Bereich befürworte ich das Engagement der Bundesregierung in EU-Projekten wie den Young Women’s Club und das Projekt „Enhancing State Responsiveness to Gender-Based Violence: Paying the True Costs“ (Heinrich-Böll-Stiftung), die Vergewaltigungsopfer unterstützen. Deutschland ist zudem Gründungsmitglied der Equal Rights Coalition und Mitglied im Global Equality Fund, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Auf europäischer und internationaler Ebene setzt sich Deutschland aktiv ein: 2007, Unterzeichnung der Yogyakarta-Prinzipien zur Anwendung internationaler Menschenrechtsnormen und -standards in Bezug auf sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität.

2008, die UN-Erklärung über die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität in Bezug auf spezifische Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgendern und Intersexuellen vor der Generalsversammlung der VN angenommen.

EGMR: Strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen ist menschenrechtswidrig.

EU-Richtlinien: „Guidelines to promote and protect the enjoyment of all human rigths by LGBTI persons“

Drittens. Nichtdestotrotz sind die Herausforderungen noch hoch:

a) in Deutschland: Trotzdem haben wir noch lange nicht alles geschafft und stehen weiterhin vor großen Herausforderungen. Wir sollten auf unterschiedlichen Ebenen agieren: Ich halte es für erforderlich, dass wir daran arbeiten, dass Diskriminierungen und Gewalttaten gegenüber LSBTTI-Personen gesetzlich kriminalisiert werden – vergleiche ILGA-Studie 2019 –; denn so weit sind wir in Deutschland noch nicht. Zudem soll in der Asylpolitik verstärkt auf Menschen geachtet werden, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Genderidentität geflüchtet sind. Als Menschrechtspolitiker ist es meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass wir diese Prinzipien nicht nur in Deutschland umsetzen, sondern auch in der EU und darüber hinaus in der Welt – aber anfangen müssen wir immer vor der eigenen Haustür.

b) auf der Welt: Auch innerhalb der EU haben wir noch große Herausforderungen, wie zum Beispiel in Slowenien, wo zivilgesellschaftliche Organisationen über Misshandlungen gegenüber Transfrauen und AktivistInnen berichten, oder in Polen, das – ILGA Europe 2019 –, was die Menschenrechtslage von LSBTTI angeht, EU-weit auf dem vorletzten Platz steht.

Darüber hinaus gilt die Homosexualität in vielen Ländern weiterhin als Krankheit, so in Ägypten, Äthiopien oder Indonesien. Homosexualität ist manchmal so stark pathologisiert, dass sich die Frage nach einer Krankheit gar nicht stellt, wie in Iran, Mali oder Mauretanien.

Menschenrechtsverletzungen kommen noch viel zu häufig vor. Dabei spielen manchmal auch und gerade religiöse Organisationen eine Rolle, so in Peru oder Uganda.

Ich komme zum Schluss. Wie gesagt, es bleibt noch vieles zu tun. Umso mehr begrüße ich das aktive Engagement der Bundesregierung für dieses Thema. Ich hoffe, dass alle Menschen überall in der Welt unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität in Würde und mit gleichen Rechten und Pflichten leben können.

Ich bin auch dankbar dafür, dass es in Deutschland in vielen Bereichen eine aktive Erinnerungskultur gibt; Denkmale – im buchstäblichen Sinne: Denk-mal nach! –, die an die Kämpfe der Zivilgesellschaft erinnern. Wenn ich mich heute Abend auf den Weg nach Hause mache, werde ich im Tiergarten an dem Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen vorbeikommen. Dann werde ich erneut genau das tun: Ich denk mal nach, was noch zu tun ist.