Skip to main content

Dr. Volker Ullrich: Wir wollen den Zugang zum Recht weiter erleichtern

Gesetz über die Einführung von Gruppenverfahren

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rechtsdurchsetzung für Verbraucher wird einer der Schwerpunkte in der Rechtspolitik der Großen Koalition sein. Wir kümmern uns deswegen darum, weil wir um die strukturelle Ungleichheit bei der Durchsetzung von Klein- und Streuschäden wissen. Der Zugang zum Recht ist oftmals erschwert durch die fehlende Möglichkeit, direkt und einfach Recht zu bekommen, aber auch durch die Hürden, die das aktuelle Zivilprozessrecht vorsieht. Das wollen wir ändern. Wir sagen: Wir wollen den Zugang zum Recht weiter erleichtern und gleichzeitig für die Gerichte die Voraussetzungen für die Anwendung des Rechts verbessern.

Wir wollen das deswegen tun, weil die bisherigen Instrumente noch nicht vollständig geeignet sind, diese Ziele zu erfüllen. Die Klagemöglichkeiten der Verbände nach dem Unterlassungsklagengesetz sind präventiv und ein gutes Instrument, um verbraucherfeindliche Klauseln gerade in den Bereichen Mobilfunk und Elektrizität zu unterbinden. Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz hat sich in der Praxis – da müssen wir ehrlich sein – als zu schwerfällig und zu langwierig erwiesen. Das zeigt beispielsweise das Verfahren um die Erstattung bei der Telekom, das sich jetzt mittlerweile über ein Jahrzehnt zieht. Deswegen brauchen wir ein neues und ein gutes Instrument, um die Ansprüche von Verbrauchern zu bündeln und um Verbrauchern zu ihrem Recht zu verhelfen. Wir stehen an der Seite der Verbraucher.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt ist die Frage, ob der vorgeschlagene Gesetzentwurf der Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen diesem Ansinnen gerecht wird. Wir haben diesen Gesetzentwurf bereits mehrmals im Deutschen Bundestag debattiert.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und immer abgelehnt!)

Die grundlegenden juristischen Fragestellungen, die dieser Gesetzentwurf aufwirft, aber nicht beantwortet, bleiben bestehen.

Frau Kollegin Rottmann, Sie haben gesagt, es dürfe nicht auf das Geld ankommen, ob jemand bei Klein- oder Streuschäden klagt oder nicht. Wenn Sie aber von jemandem verlangen, dass er einen Anwalt nimmt – Sie wollen ja einen Anwaltszwang verankern –, dann muss er entweder die Erstberatungsgebühr von über 200 Euro aufbringen oder umständlich erst einmal seine Rechtsschutzversicherung fragen, ob er klagen darf.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen hat er gar nichts! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist kein einfacher Zugang zum Recht. Sie erschweren den Zugang zum Recht.

Sie müssen auch sehen, was mit § 619 Ihres Entwurfs bewirkt würde. Da führen Sie einen sogenannten Gruppenkläger ein. Der Gruppenkläger soll für die Gruppe die entsprechenden Prozesshandlungen vornehmen. Das Problem ist aber, dass Sie im gleichen Paragrafen sagen, dass dieser Gruppenkläger durch die anderen nicht in Haftung genommen werden kann und dass kein Schuldverhältnis begründet wird. Das heißt übersetzt: Der Gruppenkläger kann machen, was er will. Das ist nicht verbraucherfreundlich.

(Widerspruch der Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie müssen bitte auch sehen, was für eine komplizierte Regelung in § 623 bezüglich der Frage des Vergleiches vorgesehen ist. Demnach soll ein Vergleich nur zustande kommen, wenn weniger als 30 Prozent den Austritt aus dem Vergleich erklären. Warum haben Sie es nicht andersherum gelöst und festgelegt: „Wenn 50 Prozent beitreten, dann gilt der Vergleich“? Das wäre eine wesentlich einfachere Regelung gewesen.

Schließlich sind auch die Regelungen über die Berufung ziemlich kompliziert und verbraucherfeindlich. Der Gruppenkläger kann nämlich Berufung einlegen, auch mit Wirkung für die Gruppe, ohne dass jemand aus der Gruppe irgendwie aus der Berufung austreten kann. Damit erhöhen Sie das Prozesskostenrisiko für die gesamte Gruppe auf Kosten derjenigen, die eigentlich nur eine Erstattung der Streuschäden wollen. Insofern ist Ihr Gesetzentwurf zu kompliziert, baut zu hohe Hürden auf und kann den Anspruch, die Rechtsdurchsetzung für den Verbraucher zu verbessern, nicht erfüllen. Deswegen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab – aus inhaltlichen Gründen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir werden als Große Koalition alsbald einen Gesetzentwurf zur Musterfeststellungsklage vorlegen. Sie werden erkennen, dass damit der Zugang zum Recht wesentlich erleichtert wird.

(Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Es werden nur anerkannte Verbände klagebefugt sein, es wird ein sehr niederschwelliges Klageregister geben, und wir wollen auch die Verfahrensfristen verkürzen, damit die Durchsetzung des Rechts anders als im Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz nicht Monate oder Jahre dauert. – Ich würde die Zwischenfrage zulassen, Herr Präsident.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Bitte schön, Frau Kollegin Rottmann.

Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Ullrich, dass Sie die Frage zulassen. – Gestern ist ein VW-Händler verurteilt worden. Der arme Mann oder die arme Frau – ich weiß es nicht genau – kann ja gar nichts für diesen mangelhaften Wagen. Er könnte sich jetzt mit anderen Händlern zusammentun und seinerseits VW in Regress nehmen, da der Konzern für diese Manipulation verantwortlich ist. Welche Verbraucherzentrale, glauben Sie, wird diesen Händler vertreten, und wie wollen Sie das Problem lösen, dass der Händler kein Verbraucher ist? Er steht alleine gegen VW.

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU):

Die Frage der Klagebefugnis im Rahmen der Musterfeststellungsklage wird von der gesetzlichen Ausgestaltung abhängig sein. Gerade für den Bereich des Handwerks oder der kleineren Händler, für den ich Sympathie habe, wollen wir beispielsweise eine Klagebefugnis der Industrie- und Handelskammern in das Gesetz schreiben, damit wir ihnen genau in den Fällen, in denen Händler oder Handwerker letzten Endes auf dem Regress sitzen bleiben würden, eine Rechtsschutzmöglichkeit gegenüber den größeren Unternehmen geben. Fairness muss auf beiden Seiten vorhanden sein. Deswegen bitte ich Sie, dass Sie genau bei diesem Punkt an den Gesetzesberatungen mitwirken.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir müssen uns auch überlegen, wie wir kleinere Streuschäden oder Erstattungsbeträge im Bereich von wenigen Euro für die Verbraucher handhabbarer machen. Das typische Beispiel ist: Jemand kauft sich über eine App eine Fahrkarte bei einem Verkehrsunternehmen wie der Deutschen Bahn. Der Zug kommt nicht. Um den Erstattungsanspruch von 4,90 Euro oder 7,80 Euro geltend zu machen, muss oftmals umständlich ein Formular ausgefüllt werden. Hier muss zukünftig gelten, dass die Erstattung auf die gleiche Art und Weise vorgenommen werden kann wie der Kauf der entsprechenden Fahrkarte. Auch hier brauchen wir Waffengleichheit und Fairness. Wir haben das übrigens in der letzten Wahlperiode schon dadurch gelöst, dass wir gesagt haben: Ein Vertrag muss auf die gleiche Art und Weise gekündigt werden können, wie er geschlossen wurde. – Das gilt auch für die Erstattungen.

Wir haben viel vor im Bereich des Verbraucherschutzes. Wir werden es beherzt und sehr tatkräftig anpacken. Ich lade jeden ein, hier mitzuwirken.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)