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Dr. Volker Ullrich: Wir brauchen den §130StGB, um die Würde des Menschen zu schützen

Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Legaldefinition in Paragraph 130 StGB

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Abschluss dieser Debatte möchte ich noch auf einen anderen Aspekt aufmerksam machen. Der § 130 des Strafgesetzbuches ist eine der wenigen Strafvorschriften, die explizit auf die Menschenwürde Bezug nimmt. Damit diese unantastbar bleibt, wie es in Artikel 1 des Grundgesetzes festgeschrieben ist, muss der Staat sie aktiv vor Herabsetzung, Entwürdigung und Entmenschlichung schützen. Das ist eines der wichtigsten Ordnungsprinzipien unseres staatlichen Gemeinwesens.

(Andrea Nahles [SPD]: Richtig!)

Damit der öffentliche Friede gewahrt bleibt, müssen wir uns die Frage stellen, wie das friedliche Zusammenleben in unserem Staat geschützt werden kann. Oder andersherum gefragt: Was gefährdet das friedliche Zusammenleben? Es ist – die bitteren historischen Erfahrungen zeigen es – der Hass und die Ausgrenzung gegenüber Andersdenkenden, gegenüber Schwachen, gegenüber anderen Religionen und gegenüber Minderheiten.

Es gibt einen Zusammenhang, den ich deutlich benennen möchte: Herabwürdigungen und Verrohungen in der Sprache schüren Hass. Hass führt zu Gewalt, und Gewalt zersetzt ein Gemeinwesen. Deswegen brauchen wir den § 130 StGB, um die Würde des Menschen und den öffentlichen Frieden zu schützen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ja, es ist durchaus nicht ganz überraschend – und das ist in der Tat gesagt worden –, dass sich die Fraktion der AfD des Paragrafen zur Volksverhetzung annimmt. Daran wird deutlich: Wer Sachargumente hat, braucht keine Herabsetzung. Wer herabsetzt, dem geht es nicht um die Sache. Und wem es nicht um die Sache geht, dem geht es auch nicht um einen demokratischen Diskurs. Das ist der Zusammenhang, in dem Ihr Gesetzentwurf steht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Herrn Seitz?

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU):

Ja.

Thomas Seitz (AfD):

Herr Kollege, vielen Dank für die Zulassung der Zwischenfrage. – Sie haben den Vorwurf erhoben, die Fraktion der AfD und unsere Partei verfüge nur über das Mittel, andere herabzusetzen.

Ihnen ist doch sicherlich bekannt, dass ein früherer Ministerpräsident Ihrer Partei Bürger in Ostdeutschland, die zivilen Ungehorsam geübt haben und sich dabei möglicherweise im niedrigschwelligen Bereich strafbar gemacht haben, dadurch gekennzeichnet hat, dass er gesagt hat:

Das sind keine Menschen … Das sind Verbrecher.

Er hat diesen Menschen die Menschenwürde abgesprochen.

Das ist der schlimmste Verstoß, den man in Deutschland gegen unser Grundgesetz begehen kann. Distanzieren Sie sich also von diesem hochrangigen ehemaligen Politiker und Mitglied der CDU, der nach meinem Kenntnisstand von Ihrer Partei und Fraktion niemals, zu keinem Zeitpunkt, für diese unglaubliche Äußerung gemaßregelt wurde, die im Übrigen auch keinerlei öffentliche Resonanz gefunden hat?

(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Außer bei Ihnen, oder was?)

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU):

Herr Kollege, ich kenne das Zitat nicht.

(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich auch nicht!)

Sie haben das Zitat weder wortwörtlich zitiert noch eine Quellenangabe genannt oder den Zusammenhang deutlich dargestellt.

(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es bleibt ein Rätsel!)

Ich rate Ihnen: Es wäre für Sie vielleicht wesentlich zielführender, sich Ihre Twitter- und Facebook-Einträge anzusehen und die Kommentare, die Menschen darunter posten, zu lesen. Davon müssen Sie sich distanzieren. Das ist es, was Hass in der Gesellschaft schürt und das Gemeinwesen hier zersetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darüber müssen wir reden.

Ja, wir müssen diesen Gesetzentwurf auch rechtspolitisch betrachten. In einem Umfeld, in dem wir wertausfüllungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe haben, wollen Sie eine Legaldefinition einführen. Der Punkt ist aber, dass das Strafrecht anders aufgebaut ist. Überall dort, wo wir unbestimmte Rechtsbegriffe haben, die dann der Beurteilung durch den Tatrichter obliegen, braucht es keine Legaldefinitionen. Wenn Sie aber eine Legaldefinition einführen, ändern Sie den Charakter der Vorschrift. Wenn Sie den Charakter der Vorschrift ändern, entwerten Sie den gesamten strafrechtlichen Schutzzweck dieser Norm. Es geht Ihnen also darum, dass der § 130 Strafgesetzbuch durch die Überladung wirkungslos wird.

(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Damit werden im Ergebnis Würde und öffentlicher Frieden nicht mehr in dem Umfang geschützt. Das steckt dahinter.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich möchte zum Abschluss dieser Woche darauf aufmerksam machen, dass der Kern dieser Vorschrift im Jahr 1960 geändert worden ist aufgrund bitterer historischer Erfahrungen der jungen Bundesrepublik Deutschland, antisemitischer Schmierereien an Synagogen und Hetzschriften, die die junge Bundesrepublik Deutschland vor eine schwere Bewährungsprobe gestellt haben. Das junge demokratische Deutschland hat diese Bewährungsprobe bestanden, indem es gesagt hat: Nie wieder! Das dulden wir nicht. Wir stellen das unter Strafe. Wir wollen durch die Strafvorschrift eindeutig zum Ausdruck bringen, dass wir es nicht zulassen, dass ein Klima der Verrohung, der Angst, der Hetze und der Intoleranz entsteht, auch mit Mitteln des Strafrechts. – Wir werden klar und deutlich zum Ausdruck bringen, dass wir an diesem Gedanken, der damals modern war, festhalten, und deswegen bleibt § 130 Strafgesetzbuch so, wie er ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)