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Dr. Volker Ullrich: Es gibt kein Recht auf Meinung, welche einen Straftatbestand erfüllt

Rede in der aktuellen Stunde zur Meinungsfreiheit in Deutschland

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem Grundgesetz-Kommentar steht, die Meinungsfreiheit sei das vornehmste Grundrecht. Ich meine: Sie ist weit mehr. – Die Meinungsfreiheit ist nicht nur die Folge einer freiheitlichen und offenen Gesellschaft, sondern sie ist ihre Voraussetzung. Meinungsfreiheit ist weitgehend; es gehören auch Meinungen dazu, die wir als abseitig oder unangenehm empfinden. Aber jeder, der eine solche Meinung äußert, muss auch Widerspruch ertragen können.

Die Grenze ist dort erreicht, wo das Strafrecht ins Spiel kommt, die Verletzung der Würde des Menschen, die Leugnung des Holocausts. Es gibt kein Recht auf Meinung, welche einen Straftatbestand erfüllt, und es gibt kein Recht auf Volksverhetzung und Antisemitismus.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Gewalt oder Drohung kann niemals Teil einer politischen Auseinandersetzung sein. Auch das gehört dazu, wenn wir über Meinungsfreiheit sprechen.

Deswegen möchte ich die Ereignisse der letzten Woche kurz einordnen. Angriffe auf Wahlkreisbüros können unter keinen Umständen Teil einer politischen Auseinandersetzung sein; das ist strafrechtlich relevant und nichts anderes.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Gleiche gilt für Lesungen von Bundestagskollegen. Auch hier kann man trefflich über den Inhalt dessen streiten, was die Kollegen zu sagen haben; aber sie müssen es sagen können. Und wenn im öffentlichen Raum Blockaden stattfinden, dann müssen wir durch Anwendung des Polizei- und Ordnungsrechts dafür sorgen, dass diese Meinung gehört und gesagt werden darf.

Und dann müssen wir über die Hochschulen sprechen. Nach unserer Auffassung sind Hochschulen Räume der Freiheit von Lehre und Forschung, aber auch Räume der Meinungs- und Gedankenfreiheit. Deswegen meine ich, dass selbst, wenn einem die Person eines Hochschullehrers überhaupt nicht passt und man seine Meinung nicht teilt, er doch die Vorlesung halten können muss.

Was die politische Auseinandersetzung betrifft, so meine ich, dass jede Partei gleich behandelt werden muss. Wir sollten zulassen, dass politischer Diskurs an Hochschulen auch stattfindet. Im Wappen der Stanford University steht geschrieben: „Die Luft der Freiheit weht“. Das sollte auch die Debatten an den Hochschulen bestimmen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir müssen aber auch auf das Gesamtbild achten. Es gibt Stimmen, auch hier im Hohen Haus, die sagen, in Deutschland gebe es Zensur oder die Meinungsfreiheit sei eingeschränkt und man dürfe nicht mehr alles sagen. Das sind Erzählungen von Extremisten,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

von Rechtspopulisten. Das ist die Erzählung all derjenigen, die unseren Staat verachten und damit auch Erschütterungen in das Vertrauen dieses Staates erzeugen wollen. Das sind keine Demokraten und Verteidiger der freien Meinungsäußerung; das sind diejenigen, die diesen Staat beseitigen wollen. Deswegen lassen wir Ihnen diese Erzählungen, meine Damen und Herren von der AfD, auch nicht durchgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wichtig ist, wie wir kommunizieren. Wir sollten offen und mit Respekt kommunizieren. Wir sollten mit unserer Sprache darauf achten, dass sie nicht verroht ist. Wir sollten die Meinung des anderen respektieren, aber wenn sie uns nicht passt, uns auch dagegenstellen, aber mit einer Diktion, wie sie Demokraten entspricht, indem man respektvoll miteinander umgeht und nicht indem man verroht und andere Menschen ihrer Würde beraubt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir müssen auch über das Urteil des Landgerichts Berlin in Sachen Renate Künast sprechen. Auch wenn man viele Meinungen der Kollegin nicht teilt und auch wenn es uns im Deutschen Bundestag vielleicht nicht ansteht, Gerichtsurteile zu kommentieren, so meine ich schon, dass der Kernbereich der Würde, auch von Politikern, geschützt bleiben muss, damit ein offener, konstruktiver Dialog in unserem Land möglich bleibt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Frank Pasemann [AfD])

Deswegen gilt unsere Solidarität all denjenigen, die auf kommunaler Ebene, in den Stadt- und Gemeinderäten, als Bürgermeister, als Kreisräte angefeindet werden, weil sie für eine offene, tolerante und friedliche Gesellschaft eintreten, weil sie den politischen Diskurs suchen und damit auch Meinungs- und Redefreiheit zum Kernbestandteil unserer Demokratie machen. All diese Kollegen haben unsere Solidarität verdient. Wir sollten ein starkes Zeichen aussenden, dass wir als Bundestag hinter ihnen stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte abschließend Timothy Garton Ash zitieren, der als Träger des Karlspreises zu Aachen heute nicht unerwähnt bleiben soll. Er hat ein großartiges Buch über die Meinungs- und Redefreiheit geschrieben. Er hat gesagt – ich zitiere –:

Wir – alle Menschen – müssen in der Lage und befähigt sein, frei unsere Meinung zu äußern und ohne Rücksicht auf Grenzen, Informationen und Ideen zu suchen, zu empfangen und mitzuteilen.

Das sollte uns leiten. Meinungs- und Redefreiheit bleibt ein wichtiger Bestandteil unserer demokratischen Ordnung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)