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Dr. Volker Ullrich: Es geht nicht um Genderideologie, sondern es geht um die Verwirklichung von Grundrechten

Rede zur Gesetzesänderung über einzutragende Angaben ins Geburtenregister

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über 150 000 Menschen in Deutschland leben mit einer Variante der Geschlechtsidentität, und für alle diese Menschen ist heute ein wichtiger Tag, weil sie wertgeschätzt werden in ihrer Identität und weil wir durch den Gesetzentwurf Akzeptanz für ihre Selbstbestimmung zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht nicht um Genderideologie, sondern es geht um die Verwirklichung von Grundrechten, und es geht um den Schutz vor Diskriminierung in unserem Land.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist viel davon gesprochen worden, dass es um das sogenannte dritte Geschlecht gehe. Das ist eigentlich ein falscher Begriff. Der Gesetzentwurf erschöpft sich nicht in einem dritten Geschlecht, sondern es geht um die Anerkennung von Vielfalt und darum, dass Menschen sich im Personenstandsregister nicht diskriminieren lassen müssen. Es geht um die Verwirklichung von Grundrechten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ansieht, werden zwei Dinge augenfällig: Zum Ersten sagt das Gericht ganz klar, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch dann die geschlechtliche Identität schützt, wenn sich jemand nicht eindeutig zuordnen kann oder möchte. Zum Zweiten sagt das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes, dass jeder Mensch, gerade auch dann, wenn er sich nicht eindeutig zuordnen kann, einen Anspruch auf einen positiven Eintrag im Personenstandsregister hat, weil jeder Mensch aus seiner Würde heraus das Recht hat, sich benennen zu lassen. Er muss sich nicht als Mann oder Frau bezeichnen lassen oder muss die Angabe einfach weglassen, wenn er das anders fühlt. Das müssen wir ganz deutlich zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Bettina Margarethe Wiesmann [CDU/CSU])

Jetzt sagt das Urteil des Verfassungsgerichts natürlich nicht, dass jeder die Möglichkeit hat, sich so zu bezeichnen, wie er das gern hätte. Das Personenstandsregister hat eine gewisse Ordnungsfunktion. Vor dem Hintergrund ist es richtig, dass wir uns auf den Begriff „divers“ verständigt haben. Ich glaube, der Begriff „anders“ wäre nicht erschöpfend gewesen.

(Beatrix von Storch [AfD]: „Inter“ wäre korrekt!)

Bei „anders“ schwingt immer mit: Das sind die einen, und das sind die anderen. – Bei „inter“ ist das einfach irgendwie dazwischen.

(Beatrix von Storch [AfD]: Es geht um „inter“, nicht „divers“!)

Nein, wir sollten Menschen in ihrer Vielfältigkeit anerkennen, und gerade weil es diese Vielfalt gibt, muss das auch im Personenstandsregister zum Ausdruck kommen. Deswegen ist der Begriff „divers“ der richtige, und wir sollten daran festhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP])

Und, ja, wir müssen auch über die Frage des Nachweises sprechen. Der Gesetzentwurf sieht die Pflicht zur Beibringung eines ärztlichen Attests vor. Ich glaube, dass wir darüber noch mal sprechen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, dass wir darüber sprechen müssen, ob die Beibringung eines Attests nicht irgendwie auch belastend sein kann in Situationen, wo Menschen gerade ihre eigene Identität irgendwie untersuchen müssen. Vielleicht ist die Beratungslösung oder die Glaubhaftmachung, wie in vielen anderen Bereichen des Personenstandswesens übrigens auch, eine Lösung, die zu einer befriedenden Situation beitragen kann. Darüber sollten wir reden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung von Frau von Storch?

(Zurufe von der SPD: Nein! – Christoph de Vries [CDU/CSU]: Nur mit Schmerzen! – Gegenruf von der AfD: Er kann selber antworten!)

Beatrix von Storch (AfD):

Wir haben, glaube ich, gerade schon gehört, wohin es in den Beratungen geht: Die medizinische Indikation wird möglicherweise kassiert. Wenn am Ende nach einer Beratung ein biologischer Mann sich als Frau eintragen lässt, darf er dann an Sportwettbewerben als Frau teilnehmen?

(Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Sonst haben Sie keine Probleme? – Jens Lehmann [CDU/CSU]: Das ist Ihre Scheinwelt!)

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU):

Frau von Storch, das ist eine Frage, die der Ernsthaftigkeit des Themas nicht gerecht wird.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der AfD – Tino Chrupalla [AfD]: Antworten Sie doch!)

Es geht darum, dass Menschen ihren Platz in der Gesellschaft suchen,

(Tino Chrupalla [AfD]: Sollen sie doch!)

gerade weil sie eine verschiedene Geschlechtsidentität haben. Es geht hier um Wertschätzung, Akzeptanz und Würde und nicht um eine herablassende Frage.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit bin ich auch bei meiner abschließenden Bewertung. Wir müssen über weitere Punkte diskutieren – jenseits dieses Gesetzentwurfs. Wir müssen sprechen über Varianten im Abstammungsrecht. Wir müssen sprechen über die Frage des Operationsverbots. Aber diese Gesellschaft muss sich insgesamt auch klar darüber sein, dass wir nicht dulden, dass Menschen angefeindet werden, weil sie trans- oder intersexuell sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir müssen klar und deutlich sagen, dass diese Gesellschaft in Würde zu den Menschen steht, die eine andere Identität haben. Ich glaube, das ist auch der Kern, um den es bei dieser Frage geht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Gute Rede!)