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Dr. Volker Ullrich: Es geht darum, die Rechte von Angeklagten im Strafverfahren zu verbessern, und zwar europaweit

Rede zum Recht des Angeklagten auf Anwesenheit in der Verhandlung

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem es sich hier um eine Debatte im rechtspolitischen Bereich handelt, möchte ich Ihnen, Herr Kollege Seitz von der AfD, zunächst zurufen, dass Sie gar nicht verstanden haben, wie eigentlich in Brüssel Richtlinien zustande kommen. Sie sagen hier: Brüssel verlangt etwas von uns. – Ich möchte Sie darüber aufklären, wie Richtlinien entstehen: Richtlinien entstehen durch Beschluss des Europaparlaments und des Rats. Im Rat ist die deutsche Regierung vertreten. Darüber hinaus gibt es das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union. Alle Richtlinienvorschläge der Kommission werden also im Unterausschuss Europarecht oder auch im Rechtsausschuss berichtet. Einfach zu behaupten, Brüssel verlange etwas, offenbart eine populistische, europafeindliche Haltung, die man einem Volljuristen nicht durchgehen lassen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Rainer Kraft [AfD]: EU-feindlich, nicht europafeindlich! Das ist ein Unterschied!)

Worum geht es? Es geht darum, dass eine Richtlinie vorliegt, um die Rechte von Angeklagten im Strafverfahren zu verbessern, und zwar europaweit. Ich glaube, das ist ein wichtiges Anliegen, weil wir Europa als Raum der Rechtsstaatlichkeit begreifen müssen. Deswegen ist es auch wichtig, dass überall in der Europäischen Union die gleichen Mindeststandards der Rechtsstaatlichkeit sichergestellt werden.

Der Umstand, dass wir in Deutschland fast keinen Änderungsbedarf haben, zeugt doch davon, dass bei uns ein starker Rechtsstaat existiert und er eben nicht in einem Zustand ist, wie Sie ihn beschreiben. Sie zeichnen hier das Bild der Karikatur eines Rechtsstaats, Herr Kollege Seitz; aber damit sagen Sie nichts über den Zustand in unserem Land, sondern Sie reden unser Land schlecht, Sie reden unseren Rechtsstaat schlecht. Damit fallen Sie nicht nur den Richtern und Staatsanwälten, sondern auch den Polizisten in den Rücken, die tagtäglich für diesen Rechtsstaat geradestehen. Das ist keine gute Haltung, und davon sollten Sie sich distanzieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, das rechtliche Gehör und damit auch das Anwesenheitsrecht des Angeklagten sind zentrale rechtsstaatliche Grundrechte unserer Verfassung. Es geht darum, das rechtliche Gehör auszubauen, wenn es um die Revisionsverhandlung geht. Wenn der Angeklagte zukünftig bei einer Revisionsverhandlung, bei der es nur um rechtliche Tatsachen und nicht mehr um eine Instanzenentscheidung, eine tatrichterliche Entscheidung geht, nach Ermessen des Gerichts anwesend sein kann, dann ist dies eine europarechtskonforme Auslegung. Ich glaube, das stärkt ein insgesamt wohlabgerundetes System der Präsenz des Angeklagten.

Aber wir dürfen nach Verabschiedung des Umsetzungsgesetzes nicht ruhen. Es gibt im Bereich der Strafprozessordnung weitere Baustellen, die wir angehen müssen. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die missbräuchlichen Beweis- und Befangenheitsanträge eindämmen wollen. Wir sprechen über Bündelungsmöglichkeiten bei der Nebenklage. Wir müssen über die Möglichkeit der Wiederaufnahme auch zuungunsten des freigesprochenen Angeklagten bei nicht verjährten Straftaten reden. Wir müssen über die Ausweitung der DNA-Analyse sprechen, über die Beschleunigung der Gerichtsverfahren, über einheitliche Qualitätsstandards für Dolmetscher und – was ganz wichtig ist – über die Digitalisierung bei Gerichten und Staatsanwaltschaften. Auch das müssen wir angehen, weil wir insgesamt nur mit einer klaren, handlungsorientierten, aber eben auch rechtsstaatlich soliden Strafprozessordnung das hohe Niveau an Rechtsstaatlichkeit in Deutschland erhalten können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)