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Dr. Volker Ullrich: Das bestehende Recht muss konsequenter angewendet werden

Rede zum Unternehmensstrafrecht

Schwerwiegende Betrugsfälle in unterschiedlichen Branchen haben das Vertrauen der Gesellschaft in unser Wirtschafts- und Rechtssystem nachhaltig erschüttert. In der Automobilbranche wurden durch Abschalteinrichtungen die Abgaswerte von Millionen von Dieselfahrzeugen verfälscht. Im Bereich der Internetbanken wurden der Referenzzinssatz Libor und der Euribor manipuliert. Bei Cum/Ex-Geschäften bedienten sich Banken und Investoren jahrelang an der Steuerkasse mit einem Verlust von etwa 1,5 Milliarden Euro pro Jahr.

Solch eine Unternehmenskriminalität führt zu enormen Schäden unserer Volkswirtschaft. Die Politik muss dafür Sorge tragen, dass sich Unternehmen durch die Verletzung von Vorschriften keine Vorteile verschaffen können. Rechtsbrüche erfordern eine zureichende Bestrafung, sodass Bußgelder nicht in die ökonomische Abwägung eines Unternehmens einfließen dürfen.

Dennoch muss dem Antrag der Fraktion Die Linke bereits in der Überschrift widersprochen werden. Dieser ist überschrieben mit den Worten „Deutschland braucht ein Unternehmensstrafrecht“.

Es ist dogmatisch wenig zielführend, ein Unternehmensstrafrecht zu fordern. Das Strafrecht verlangt ein tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaftes Handeln einer Person. Insbesondere die Schuld setzt eine eigene, höchstpersönliche Vorwerfbarkeit voraus, welche nur ein einsichtsfähiger Täter, nicht aber ein Personenverband oder ein anderweitiges Konstrukt haben kann. Wenn nun ein Unternehmensstrafrecht eingefordert wird, verletzt dies vor allem das Schuldprinzip.

Die Argumentationsversuche im Antrag erwiesen sich letzten Endes auch als nicht schlüssig. Das Unternehmensstrafrecht bleibt auch mit der Feststellung, dass Unternehmen keine Menschenwürde zukomme, weiterhin mit dem Schuldprinzip unvereinbar. Diese Argumentation ist vielmehr ein unzulässiger Zirkelschluss.

Auch die aufgezählten Rechtsfolgen erscheinen problematisch. Wenn im Antrag als Ultima Ratio die Auflösung von Unternehmen und Betriebsschließungen gefordert werden, dann wird eine nicht mehr akzeptable Betroffenheit unbeteiligter Dritter verursacht. Solche Strukturmaßnahmen würden letztendlich zum Verlust des Arbeitsplatzes des kleinen Arbeiters führen. Es kann nicht im Sinne der Antragsteller sein, dass der Arbeiter mit seinem Arbeitsplatz für das Fehlverhalten des Managements haftet. Ich denke aber auch an schutzwürdige Kleinaktionäre, die mit dem Verlust ihrer Altersvorsorge bestraft würden, weil der Vorstand strafbare Handlungen vollzieht, die der Kleinaktionär nicht kontrollieren kann.

Zur Vermeidung von Missverständnissen möchte ich deutlich machen, dass wir in der Verfolgung von Wirtschaftskriminalität sicherlich besser werden müssen. Das bestehende Recht muss konsequenter angewendet werden, und dort wo es notwendig ist, müssen wir das Recht auch nachschärfen.

Ausreichende Kapazitäten bei Polizei und Justiz sind ein Schlüssel für die effektive Verfolgung von rechtswidrigem Handeln innerhalb von Unternehmen. Mit dem Pakt für den Rechtsstaat haben wir einen wichtigen Schritt getan. Die Personalaufstockung von 2 000 Stellen für Richter und Staatsanwälte durch die Länder wird für eine spürbare Entlastung der Justiz sorgen. Die zusätzlichen Kapazitäten können in den Wirtschaftsabteilungen der Staatsanwaltschaften und bei der Besetzung der Wirtschaftsstrafkammern an den Landgerichten genutzt werden.

Als nächsten Schritt müssen wir über eine Reform des Unternehmenssanktionsrechts sprechen. Wir haben dies im Koalitionsvertrag vereinbart, und daran werden wir uns halten. Allerdings kann das Ziel nicht ein Paradigmenwechsel zu einem Unternehmensstrafrecht sein, das einen Systembruch darstellt und sich dem ständigen Verdacht der Verfassungswidrigkeit ausgesetzt sähe. Wir wollen eine zielgenaue Lösung, die an die bestehenden Regelungen im Ordnungswidrigkeitenrecht anknüpft und diese verbessert.

Es muss über die derzeitige Wertgrenze der Verbandsgeldbuße von 10 Millionen Euro gesprochen werden. Für umsatzstarke Unternehmen ist diese zu gering. Rechtsverstöße dürfen nicht in eine ökonomische Kosten-Nutzen-Analyse einfließen und sich letztendlich sogar lohnen. Es ist sinnvoll, eine künftige Höchstgrenze an der Wirtschaftskraft eines Unternehmens auszurichten. Das Damoklesschwert einer Geldbuße von bis zu 10 Prozent des Umsatzes wird es Unternehmen künftig nicht mehr erlauben, über Rechtsverstöße hinwegzusehen.

Unser Ziel muss es vor allem sein, Strukturverbesserungen für die Zukunft zu schaffen. Wir brauchen eine besondere spezialpräventive Ausrichtung der Unternehmenssanktionen, um ein zukünftig gesetzestreues Verhalten zu erreichen.

Es ist beispielsweise an eine zur Bewährung ausgesetzte Geldzahlung zu denken. Wenn Auflagen wie die Wiedergutmachung des verursachten Schadens oder die Einrichtung eines verbesserten Compliance-Systems erfüllt werden, könnte ein Teil der Sanktion erlassen werden.

Wir müssen auch über ein Anreizmodell für kooperierende Unternehmen sprechen. Die freiwillige Bereitstellung von Ergebnissen interner Untersuchungen trägt zum Ermittlungserfolg der Behörden bei. Oftmals werden Beweise geliefert, welche den Behörden sonst verschlossen gewesen wären. Für eine derartige Kooperationsbereitschaft muss es in beschränktem Maße zu einer Strafmilderung kommen.

In diesem Zusammenhang müssen wir auch einen rechtlichen Rahmen für die Unternehmensuntersuchungen, sogenannte Internal Investigations, schaffen. Es stellen sich dabei eine Vielzahl von rechtlichen Fragen zu Mitarbeiterinterviews, Beschlagnahmeverboten oder der Durchsicht von E‑Mails.

Sie sehen, dass wir eine Vielzahl von eigenen Ideen und Vorschlägen für eine Reform des Unternehmenssanktionsrechts haben. Wir laden das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ein, diese mit uns auch zu diskutieren. Die Vorschläge aus dem Antrag sind jedoch nicht zu Ende gedacht, weshalb wir diesen ablehnen werden.