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Dr. Thomas de Maizière: Der Kampf um Meinungsfreiheit ist eine Forderung in alle Richtungen

Rede in der aktuellen Stunde zur Meinungsfreiheit in Deutschland

Dr. Thomas de Maizière (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich heute in dieser Debatte zu Wort gemeldet nicht zuerst als Betroffener des Vorfalls in Göttingen. Ich möchte für all diejenigen sprechen, die schon eine ähnliche Situation erlebt haben; ich bin da keine Ausnahme und kein besonderes Beispiel.

Ich spreche für die vielen Bürgermeister, die vielen ehrenamtlichen Kommunalpolitiker und viele Kollegen dieses Hauses, die auch schon am Sprechen gehindert worden sind. Ich möchte für den Veranstalter in Göttingen sprechen, der persönlich bedrängt und attackiert wurde. Und ich möchte für die 300 Bürgerinnen und Bürger in Göttingen sprechen, die – vielleicht auch strittig – über meine Positionen diskutieren wollten, dafür sogar Geld bezahlt haben, aber nicht gelassen wurden. Die aggressive Blockade richtete sich gegen mich, aber die Leidtragenden waren demokratische Bürgerinnen und Bürger. Sie wurden in Mithaftung genommen für die Meinungskampagne einer radikalen politischen Minderheit, die noch nicht einmal zu ihrem Handeln stand, sondern sich hinter Masken, Schals und Mützen verschanzte.

(Enrico Komning [AfD]: Linke waren das!)

Deswegen werde ich die Veranstaltung in Göttingen übrigens auch sehr gerne wiederholen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was da geschehen ist, kennen wir – ich jedenfalls – schon von linksextremen Chaoten; das ist schlimm genug. Neu ist aber etwas anderes. Ich bin enttäuscht und auch traurig darüber, dass Fridays for Future in Göttingen an vorderster Stelle dabei war, die Treppe besetzt hielt und die Aktion inhaltlich rechtfertigte. Die Veranstaltung hatte nichts mit dem Klimaschutz zu tun.

(Frank Pasemann [AfD]: Was haben Sie denn erwartet?)

Wenn Fridays for Future in Göttingen sich an so etwas beteiligt, diskreditiert das aus meiner Sicht das wichtige Thema des Klimaschutzes.

(Enrico Komning [AfD]: Wo leben Sie denn, Herr de Maizière?)

Vor allem aber diskreditiert es die Bewegung selbst, die sich viel Reputation und Respekt erworben hat.

(Zuruf von der LINKEN)

Deswegen finde ich es auch nicht zu viel verlangt, dass sich die bundesweiten Koordinatoren von Fridays for Future schnell dazu äußern, ob solche Aktionen für die Haltung der ganzen Bewegung stehen und ob sie so etwas als legitimes Mittel für ihre Anliegen begreifen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn sie dazu schweigen, während die Aktion von vielen politischen Parteien verurteilt worden ist, dann wäre das beschämend für viele junge Leute, denen es wirklich um den Klimaschutz geht, und es würde ein trübes Licht auf die ganze Bewegung richten.

(Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sprechen Sie zum Thema!)

Mir geht es aber, meine Damen und Herren, um drei grundsätzliche Punkte zur Meinungsfreiheit; auch deswegen habe ich mich gemeldet. Der Kampf um Meinungsfreiheit ist keine Forderung an rechts oder links, sondern in alle Richtungen. Sie ist genauso eine Forderung an Politik wie an Wissenschaft, an Kultur, an Religion und an Medien. Zur Meinungsfreiheit gehört – und deswegen bin ich dafür –, dass ein umstrittener Professor, dessen Meinung mir nicht gefällt, in Hamburg eine Vorlesung halten kann. Zur Meinungsfreiheit gehört – und deswegen bin ich dafür –, dass ein Verlag, dessen Programm mir nicht gefällt, auf der Frankfurter Buchmesse einen angemessenen Platz bekommt.

(Beifall bei der AfD)

Zur Meinungsfreiheit gehört – und deshalb bin ich dafür –, dass eine politische Künstlergruppe, deren Aktion mir überhaupt nicht gefällt, Betonquader aufstellen kann und das für Kunst hält.

Liebe Kollegin Esken, es gibt wahrscheinlich keinen rechtlichen Anspruch des Vorsitzenden der FDP darauf, in der Hamburger Universität zu sprechen; das mag sein. Aber es würde dem Geist der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit entsprechen, dass er dort diskutieren kann. Daher finde ich die Verweigerung kleinkariert.

(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der FDP – Saskia Esken [SPD]: Das ist keine Frage der Meinungsfreiheit!)

Meinungsfreiheit ist für mich keine Frage von ja oder nein oder von schwarz oder weiß. Die Frage ist nicht nur, ob jemand etwas sagen darf, es ist genauso die Frage, wie jemand etwas sagt, und übrigens auch, wie zugehört wird. Für mich ist Meinungsfreiheit auch die Forderung nach Respekt, nach Gewaltlosigkeit, nach Anstand und Sachlichkeit, nach Ausgewogenheit und Angemessenheit. Für mich gehören zur Meinungsfreiheit – darauf hat unsere grüne Kollegin hingewiesen – natürlich auch Schranken und Grenzen.

Das kann bedeuten, dass man bestimmte Dinge eben nicht sagen darf, weil sie strafbar sind. Das kann bedeuten, dass man bestimmte Dinge jedenfalls nicht in einer bestimmten Weise sagen darf, also: Kritik ja, aber ohne Beleidigungen wie gegenüber unserer Kollegin Renate Künast. Und das kann, ja das muss bedeuten, dass man auf Hass und Hetze verzichtet. Das mag manchmal vielleicht sogar rechtlich zulässig sein; aber es bleibt politisch unanständig.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Bei der Debatte über die Meinungsfreiheit geht es aber um noch viel mehr. Wir werden es in Zukunft wohl mit noch viel mehr unterschiedlichen, mit viel mehr extremen und polarisierenden Meinungen zu tun haben – leider. In einer digitalen Gesellschaft wird dieses Meinungsspektrum weit verbreitet. Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt, auch harte Meinungen und Polemik, muss man aushalten können. Aber wenn Meinungsfreiheit im Internet missbraucht wird, dann müssen wir rechtsstaatliche Wege finden, um herauszufinden, wer im Internet dafür verantwortlich ist. Das ist kein trivialer Vorgang, meine Damen und Herren;

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

da gucke ich gerade die Grünen an.

Und wir werden in Zukunft noch viel häufiger vor der Frage stehen, was eigentlich Meinungen sind. Sind das persönliche Ansichten von Menschen, oder sind das durch Algorithmen verstärkte oder von Algorithmen erzeugte Stimmungen von Maschinen? Sind auch manipulierte Bilder eine Form von Meinung? Und wie können wir das eine von dem anderen unterscheiden? Wenn wir fragen, wie es um den Schutz der Meinungsfreiheit in unserem Land steht, dann müssen wir diese zentralen Fragen angehen.

Zum Schluss ein Wunsch.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege de Maizière, achten Sie auf die Zeit.

 

Dr. Thomas de Maizière (CDU/CSU):

Meine Damen und Herren, ich wünsche mir, dass wir alle allgemein für mehr Mäßigung und Nüchternheit in der politischen Auseinandersetzung und im demokratischen Meinungsstreit werben. Den Grünen sage ich: Es gibt einen schönen Grundsatz – den finde ich sehr gut –: Wenn es ein Problem gibt, -

Vizepräsidentin Petra Pau:

Es tut mir leid, Ihre Redezeit ist zu Ende.

 

Dr. Thomas de Maizière (CDU/CSU):

– dann schau lieber in den Spiegel und nicht aus dem Fenster.

Meine Damen und Herren, vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)