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Dr. Patrick Sensburg: Mit dem Projekt „Wegweiser“ versuchen wir der Radikalisierung sehr frühzeitig entgegenzuwirken

Rede zur untrennbaren Verbindung des Scharia mit dem Islam

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer seriös über ernsthafte Themen diskutieren und debattieren will, der sollte erst einmal parlamentarische Gepflogenheiten einhalten,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

sollte erst einmal Anträge so frühzeitig in den parlamentarischen Raum geben,

(Jürgen Braun [AfD]: Das machen Sie auch nicht!)

dass wir sie gemeinsam intensiv lesen können, debattieren können und dann auch diskutieren können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Interessant ist ja, dass gestern Abend über Ihren Antrag, meine Damen und Herren von der AfD, „Focus“ schon berichtete – ich zitiere –:

AfD provoziert im Bundestag mit schlecht vorbereitetem Antrag gegen Muslime.

Es geht dann weiter – Zitat –:

Die AfD-Bundestagsfraktion will am Donnerstag eine Stunde lang über den Islam diskutieren. Die Parlamentarier der übrigen Fraktionen haben aber praktisch keine Chance, sich darauf vorzubereiten. Denn einen Tag vor der Debatte lag der Antrag immer noch nicht vor.

(Jürgen Braun [AfD]: Das ist üblich so! Bei Ihnen auch!)

Das haben Sie wohl auch gelesen, als Sie dann Ihren Antrag noch einmal in der Nacht von gestern auf heute verändert haben. 8.50 Uhr war er dann in der aktuellen Form hochgeladen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

8.50 Uhr vor der aktuellen Debatte – da würde ich doch um ein bisschen parlamentarische Kollegialität bitten, wenn man über ernsthafte Themen reden möchte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege Sensburg, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU):

Aber sehr gerne. Anders als bei der AfD mögen wir die Debatte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Norbert Kleinwächter (AfD):

Werter Herr Dr. Sensburg, nun ist es so, dass CDU/CSU und SPD zu Punkt 9 der Tagesordnung einen Antrag zum europäischen Bildungsraum gesetzt haben, der erst gestern gegen 12 Uhr verschickt worden ist. Glauben Sie, dass der Ansatz einer späten Versendung von Anträgen zu wichtigen Themen – oder halten Sie den europäischen Bildungsraum nicht für ein wichtiges Thema? – bei der Union besser gerechtfertigt sei als bei der AfD? Glauben Sie, dass sich eine Fraktion an parlamentarische Gepflogenheiten halten muss, während im übrigen Haus – das ist eine große Kritik an alle – Fristen bzw. Gepflogenheiten existieren, die in jedem Kreistag besser geregelt sind? Was hier an Anträgen in letzter Minute hereinkommt, von allen möglichen Fraktionen, kann nicht mehr sinnvoll bearbeitet werden.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unsinn!)

Deswegen meine Frage an Sie, die Sie hier schon länger sitzen: Wie bewerten Sie diese parlamentarischen Gepflogenheiten, die die Union selbst pflegt?

(Beifall bei der AfD)

Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU):

Der Unterschied ist – das sage ich Ihnen auch als Vorsitzender des Geschäftsführungsausschusses und als Mitglied des Ältestenrates –, dass wir den von Ihnen erwähnten Antrag in den Ausschüssen intensiv debattiert haben, während der Antrag, der von der AfD eingebracht worden ist, gestern im Rechtsausschuss noch nicht einmal den Mitgliedern Ihrer Fraktion bekannt war.

(Widerspruch des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])

– Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln. Ich habe gestern im Rechtsausschuss die Frage gestellt, ob die Mitglieder der AfD im Rechtsausschuss den Antrag der AfD kennen, ob sie etwas dazu sagen können. Ich hätte ihn als Redner heute gerne gehabt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ihre Fraktionsmitglieder im Rechtsausschuss haben gesagt, dass sie ihn nicht kennen. Von daher ist der Unterschied schon sehr deutlich.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Im Ältestenrat diskutieren wir regelmäßig über die verspätet eingereichten Anträge der AfD. In der Presse können Sie inzwischen nachlesen, dass es anscheinend Methode hat. Vielleicht denken Sie einmal über Ihre Praxis nach. Wir alle denken über die Praxis nach und achten darauf, dass wir die Gepflogenheiten einhalten: 24 Stunden vor der Debatte. Aber 8.50 Uhr am heutigen Morgen sind nicht 24 Stunden. Dies dient auch nicht diesem ernsthaften Thema.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Federführend ist Ihr Ausschuss!)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege Sensburg, der Kollege Nouripour möchte auch noch eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU):

Gerne. Ich bekomme halt so viele Zwischenfragen.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Bitte, Herr Kollege Nouripour.

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herzlichen Dank, Herr Kollege Sensburg, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Als einer, der sich von den Worten des Kollegen persönlich sehr betroffen fühlt und der das Gefühl hat – um es jetzt einmal in seinen Worten zu sagen –, es kann sein, dass einzelne AfD-Mitglieder so tun, als würden sie zum Grundgesetz stehen, aber die AfD an und für sich steht nicht zum Grundgesetz,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

habe ich zwei Fragen, die wir ihm hier nicht stellen konnten.

Hier war die ganze Zeit von der Scharia die Rede. Es gibt aber ganz viele Arten von Scharia. Unser Job hier ist, dafür zu sorgen, dass die Teile, die mit dem Grundgesetz vereinbar sind, auch angewendet werden können, aber diejenigen nicht, die dies nicht sind. Meine erste Frage ist: Meint der Kollege die Reclam-Ausgabe, wenn er von der Scharia spricht? Wissen Sie, wovon er redet?

Die Geschichte des Islam ist eine ganz lange Geschichte von Interpretationsmöglichkeiten. Bis Ende des 19. Jahrhunderts gab es unter jedem Gutachten einen Satz, der lautete: Wie es aber wirklich ist, weiß nicht der Mensch, sondern nur der Gott der Gläubigen. – Jetzt gibt es zwei Gruppen, die ausschließlich eine einzige Art und Weise der Interpretation rekurrieren. Das sind die Islamisten und die AfD. Die zweite Frage ist: Glauben auch Sie, dass die AfD eigentlich das Spiel der Islamisten spielt und dass sie einander brauchen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU):

Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Zwischenfrage. – Auch ich habe mich, als ich den Antrag gelesen habe – erstmals gestern Abend und auch heute noch einmal –, gefragt: Was ist die Zielrichtung? Es wird weitgehend vermengt und durcheinandergeworfen. Es wird Angst geschürt. Auch werden die unterschiedlichen Formen des Islam – Sunniten, Schiiten, Aleviten – gar nicht differenziert. Das wäre so, als würde man bei der AfD sagen: Alle sind rechtsradikal, alle sind rechtsextrem. – Das ist ja nicht der Fall.

(Zurufe von der AfD)

Auch bei Ihnen gibt es zahlreiche Vernünftige,

(Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zahlreiche? – Nein!)

die wahrscheinlich mit den anderen gar nicht in einen Topf geworfen werden wollen. Wenn ich Ihre unterschiedlichen Debatten in der Fraktion erlebe, denke ich, dass mancher in der AfD sicherlich der Meinung ist: Mit dem einen oder anderen möchte ich nicht gleichgesetzt werden. Von daher ist es grundsätzlich falsch, alles zusammenzuwerfen, zu vermengen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Na ja!)

Wenn ich dann noch sehe, dass der Antrag der AfD – eigentlich der alten Partei; wenn ich Ihren Altersdurchschnitt und Ihre politische Erfahrung in früheren Parteien sehe, dann muss ich sagen, dass Sie politisch erfahren sind – völlig inhaltslos ist, formal zu spät kommt und Sie damit beantragen – ich zitiere aus Ihrem Antrag –, dass geeignete Maßnahmen ergriffen werden sollen, die Verbreitung von im Koran enthaltenen gesetzeswidrigen Inhalten und Aufrufen zu unterbinden, dann muss ich sagen: Wir reden von einem religiösen Schriftstück aus dem 6./7. Jahrhundert. Wie kann man etwas so undifferenziert beantragen. Ich habe vorhin einmal dazwischengerufen: Sollen jetzt hier Textpassagen geschwärzt werden, oder was stellen Sie sich vor? – Das zeigt schon, meine Damen und Herren, dass Ihr Antrag überhaupt nicht debattenfähig ist.

(Zuruf von der FDP: Bücherverbrennung! Damit kennen die sich aus!)

Danke also für die Zwischenfrage.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die AfD hätte in den vergangenen Jahren Lösungsansätze bieten können. Aber da ist seit 2014 nicht viel gekommen. Ich habe mir einmal Ihre unterschiedlichen Anträge herausgesucht: zur Paralleljustiz, Hamburg 2016, zum islamischen Religionsunterricht, Berlin 2017. Der Antrag ist übrigens in weiten Teilen wortgleich mit diesem Antrag. Sie können das ja einmal vergleichen. Dann gibt es einen Antrag zum Islamischen Jugendzentrum, Berlin 2018, und einen zur Parallelgesellschaft in NRW aus dem Jahr 2018. Das war es. Mehr habe ich bei Ihnen nicht gefunden.

Sie selbst schreiben doch in Ihrem Antrag, was man machen könnte. Sie nennen die Paragrafen, die wir haben und die auch greifen: § 111 StGB steht in Ihrem Antrag: Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 126 StGB steht in Ihrem Antrag: Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, § 185 StGB: Beleidigung, § 130 StGB: Volksverhetzung, § 172 StGB: Doppelehe. Das alles steht in Ihrem Antrag. Das Instrumentarium, das, was wir haben, das greift, das funktioniert. Sie haben das selbst in Ihrem Antrag geschrieben; das ist ja das Schräge. Wenn der Kollege Dr. Curio von diesen Strafbarkeiten redet, dann hat er sie in dem eigenen Antrag auch gesehen. Er weiß aber auch: Wir haben das strafrechtliche Instrumentarium, um hier dagegenzuwirken.

Wir können auch über weitere Dinge reden. CDU und CSU gemeinsam haben dieses Thema schon viel länger auf dem Schirm als Sie.

(Zurufe von der AfD)

– Hören Sie doch einmal zu! Sie verstehen das doch sonst gar nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das sind zum Beispiel Fragen der Abschöpfung bei Scharia-Richtern, wie wir die Geldzahlungen, die beispielsweise im Clanbereich gezahlt werden, abschöpfen können.

Es gab in den letzten Jahren eine Vielzahl von Vereinsverboten, gestützt auf die rechtlichen Grundlagen. Ich kann sie Ihnen gar nicht alle vorlesen, weil dafür meine Zeit zu kurz ist. Ich fange nur einmal 2012 an: Millatu Ibrahim: verboten; unanfechtbar geworden. Wir haben Dawa FFM einschließlich der Teilorganisation Internationaler Jugendverein Dar al-Schabab 2013 verboten; al-Nusra 2013; Dawa Team Islamische Audios 2013; Waisenkinderprojekt Libanon e. V. 2014, weil verfassungswidrig; „Islamistischer Staat“ 2014; Tauhid ­Germany 2015; Die wahre Religion, DWR, 2016. Also: Das Instrumentarium wirkt.

Wir könnten auch noch viel weiter gehen. Auch das machen wir, in NRW beispielsweise mit dem Projekt „Wegweiser“ – ich weiß nicht, ob Sie das kennen; vielleicht die Kollegen aus NRW –, mit dem wir versuchen, der Radikalisierung sehr frühzeitig entgegenzuwirken. Das sind Maßnahmen, die etwas bringen – nicht Spaltung, nicht Polarisierung, nicht blinder Populismus und gegen Religion wettern, sondern Maßnahmen bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Erzählen Sie das mal den Opfern!)

Was hat die CDU in den letzten Jahren gemacht? Einen Fraktionskongress im Jahre 2012 – da haben sich die meisten von Ihnen mit diesem Thema noch gar nicht beschäftigt – zum Thema „Islamistische Paralleljustiz in Deutschland? – Eine Herausforderung für den Rechtsstaat?“.

Wir hatten im Jahre 2012 eine eigene Stelle im Haushalt des Bundesministeriums der Justiz, die sich mit dem Phänomen Paralleljustiz beschäftigt hat. 2016 gab es einen weiteren Fraktionskongress. Im Koalitionsvertrag ist auf Seite 133 festgehalten, dass wir illegale Paralleljustiz nicht dulden werden.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Gucken Sie mal in die Stadtteile! Wir haben Paralleljustiz!)

Meine Damen und Herren, wenn Sie sich informieren wollen – meine Redezeit ist jetzt zu Ende –: Lesen Sie Aufsätze von mir zu neuen Kriminalitätsphänomen im Zeichen der Parallelgesellschaft in der „Deutschen Richterzeitung“ 2/2016 nach, zur Parallelgesellschaft 2015. Meine Damen und Herren von der AfD, ein solcher Antrag geht nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Arbeiten Sie im Parlament mit! Seien Sie seriös mit Ihren Anträgen, wenn es wirklich um ernste Themen geht! Spalten Sie nicht das Land, sondern arbeiten Sie gemeinsam an Lösungen mit, zumindest diejenigen von Ihnen, die das wollen!

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)