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Dr. Heribert Hirte: Wir brauchen diese Änderung des Grundgesetzes nicht

Rede zur Erweiterung der Verwirkungsregelung des Artikel 18 des Grundgesetzes

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Ich möchte zunächst einmal festhalten: Die Religionsfreiheit ist für uns ein ganz wichtiges, herausragendes Grundrecht. Sie gilt für den Glauben aller Religionen. Sie gilt für Christen, sie gilt für Juden, sie gilt für Moslems, Aleviten, Bahai, Hindus, Buddhisten, und sie gilt auch für diejenigen, die an nichts glauben, nämlich für die Atheisten.

(Stephan Brandner [AfD]: Genau! So ist das!)

Es ist ein Grundrecht der Menschen, zu glauben. Es ist – das muss man deutlich sagen – nicht ein Grundrecht irgendwelcher religiöser Organisationen oder Einheiten. Es ist ein Grundrecht der Menschen.

Diese Religionsfreiheit – das haben wir schon mehrfach gehört – unterliegt, auch wenn es nicht ausdrücklich im Grundgesetz steht, impliziten Schranken. Das gilt im Übrigen auch für andere Grundrechte. Das Stichwort „praktische Konkordanz“ ist schon mehrfach gefallen. Diese Schranken werden seit Jahrzehnten, seit wir das Grundgesetz haben, von den Gerichten in Rechtsprechung konkretisiert, insbesondere vom Bundesverfassungsgericht. Wir als Gesetzgeber tun dies auch. Den Gerichten, die das in einer intensiven Arbeit in zahlreichen Einzelfällen machen, bin ich deshalb ausdrücklich dankbar dafür, dass sie sich dieser Mühe annehmen und für eine ausdifferenzierte Rechtsprechung jedes Mal den Einzelfall vors Auge nehmen.

Wenn wir uns vor diesem Hintergrund Ihren Vorschlag ansehen, frage ich mich, genauso wie der Kollege von Notz das gerade getan hat: Ist er überhaupt erforderlich? Da heißt es in der Begründung, die man sich genau ansehen muss:

Aufgrund der unterlassenen Aufnahme des Rechts der ungestörten Religionsausübung in die Ver­wirkungsregelung des Artikel 18 GG besitzt der Rechtsstaat keine Handhabe, um offensichtliche Verstöße gegen die Rechtsordnung im Allgemeinen … zu unterbinden.

Wir haben es mehrfach gehört: Das ist schlicht falsch, weil die Gerichtsbarkeit und insbesondere die Strafgerichtsbarkeit in ihren Abwägungsentscheidungen sagt, wo die Religionsausübung ihre Grenze findet. Deshalb: Wir brauchen diese Änderung des Grundgesetzes nicht. Es ist nicht so, dass wir wegen des Fehlens in Artikel 18 GG irgendeinen Handlungsbedarf hätten. Im Gegenteil: Die vier Verfahren, die alle erfolglos waren, zeigen, dass wir eine Änderung in diesem Punkte nicht brauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie sprechen in Ihrem Gesetzentwurf davon, dass wir eine sehr weite Auslegung der Religionsfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht haben. Ja, das ist richtig so. Wenn das Bundesverfassungsgericht über die Anträge entscheiden soll, die Sie ihm zukommen lassen wollen, dann ändert sich doch nichts an der Rechtsprechung, liebe Kolleginnen und Kollegen von AfD.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie – das steht implizit im Gesetzentwurf – die Entscheidungen der Gerichte und insbesondere des Bundesverfassungsgerichts nicht akzeptieren wollen, dann kann ich gerade an Ihre Adresse nur sagen: Entscheidungen zu akzeptieren, ist ein Teil des Rechtsstaats, auch dann, wenn sie Ihnen nicht passen.

Dann kommen wir noch einmal zu der Frage – Kollege von Notz hat es gerade zum Schluss noch einmal angesprochen –, ob eine solche Änderung verfassungsrechtlich zulässig wäre. Er hat darauf hingewiesen, dass gerade die Religionsausübung auch im Hinblick auf die Menschenwürde, die da mitbetroffen ist, ein Grundrecht ist, was nicht einfach so entzogen werden kann. Deshalb ist nicht der Wissenschaftliche Dienst derjenige, der darüber zu entscheiden hat, ob es geht, sondern das wäre das Bundesverfassungsgericht. Das würde das wahrscheinlich anders sehen.

Knüpfen wir noch einmal an die Rechtstechnik an: Wenn Sie schon sagen, es fehlen Grundrechte, dann müsste man unter dem Gesichtspunkt des Artikel 3 Grundgesetz sagen, vielleicht fehlen auch noch andere Grundsätze.

Die Änderung, die Sie vorschlagen, wäre verfassungswidrig. Nach Ihrem Vorschlag – Kollege Ruppert hat es gesagt – muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Das würde für einfache Gerichte quasi eine Sperrwirkung entfalten, die praktische Konkordanz heute zu verwirklichen. Sie gehen zurück, was die Kontrolle der Grenzen der Religionsausübung angeht. Das können wir nicht akzeptieren.

(Abg. Stephan Brandner [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Einen letzten Punkt möchte ich noch sagen. Wenn wir hier ein solches Gesetz verabschieden würden, wäre es eine Steilvorlage für viele Länder, in denen wir uns mit großer Energie dafür einsetzen, dass solche Gesetze nicht geschaffen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für die Christen in diesen Ländern wäre es eine Bedrohungssituation. Die wollen wir nicht verschärfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)