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Dr. Heribert Hirte: Im Insolvenzrecht setzen wir die Strafbewehrung der Insolvenzantragspflicht für einige Monate aus

Rede zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte am Anfang vielleicht noch einmal daran erinnern, was eigentlich die zwei wesentlichen Punkte sind, die alle diese Änderungen im Zivil-, Straf- und Wirtschaftsrecht verbinden.

Es geht erstens darum – die Kollegin Rottmann hat eben darauf hingewiesen –, Zeit zu gewinnen, Zeit zu gewinnen zum Nachdenken, wie die endgültige Verteilung der Lasten im Bereich des Zivil- und Wirtschaftsrechts sein muss. Das ähnelt ein bisschen dem, was wir im Gesundheitsbereich tun. Dort sehen wir, dass wir überfordert wären, wenn wir sofort sagen würden: Wir wissen genau, wie es gehen soll. – Das wissen wir nicht. Diese Unsicherheit – so steht es im Übrigen auch in den haushaltsmäßigen Ausführungen im Gesetzentwurf – müssen wir offen zugeben, und mit dieser Unsicherheit handeln wir.

Der zweite Punkt – der Kollege Thomae hat es sehr deutlich angesprochen –: Wir fangen bei den schwächsten Gliedern an. Das sind die Unternehmen, das sind die Familien, das sind die Privatpersonen. Wenn ein Unternehmen erst mal pleite ist, ausgeschieden aus dem Markt, dann kann es nicht einfach wiederbelebt werden. Eine Familie, die ihre Wohnung verlassen musste, kann nicht irgendwann später wieder in diese rein. Deshalb schützen wir zuerst hier. Wir werden mit Sicherheit in dieser Regresskette, in dieser Dominokette noch einmal darüber nachdenken müssen, wie wir mit diesen Punkten und weiteren Aspekten umzugehen haben. Das Bundesjustizministerium – wir haben es gerade gehört – sammelt die entsprechenden Anregungen.

Lassen Sie mich aber zu den beiden wirtschaftsrechtlichen Aspekten – Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht – noch etwas sagen. Im Insolvenzrecht setzen wir – wir hatten dafür Vorbilder bei den verschiedenen Hochwasserkatastrophen – die Strafbewehrung der Insolvenzantragspflicht für einige Monate aus. Die Unternehmen haben uns schon vor einigen Wochen, als das in China losging, gesagt: Müssen wir nicht einen Insolvenzantrag stellen? Wir haben ein Strafbarkeitsrisiko! – Dieses Risiko, diese Sorge nehmen wir ihnen. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Schritt, um die Unternehmen am Leben zu erhalten.

Wir mildern außerdem die Haftungsregeln ab, die damit verbunden sind, dass Geschäftsführer in dieser Zeit keine Zahlungen mehr leisten dürfen und dass umgekehrt möglicherweise in einer Insolvenz, die später kommt, die Zahlungen, die jetzt geleistet werden, mit der Insolvenzanfechtung rückgängig gemacht werden müssen; das ist der Zusammenhang.

Letzter Punkt. Die Restschuldbefreiung kann nicht auf Zahlungsunfähigkeit in der jetzigen Krisensituation gestützt werden. Zu Recht haben einige Insolvenzverwalter angesprochen – es wurde schon mehrfach gesagt –, dass auch Missbrauch droht. Wir beobachten das sehr genau. Dieser Missbrauch droht vor allen Dingen deshalb, weil in der zentralen Bestimmung steht, dass seit dem 1. Januar die Zahlungsunfähigkeit, die Insolvenzreife vorliegen kann, wenn vermutet werden muss, dass sie auf coronabedingte Sachverhalte zurückgeht.

Dann müssen wir erklären, warum wir dieses Datum gewählt haben. Wir haben es in Abstimmung mit dem Finanzministerium gewählt, weil es genau das Datum ist, von dem an Hilfen beantragt werden können. Es kann nicht sein, dass man insolvent wird, wenn Hilfen möglicherweise gewährt werden können. Aber umgekehrt bedeutet das: Wenn keine Hilfe gewährt wird, weil die Kausalität woanders liegt, dann besteht natürlich auch das Risiko der Insolvenz. – Das müssen wir deutlich sagen. Bei Unternehmen, die nur auf einem lokalen Markt agieren, wird sich die Frage anders stellen als bei internationalen Unternehmen, die von Lieferketten abhängig sind. Also: Wir schauen da hin.

Der nächste Punkt betrifft das Gesellschaftsrecht; es wurde schon angesprochen. Wir führen jetzt erst einmal befristet – aber das ist ein wichtiger Punkt – eine virtuelle Hauptversammlung ein. Hier brauchten wir einen Ausgleich mit den Interessen der Aktionäre. Und ich sage ganz deutlich: Wir müssen das Fragerecht ganz genau ansehen. Wir müssen sehen, ob das so gewährleistet wird, wie es gerade vor dem Hintergrund des Eigentumsschutzes in Präsenzhauptversammlungen gewährt wird. Das ist ein wichtiger Punkt, der vielleicht verbesserungsfähig ist. Wir sehen aber andererseits das Risiko, dass auf Corona gestützte Anfechtungsklagen erhoben werden. Das haben wir ausgeschlossen. Insofern ist das ein richtiger und wichtiger Schritt. Ich bitte um Zustimmung für das Gesetz.

Ich danke und wünsche allen, die erkrankt sind, gute Genesung. Ihnen wünsche ich: Bleiben Sie gesund!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)