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Dr. Heribert Hirte: Das Gesetz nutzt allen Beteiligten

Redebeitrag zum Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung über die Verlängerung der Geltungsdauer des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes. Lassen Sie mich in Erinnerung rufen: Dieses Gesetz ist vor inzwischen vielen Jahren geschaffen worden – wir haben es gehört –, und es ist deshalb geschaffen worden, weil wir eine Masse von Verfahren im sogenannten Telekom-Fall hatten, die von den Zivilgerichten nicht bewältigt werden konnten. Es ging also darum, ähnliche oder identische Sachverhalte kosteneffizient abzuwickeln, in diesem Falle für die Anleger, und eine Wahrnehmungsmöglichkeit für diese Rechte einzuführen.

Wir haben auch gehört: Selbst dieses Verfahren ist bis heute nicht beendet. Das bedeutet auf der einen Seite, wir haben – das waren damals die Gerichte – die Notwendigkeit kollektiven Rechtsschutzes erkannt; wir haben aber andererseits bei diesem Gesetz – und das hat die Anhörung bestätigt – eine ganze Reihe von Defiziten gesehen. Deshalb hatten wir, als das Gesetz vor einigen Jahren geschaffen wurde, auch schon gesagt: Wir müssen den kollektiven Rechtsschutz ein bisschen unter Beobachtung stellen, um zu sehen, was wir besser machen können. Und deshalb war es anfangs befristet, es wurde anschließend verlängert, und wir stehen jetzt vor der Frage einer erneuten Verlängerung.

Alle Sachverständigen haben uns zunächst einmal gesagt: Jetzt ist es richtig, das Gesetz in seinem zeitlichen Anwendungsbereich zu verlängern. – Das tun wir, und das tun wir mit großer Überzeugung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Das hat Brandner nicht verstanden!)

Und dann kommt die zweite Frage: Was hätten wir sonst noch machen können? Ich möchte noch einmal auf die Anhörung verweisen, die nämlich eine ganze Reihe von Defiziten des geltenden KapMuG aufgezeigt hat. Da gibt es natürlich eine Konkurrenzsituation mit dem Gesetz über die Musterfeststellungsklage, was jetzt durch die europäische Richtlinie erneut zu reformieren ist, was aber eine Verbandsklage vorsieht, also einen ganz anderen Ansatz als das, was wir jetzt beim Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz haben. Und das Konkurrenzverhältnis – das hat die Sachverständigenanhörung sehr deutlich gesagt – ist ungeklärt.

Herr Vollkommer sagt, das Gesetz sei überhaupt nicht reformierbar. Herr Halfmeier sagt – und ich fand das überzeugend –: Das Gesetz nutzt allen Beteiligten, es nutzt den Gesellschaften, den Anlegern. – Es ist sozusagen ein wirtschaftspolitisch neutrales Gesetz, und man sollte dann auch an eine Reform dieses Gesetzes denken.

Ich glaube, wir sollten jetzt schon – Kollege Ullrich und ich haben uns deshalb an Sie, Frau Ministerin, gewandt – über die Frage nachdenken, auch im Lichte eines Skandals wie Wirecard, was wir für die geschädigten Anleger tun können in der Zeit des Übergangs bis zu einem möglichen kompletten neuen Reformansatz, der dann die Musterfeststellungsklage und das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz sozusagen in einem Verfahren in irgendeiner Form zusammenführt. Aber wir brauchen in dieser Übergangszeit gerade mit Blick auf die Finanzskandale, die wir haben, auch schon jetzt Ansätze.

Wir haben in der Sachverständigenanhörung eine ganze Reihe sehr guter Vorschläge bekommen, unter anderem von dem damaligen Mitverfasser des Gesetzes, Herrn Richter Reuschle, der auch persönliche Erfahrungen mit diesem Gesetz hat.

Und ich will nur darauf hinweisen: Ein Punkt ist – das wurde uns auch genannt –, die Definition der Feststellungsziele in die Hände des Gerichts zu geben, damit nicht zwischen 250 und 5 ein Riesenstreit entsteht, der dann über Jahre ausgetragen werden muss.

Ein zweiter Punkt ist, die Erheblichkeit zu begründen, warum die Musterfeststellungsklage, warum ein Musterfeststellungsbeschluss gefasst wird, um den aussetzenden Gerichten zu sagen: Da gibt es eine Erheblichkeit, das ist der Grund, warum ausgesetzt wird.

Der dritte Punkt – und es gibt noch einige weitere – ist, die Festlegung des Musterklägers in die Hände des Vorlagegerichts zu stellen. Auch da gab es erhebliche Streitigkeiten.

Als letzten Punkt will ich – gerade weil das ein durchaus veritables Politikum ist – die Frage ansprechen, wie wir mit Befangenheitsanträgen von Richtern in diesen Verfahren umgehen. Ich habe es in der ersten Lesung dieses Gesetzes, glaube ich, schon einmal angesprochen: Wenn wir wissen, dass solche Klagen – das Gleiche gilt für die Musterfeststellungsklage – Bedeutung für Hunderttausende, Zehntausende von Menschen haben, dann müssen wir letztlich die Frage stellen, ob die Richter nicht wie Gesetzgeber fungieren, ob die Befangenheitsregeln des Zivilprozesses das wirklich treffen und ob dann zwei Jahre nach Beginn eines Verfahrens noch ein Befangenheitsantrag gestellt und damit das Verfahren zerschossen werden kann. Das ist nicht im Interesse der Prozessparteien. Hier brauchen wir eine vernünftige Lösung, und ich meine, wir brauchen diese vernünftige Lösung schon jetzt; daran sollten wir gemeinsam arbeiten. Ich hoffe, dass die SPD in diesem Punkte mitzieht. Wir haben viele Anlegerschäden, und die gilt es gemeinsam zu bewältigen.

Ganz wichtig: Diese Verfahren – und da kann man dann zitieren, was die Amerikaner gesagt haben – dienen dazu, kostengünstiger Recht durchzusetzen, im Interesse aller Beteiligten: der Geschädigten, der Unternehmen und auch der Anwälte. Das ist das Oberziel, das am Ende erreicht werden sollte. Wir brauchen effizienten Rechtsschutz für alle. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetz.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Stephan Thomae [FDP])