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Dr. Helge Braun: Wohlstand und Nachhaltigkeit müssen Hand in Hand gehen können

Redebeitrag in der einführenden Generaldebatte zur Nachhaltigkeit

Herr Präsident! Hohes Haus! Diese erste Runde der Debatte will ich einmal positiv so zusammenfassen: Alle sind dafür, dass Deutschland Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit ist. Und dann fangen wir an, uns über die verschiedenen Facetten dieses Themas zu streiten. Ich will Sie alle ganz herzlich einladen: Wir sollten im Deutschen Bundestag angesichts der Größe der Herausforderung, die vor uns steht, den Schulterschluss zeigen und das Thema Nachhaltigkeit gemeinsam angehen; denn die Aufgabe hat eine Dimension, die vieles von dem sprengt, was sich manche vorstellen.

Ich habe 1992 das Buch „Das Ende der Geschichte“ von Francis Fukuyama gelesen. Ich fand die Vorstellung total faszinierend, dass in der Welt Demokratie und soziale Marktwirtschaft das so überragende und gut funktionierende Gesellschaftssystem werden, dass sich die ganze Welt dieses Systems annimmt und in der Folge internationale Konflikte überhaupt nicht mehr auftreten.

(Nicole Höchst [AfD]: Ich habe „1984“ gelesen!)

Im Jahr 2015 haben wir die Nachhaltigkeitsziele gemeinsam beschlossen. Wenn wir uns anschauen, wie sich die Welt seitdem verändert hat, dass Wertungswidersprüche weltpolitisch aufgetreten sind und wie diese Rückwirkungen auf unser Leben hier in Deutschland haben, dann stellen wir sehr deutlich fest, dass das Nachhaltigkeitsziel 16 „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ momentan so stark unter Druck geraten ist, wie ich es mir zu Beginn meiner politischen Arbeit nie hätte vorstellen können. Deshalb ist es eine große gemeinsame Aufgabe, dass Deutschland geschlossen dasteht. Deshalb hat die Bundesregierung stets die Stimme für das internationale Recht, für den Multilateralismus erhoben und hat in den letzten Jahren so viel Geld für die Entwicklungszusammenarbeit ausgegeben wie in keiner Periode zuvor. Das kommt in der Welt auch an. Das sieht man zum Beispiel an der Studie, die vom Pew Research Center veröffentlicht worden ist, die deutlich gemacht hat: Die Menschen weltweit vertrauen keinem Regierungschef so sehr wie Angela Merkel aus Deutschland. Das ist ein gutes Zeichen für unsere internationale Reputation.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Oft ist gesagt worden: Wir müssen bei Nachhaltigkeit ehrgeizig sein. Nachdem ich in der Bundesregierung die Verantwortung über die Nachhaltigkeitsstrategie übernommen habe, habe ich als Erstes darum gebeten, dass wir einmal aufschreiben, wo wir schlecht sind. Herr Miersch, Sie wissen, seit 2009 hängt an jedem öffentlichen Gebäude sichtbar ein Energieausweis. Also, der erste Teil ist erfüllt. Das Zweite ist, dass wir gemeinsam – Frau Schulze und ich – beim Klimaschutzprogramm 2030 beschlossen haben, dass wir verbindlich bis 2030 alle öffentlichen Gebäude des Bundes nach dem Standard EH 55 sanieren. Also auch da sind wir auf dem Weg, gehen als Bund voran. Nur: 16 Bundesministerien zu sanieren, ist keine große Strategie, die die Nachhaltigkeit voranbringt. Was wir allerdings noch gemacht haben, ist, dass wir bei jedem Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie genau geschaut haben, wo wir einen sogenannten Off-Track-Indikator haben. Wo sind wir hinter unseren Zielen? Dann habe ich das mit jedem einzelnen Minister abgeglichen, und wir haben gefragt: Was müssen wir tun, um da besser zu werden? Das ist sozusagen nicht der populäre Teil: „Was macht die Bundesregierung selber?“, sondern das ist die Frage: Nehmen wir unsere politische Verantwortung wahr? Wir haben auf jeden dieser Off-Track-Indikatoren reagiert und haben überall Maßnahmen eingeleitet, um besser zu werden. Darauf kommt es im Kern wirklich an.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Indikator – über ihn wird hier gerade am meisten geredet –, bei dem wir den größten Rückstand haben, ist natürlich das große Thema, dass wir als Industrienation einen sehr hohen Primärenergiebedarf haben und dass wir ihn sehr stark aus fossilen Energien decken. Aber auch bei der Frage, ob es jetzt sinnvoll ist, dass wir eine Debatte darüber führen, ob wir nicht ehrgeizig genug sind, müssen wir uns einmal eines überlegen: Wir haben in dieser Legislaturperiode die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ eingesetzt, die unter Einbindung aller NGOs, der deutschen Wirtschaft und der Regionen, die das hauptsächlich betrifft, in harten, langen Verhandlungen einen Konsens zu der Frage, wie der Kohleausstieg aussehen soll, erarbeitet hat. Und ich finde, wenn man sich den gesellschaftlichen Konsens über Nachhaltigkeitsziele wünscht, dann muss man das Ergebnis einer solchen Kommission erst einmal anerkennen und kann nicht, wenn es einem in einer Richtung nicht passt, sagen: Das ist zu wenig ehrgeizig.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für den gesellschaftlichen Konsens sollten wir genau das tun, was dort beschlossen worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und, damit Sie sich nicht so aufregen, auch Herr Lindner: Ich finde übrigens auch marktwirtschaftliche Methoden hervorragend. Aber genau deshalb hat doch die Bundesregierung beschlossen, jetzt auch in den nationalen Brennstoffemissionshandel einzusteigen.

(Dr. Lukas Köhler [FDP]: Das ist kein marktwirtschaftliches Instrument!)

– Selbstverständlich ist das ein marktwirtschaftliches Instrument.

(Christian Lindner [FDP]: Ihr habt doch den Festpreis beschlossen!)

Und deshalb haben wir auch da eine grundlegende Veränderung unseres Wirtschaftens im Hinblick auf die CO2-Armut der Zukunft.

Und dann die ideologische Wasserstoffstrategie.

(Zuruf des Abg. Christian Lindner [FDP] – Gegenruf des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Lesen hilft!)

– Sie können sich untereinander nachher vielleicht noch unterhalten. Ich würde kurz noch etwas beitragen.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zur Wasserstoffstrategie – ich glaube, sie ist auch noch nicht jedem ganz klar –: Wir werden in Zukunft aus völlig anderen Weltregionen möglicherweise unsere Primärenergie, die dann Grüner Wasserstoff ist, decken als heute.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das hat globale Veränderungen zur Folge. Das ist eine riesige Chance. Auch da können wir in Zusammenarbeit mit anderen Weltregionen Wohlstand schaffen – für uns, aber auch Wohlstand für andere – und mit dem Schaffen von Wohlstand gleichzeitig unsere Klimaziele erfüllen.

(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hinken der Diskussion zehn Jahre hinterher!)

– Das ist das Grundproblem der Grünen. – Wissen Sie, vor zehn Jahren hat Kofi Annan einmal gesagt: Wir müssen „die Mär von der Wahl zwischen Wohlstand und Nachhaltigkeit entlarven“. Und er hat uns damals das Zeugnis ausgestellt:

Deutschland hat den Weg einer grünen Wirtschaft, die auf sauberen, erneuerbaren Energien gründet, eingeschlagen und beweist damit, dass Wohlstand und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen können.

Und das muss unser Ziel sein, danach handelt die Bundesregierung. Ich bitte Sie alle, daran mitzuwirken.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)