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Dr. Günter Krings: Wir müssen Demokratie m ganzen Land gegen Extremisten verteidigen

Redebeitrag in der aktuellen Stunde zur Extremismusbekämpfung

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Jahren schmerzhaft feststellen müssen: Demokratie und Freiheit sind keine Selbstverständlichkeiten. Wir müssen uns vielmehr täglich für sie einsetzen. Dies geschieht in diesem Hohen Haus; denn offener Meinungsstreit und das Ringen um Meinung und Mehrheit sind für unseren freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat existenzielle Voraussetzungen. Aber so notwendig und richtig der leidenschaftliche politische Streit auch ist: Im Kampf gegen Extremisten sollten sich alle Demokraten stets einig sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Konstantin Kuhle [FDP])

Deshalb ist es eine demokratische Minderleistung, wenn Gewalttaten und extremistische Vorfälle dann jeweils nur von denjenigen instrumentalisiert oder angeprangert werden, in deren politische Agenda das gerade hineinpasst. Haben wir es mit einem rechtsextremistischen Vorfall zu tun: dröhnendes Schweigen von rechts, Beschwichtigungen und Relativierungen von rechts, vereinzelt gar Rechtfertigung der Taten, hingegen Reaktionen von Unterstellungen bis hin zu Untergangsszenarien von links. Haben wir es mit einem linksextremistischen Vorfall zu tun, erleben wir das oft spiegelbildlich: die gleichen Beschwichtigungen von links und wilde Beschimpfungen von rechts.

Meine Damen und Herren, ich finde, das ist dann auch keine gute Idee, wenn diejenigen, die zumindest partiell Verständnis für extremistische Taten und extremistische Ränder haben, Verantwortung für die Sicherheit unseres Landes tragen würden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Doch Demokratie muss nicht nur in diesem Hohen Haus verteidigt und gelebt werden, vielmehr müssen wir sie im ganzen Land gegen Extremisten verteidigen. Die Gesetze, die wir uns geben, müssen eingehalten, Rechte anderer geschützt werden. Den Respekt vor Recht und Gesetz, ja, den fordern wir natürlich von jedermann ein in diesem Land, aber ihre Durchsetzung im Konfliktfall ist letzten Endes Aufgabe der Polizei und Sicherheitsbehörden sowie der Justiz in Ländern und Bund. Und ihnen, den Mitarbeitern dort, gilt mein besonderer Dank dafür, dass sie jeden Tag ihren Kopf zum Schutz unserer demokratischen Grundordnung hinhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Unsere Strafverfolgungsbehörden verfolgen die Straftaten objektiv und neutral, und unsere Sicherheitsbehörden lassen sich nicht ideologisch instrumentalisieren. Deswegen möchte ich an dieser Stelle für die gesamte Bundesregierung noch einmal betonen: Wir sind auf keinem Auge blind, wir verfolgen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Linksextremismus und Islamismus gleichermaßen und schon seit Langem mit der gebotenen Härte und Konsequenz. Wir vernachlässigen keinen Bereich, auch wenn aufgrund eines Vorfalls dann gerade ein anderer Bereich im Mittelpunkt der politischen Debatte steht. Wir nehmen die Feinde der Demokratie mit einem 360-Grad-Blick ins Visier.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die jüngsten Beispiele liefern die erschreckenden Vorfälle in Leipzig am vergangenen Wochenende und die Ausschreitungen bei den Coronademonstrationen in Berlin am vorvergangenen Wochenende. Auf beide möchte ich kurz eingehen.

In Leipzig gab es mehrtägige Straßenschlachten von Linksextremisten: dreizehn Polizeibeamte wurden verletzt, sieben Einsatzfahrzeuge beschädigt, die Piloten eines Polizeihubschraubers wurden mit einem Laser geblendet, und wir wissen, wie gefährlich so etwas sein kann. Bei den Krawallen in Leipzig handelt es sich nicht etwa um ein Einzelphänomen. Im Bereich der „politisch motivierten Kriminalität – links“ mussten wir zuletzt auch eine deutliche Steigerung feststellen, von knapp 8 000 Straftaten 2018 auf knapp 10 000 im Jahre 2019. Wir beobachten eine lebensbedrohende Gewaltbereitschaft, die Bestandteil politischer Agitation ist. Die Straftaten der autonomen Szene sind geprägt durch gut vorbereitete, konspirativ durchgeführte Überraschungsangriffe. Mit steigender Gewaltbereitschaft werden Menschen, die nicht dem eigenen Weltbild entsprechen, geradezu gejagt und angegriffen. Betroffen sind der politische Gegner, Polizeibeamte, staatliche Einrichtungen, inzwischen auch Privatpersonen und Mitarbeiter von Unternehmen. Zudem werden immer häufiger Sachbeschädigungen in Millionenhöhe verursacht. Die Bundesregierung verurteilt dies aufs Schärfste; bei Gewalt gibt es keine Toleranz.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Ein sicherlich anders gelagertes Bedrohungsszenario haben wir am vorvergangenen Wochenende in Berlin erlebt: Eine unheilvolle Mischung von Demonstranten überwand die Absperrgitter zu diesem Hohen Haus, um zumindest das Portal des Reichstagsgebäudes einzunehmen. Das äußere Erscheinungsbild dieses Aufmarsches war unter anderem von schwarz-weiß-roten Reichsflaggen und Reichskriegsflaggen gekennzeichnet. Reichsbürger und Rechtsextremisten waren in Berlin prominent vertreten.

Meine Damen und Herren, dieses Haus ist Zentrum der Demokratie, es repräsentiert das ganze Volk. Es steht keiner noch so lautstarken Minderheit – ich betone: keiner noch so lautstarken Minderheit – zu, dieses Gebäude symbolisch für sich zu vereinnahmen oder als Werbefläche zu missbrauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Demokratie muss auch ihre Symbole verteidigen. Bilder, die die Würde dieses Hauses verletzen, schaden dem Ansehen unseres Landes insgesamt. Das ist nicht hinnehmbar. Wir wollen und werden das zukünftig verhindern. Ich halte daher die begonnene Überprüfung des räumlichen Schutzes des Deutschen Bundestages für richtig und für geboten.

Für die Bewertung der Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen insgesamt gilt: Sowohl Verharmlosung als auch Dramatisierung verbieten sich natürlich. Es ist selbstverständlich legal, auch legitim, gegen staatliche Maßnahmen zu protestieren – selbst wenn das auf der Basis von Verschwörungsmythen oder sonstigem Unsinn geschieht, meine Damen und Herren.

Aber Verfassungsschutz und Polizei beobachten sehr genau, dass Rechtsextremisten und Reichsbürger bei diesem Thema ihre Chance sehen, für ihre üblen Ideologien zu werben. Und auch diejenigen, die selbst nicht extremistisch sind, haben ganz offenkundig ein echtes Demokratieproblem, wenn sie nichts dabei finden, Seite an Seite mit erkennbaren Demokratiefeinden aufzutreten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn der Rechtsextremismus als Gesamtphänomen wird zu einer immer ernsteren Gefahr. Die Zahl der „politisch motivierten Straftaten – rechts“ stieg von 20 431 im Jahr 2018 auf 22 342 im Jahr 2019. Und die Taten, die Bluttaten von Kassel, Hanau und Halle, stehen für die zunehmende Brutalität und Menschenverachtung dieser Form des Extremismus.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal auf das Thema Corona zurückkommen. Unabhängig von jeglichem Demonstrationsgeschehen ist für mich klar und wichtig, dass wir sowohl der kleinen Minderheit von Maßnahmengegnern als auch der großen Mehrheit der Befürworter der ergriffenen Schutzvorkehrungen jeden Tag unsere Maßnahmen erklären und begründen müssen. Viele andere Staaten mögen erheblich tiefere Eingriffe in die Freiheitssphäre ihrer Bürger ergreifen, als wir das tun. Aber auch die deutsche Politik zur Pandemiebekämpfung müssen wir immer wieder aufs Neue auf ihre Verhältnismäßigkeit prüfen und nötigenfalls dann auch im Einzelnen anpassen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Antwort auf alle extremistischen Bedrohungen muss lauten: Stärken wir unsere Demokratie, und stärken wir unsere Sicherheitsbehörden, versetzen wir sie in die Lage, den Gefahren wirksam zu begegnen! Ganz konkret heißt das auch – denn die Wahrheit ist immer konkret –: Statten wir etwa den Verfassungsschutz so aus, dass er auch in der digitalen Welt seine Aufgabe als Frühwarnsystem unserer Demokratie effektiv ausüben kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Anpassung des Verfassungsschutzgesetzes etwa muss deshalb nun zügig erfolgen.

(Zuruf: Wann denn?)

Wer demokratiefeindliche Bestrebungen beklagt, muss den Sicherheitsbehörden die erforderlichen Kompetenzen geben, um sie eben auch zu bekämpfen. Genauso nötig ist übrigens eine enge Kooperation zwischen Sicherheitsbehörden und den zivilgesellschaftlichen Initiativen für Prävention.

Meine Damen und Herren, mein Appell richtet sich daher an alle Demokraten: Seien wir konsequent im Kampf gegen gewalttätige und extremistische Bestrebungen gegen unseren Rechtsstaat! Das heißt: Keine Toleranz für die Feinde der Demokratie – egal aus welcher Ecke sie kommen!

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)