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Dr. Andreas Nick: Es ist das erklärte Ziel des Pakts, ungeregelte Migrationsströme zu verringern

Rede in der aktuellen Stunde zum UN-Regelwerk "Global Compact for Migration"

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dieser Aktuellen Stunde soll offenbar der Eindruck erweckt werden – so haben Sie es gesagt, Kollege Hebner –, die Vereinten Nationen wollten mit dem Global Compact for Migration eine nie da gewesene Völkerwanderung in Richtung Europa und in unsere Sozialsysteme in Gang setzen.

(Zurufe von der AfD: Ja, natürlich! – So ist es ja auch!)

Die Stichworte „Migration“ und „internationale Zusammenarbeit“ reichen offenbar schon aus, um bei Ihnen entsprechende Reflexe auszulösen. Das genaue Gegenteil ist in Wahrheit der Fall: Es ist das erklärte Ziel des Pakts, ungeregelte Migrationsströme zu verringern. Es geht um globale Lösungen im Umgang mit Fluchtbewegungen und um geordnete Migration. Es geht an keiner Stelle darum – das ist jedenfalls die klare Position der Bundesregierung –, staatliche Souveränitätsrechte einzuschränken.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, wir wollen Migration ordnen, steuern und begrenzen.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Wo war das denn?)

Deshalb wollen wir die Bekämpfung der eigentlichen Fluchtursachen in den Ursprungsländern in den Vordergrund rücken. Deshalb setzen wir uns für die nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation in den Herkunfts- und Transitländern ein. Deshalb bekämpfen wir illegale Migration und Schleuserkriminalität. Und deshalb wollen wir auch funktionierende Rücknahmeabkommen mit möglichst zahlreichen Herkunftsländern in Afrika und anderswo. Und im Rahmen von Migrationspartnerschaften mag es an der einen oder anderen Stelle sinnvoll sein, im Gegenzug auch klar definierte Kontingente für begrenzte Zuwanderung zu eröffnen, zum Beispiel über Studenten- und Arbeitsvisa. Wir haben alles im Übrigen im Bereich des westlichen Balkan mit großem Erfolg praktiziert. Denn kluge Einwanderungspolitik, wie es im Koalitionsvertrag heißt, verringert „die Attraktivität von illegaler und ungesteuerter Einwanderung“. Gesteuerte Einwanderung muss nach festen, von den Zielländern festgelegten Kriterien erfolgen. Deshalb beteiligen wir uns im Rahmen der UN auch an den Verhandlungen zum Migrationspakt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD])

Resettlement-Programme mit dem UNHCR nach humanitären Kriterien sind eine klare Ergänzung für das, was in diesem Bereich zu tun ist, wie wir es auch im EU-Türkei-Abkommen dargelegt haben.

Meine Damen und Herren, wer eine Steuerung und Begrenzung der Migration erreichen will, kann nicht ignorieren: Fluchtbewegungen und Migrationsdruck sind weltweit eine Realität – und das mehr denn je. 260 Millionen Menschen leben heute in einem anderen Land als ihrem Geburtsland – mehr als jemals zuvor. Weltweit sind derzeit rund 65 Millionen Menschen auf der Flucht, davon über 40 Millionen Binnenvertriebene.

Die meisten Flüchtlinge finden Aufnahme in Nachbarländern, die häufig selbst Entwicklungsländer sind. Mehr als 80 Prozent der Flüchtlinge weltweit halten sich in Staaten mit niedrigem oder mittlerem Einkommen auf. Diese Aufnahmeländer benötigen Unterstützung – auch, um ihre eigene Stabilität weiterhin gewährleisten zu können. Wer globale Wanderungsbewegungen begrenzen und steuern will, der muss auch hier ansetzen. Denn es ist sinnvoll, dass Flüchtlinge möglichst in der Region oder den Nachbarländern verbleiben können; das wahrt am besten ihre Chance auf Rückkehr in ihr Heimatland. Dort muss selbstverständlich ihre elementare Versorgung sichergestellt werden. Das ist nicht nur eine humanitäre Verantwortung; Lastenteilung in dieser Hinsicht ist auch wirtschaftlich sinnvoll.

Die Versorgung und Unterbringung eines Flüchtlings in Europa kostet nach manchen Berechnungen mehr als das Hundertfache des Betrages, den man bräuchte, um ihm in der Region seiner Herkunft sichere Perspektiven zu eröffnen.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Endlich erkennen Sie es!)

Es reicht aber nicht aus, sie dort nur mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft zu versorgen. Viele Menschen bleiben heute länger – oft für mehrere Jahre – in ihrem Zufluchtsland. Sie brauchen auch die Möglichkeit, dort Geld für ihren Lebensunterhalt zu verdienen, um, wie es der Ökonom Paul Collier formuliert hat, „aus Arbeit Würde zu beziehen und ihre Familien zusammenzuhalten“. Dabei ist auch der Zugang zu Bildung für ihre Kinder ein ganz zentrales Thema; auch das haben wir im EU-Türkei-Abkommen berücksichtigt. „Cash for Work“, die Initiative des BMZ, ist ein gutes Beispiel, mit der wir in Jordanien und im Libanon rund 31 000 Jobs in Bildung, im Handwerk und in der Infrastruktur für Flüchtlinge geschaffen haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Beteiligung an den Verhandlungen zum globalen Migrationspakt ist sinnvoll und notwendig. Wir nehmen diese Verantwortung an. Und wer den Menschen in Deutschland einreden will, wir bräuchten uns nur hinter Mauern und Stacheldraht zu verschanzen und uns dann um die Probleme in der Welt nicht mehr zu kümmern, der handelt schlichtweg verantwortungslos.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Und im Zentrum steht für uns auch beim globalen Migrations- und Fluchtpakt die Würde des Menschen.

Wer sich gerne als Retter des christlichen Abendlandes stilisiert, der sollte sich vielleicht auch die Worte des Vatikanvertreters zu Herzen nehmen: Flüchtlinge sind nicht einfach nur Zahlen, die verschoben und zugeteilt werden, sondern jeder Einzelne ist eine individuelle Persönlichkeit mit einem Namen, einer Geschichte und mit seinen ganz persönlichen Hoffnungen und Sehnsüchten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)