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Christoph de Vries: Antisemitismus darf bei uns keinen Platz in der Gesellschaft haben

Rede zum Vertrag vom 6. Juli 2018 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist durchaus würdig, dass wir dieses Gesetz zu dem Vertrag mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland noch zu dieser Abendstunde diskutieren. Ich möchte meine Ausführungen mit einem Zitat von Norbert Lammert beginnen. Er sagte hier am 11. Dezember 2003:

Dass es nach den traumatischen Erfahrungen der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts noch jüdisches Leben in Deutschland gibt, dass inzwischen wieder viele Tausend jüdische Bürger hierher gekommen sind, hier leben und arbeiten, hier Kinder großziehen und hier bleiben wollen, das ist die schönste, überwältigende Vertrauenserklärung, die es für die zweite deutsche Demokratie je gegeben hat.

Meine Damen und Herren, besser kann man das kaum zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dass sich Menschen jüdischen Glaubens wieder in Deutschland zu Hause fühlen, ist sichtbares Zeichen auch dafür, dass wir uns der Schuld der Vergangenheit stellen, dass wir eine offene, demokratische Gesellschaft aufgebaut haben, in der für Antisemitismus kein Platz ist. Das ist keine Selbstverständlichkeit; denn jüdisches Leben in Deutschland war nach den Schrecken der Schoah, nach dem systematischen Massenmord an Millionen von Juden lange Zeit selbstverständlich kaum vorstellbar.

Der Holocaust war nicht nur menschlich ein Zivilisationsbruch, durch ihn ist das Land der Dichter und Denker auch kulturell verarmt; denn selbstverständlich sind die kulturellen und wissenschaftlichen Errungenschaften unseres Landes untrennbar verbunden mit vielen berühmten deutschen Juden wie Albert Einstein, Heinrich Heine, Heinrich Hertz, Max Liebermann und vielen anderen. Auch deshalb kann man, glaube ich, heute sagen: Es ist ein großes Glück, dass wieder rund 200 000 Juden in Deutschland leben und unser Land bereichern, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der AfD, der FDP und der LINKEN)

Gut die Hälfte, 105 000 Juden in Deutschland, sind in den 108 jüdischen Gemeinden organisiert und werden vom Zentralrat der Juden in Deutschland vertreten. Es ist unsere Aufgabe und es ist unsere historische Verpflichtung, diese positive Entwicklung mit allen Kräften zu unterstützen und den jüdischen Gemeinden in Deutschland bei der Wahrnehmung ihrer umfangreichen Aufgaben unter die Arme zu greifen, meine Damen und Herren. Deshalb sind die 3 Millionen Euro, die zusätzlich ausgegeben werden sollen, gut angelegtes Geld, um die Landesverbände und Institutionen des Zentralrates künftig noch stärker zu fördern – seien es Kitas und Schulen, die der Zentralrat betreibt, sei es für die jüdische Wochenzeitung oder sei es für die Ausbildung am Rabbinerseminar. Ich glaube, das ist das Mindeste, was wir tun können.

Aber das reicht nicht. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland wieder Bedrohungen und Angriffen schutzlos ausgeliefert sind; wir haben darüber heute bereits diskutiert. Allein im letzten Jahr hat es in Deutschland 947 antisemitische Übergriffe gegeben; das ist ein Anstieg um 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Wir sehen auch daran: Antisemitismus zu bekämpfen, ist eine ständige Aufgabe. Er darf bei uns keinen Platz in der Gesellschaft haben, egal von wo er kommt, von rechts, von links, von den Islamisten oder aus der Mitte der Gesellschaft, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der AfD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber es geht nicht nur um Lippenbekenntnisse. Wir brauchen auch in den Parlamenten, hier im Hause und anderswo, einen Grundkonsens, dass der Holocaust nicht relativiert wird und dass Antisemitismus nicht wieder salonfähig gemacht wird. Deswegen will ich auch in aller Deutlichkeit sagen: Die nationalsozialistischen Gräueltaten waren kein Vogelschiss in der deutschen Geschichte,

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf: Bravo!)

und das Holocaustmahnmal unweit des Reichstages ist auch kein Denkmal der Schande.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer so etwas sagt, meine Damen und Herren, der entfernt sich aus der demokratischen Mitte unserer Gesellschaft und der kann hier kein glaubwürdiger Mitstreiter gegen Antisemitismus sein – da helfen auch keine Vereinigungen, die man dann in seiner Partei gründet; das hat keine Glaubwürdigkeit.

(Johannes Kahrs [SPD]: So ist das!)

Ich will schließen mit einem Zitat von Richard von Weizsäcker, weil das für meine Generation, glaube ich, ganz zutreffend ist. Er hat in seiner berühmten Rede am 8. Mai gesagt:

Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird.

Ich finde, das ist richtig. Deshalb will auch ich meinen Teil leisten, dass jüdisches Leben in Deutschland weiter gedeihen kann. Lassen Sie uns heute und in Zukunft dafür kämpfen, dass jüdisches Leben in Deutschland wieder gedeihen kann; lassen Sie uns die jüdischen Gemeinden in Deutschland unterstützen!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)