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Bettina M. Wiesmann: Den Geschlechtseintrag in das Geburtenregister brauchen wir

Rede zur Gesetzesänderung über einzutragende Angaben ins Geburtenregister

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gern zur Sache zurückkommen und vorab sagen: Wir spielen hier nicht Gott. Es geht auch nicht um Rosa-Blau-Schemata, sondern um eine ernsthaft zu diskutierende Angelegenheit. Vor knapp fünf Jahren beantragte eine Person namens Vanja die Berichtigung ihres Geburtseintrags, nach dem sie weiblichen Geschlechts war. Bei der vorgelegten Chromosomenanalyse hatte sich herausgestellt, dass sie, die Person, keinen eindeutig weiblichen Chromosomensatz besitzt. Sie wollte deshalb als Geschlechtsangabe „inter/divers“, ersatzweise nur „divers“ in das Geburtsregister eintragen lassen. Das Standesamt lehnte diese Eintragung ab, da nach Rechtslage nur „männlich“, „weiblich“ oder nichts eingetragen werden konnte. Dieser Zustand ist nicht gut. Ein Mensch wie du und ich, aber ohne Geschlecht – weil die Merkmale, die vorgesehen sind, nicht richtig sind –, das geht nicht. Jeder Mensch hat ein Geschlecht, auch wenn sich der Chromosomensatz von 99 Prozent der Bevölkerung unterscheidet. So vielfältig ist die Natur, und so ist es gut.

So hat auch das Bundesverfassungsgericht vor einem Jahr geurteilt und dem Bundestag aufgetragen – darauf haben schon viele hingewiesen –, das Personenstandsgesetz bis Ende dieses Jahres zu ändern. Das tun wir jetzt. Mit dem Gesetz, dessen Entwurf eingebracht wurde, können alle Menschen – auch diejenigen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung – einen positiven Eintrag erhalten. Sie können den Eintrag ändern lassen, wenn sich ihre Variante erst im Laufe des Lebens herausstellt. Sie können auch ihren Namen ändern lassen. Die gewählte Bezeichnung „divers“ grenzt nicht ab und nicht aus, sondern beschreibt wertfrei die Vielfalt. So weit, so gut.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was sind die Kritikpunkte? Als Erstes wird kritisiert, dass der Nachweis der Geschlechtlichkeit durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung erfolgen soll. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird präzisiert, dass es hier nicht um eine genaue Diagnose geht. In der Regel ist Intersexualität – anders als Transsexualität – tatsächlich durch eine einfache Blutuntersuchung feststellbar. Dennoch ist dieser Punkt für Menschen, die möglicherweise häufig und unangenehme Kontakte mit Ärzten hatten, schwer hinzunehmen; das ist schon zur Sprache gekommen. Dafür habe ich auch Verständnis. Ich sehe hier einen Punkt, über den noch gesprochen werden sollte,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beatrix von Storch [AfD]: Da knickt die Union wieder ein! Meine Güte!)

und zwar differenziert nach den Situationen, in denen ein Eintrag vorgenommen oder geändert werden soll.

Zweiter Kritikpunkt sind die geschlechtsangleichenden Operationen, die von manchen Eltern an intersexuellen Kindern veranlasst oder geduldet werden. Dies schafft Tatsachen, ohne dass das Kind sein Empfinden äußern konnte, und zieht häufig enormes Leid der Betroffenen nach sich. Hier muss etwas geschehen. Deshalb steht die entsprechende Änderung im Koalitionsvertrag und auf der aktuellen Agenda dieser Koalition.

Drittens. Es gibt Vorhaltungen seitens transsexueller Menschen und ihrer Vertreter, dass die Regelung ihrer Anliegen, vor allem die Beendigung doppelter psychiatrischer Gutachten, in diesem Gesetzentwurf gar nicht vorgesehen sei. Dazu muss gesagt werden: Es geht um einen formell-rechtlichen Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, den wir zeitnah erfüllen müssen und so auch erfüllen können. Das materiell-rechtliche Gesetzesvorhaben, um Diskriminierungen von Homo‑, Inter- und Transsexuellen entgegenzuwirken – genauso wie es im Koalitionsvertrag steht –, ist ein größeres Projekt, an dem die Bundesregierung bereits arbeitet. Der heute von den Linken eingebrachte Antrag erledigt sich damit vom Verfahren her. Die Bundesregierung ist dran, und Sie – genauso wie wir – werden das Verfahren begleiten.

Für die unmittelbar vor uns liegenden Beratungen bin ich mir in einem Punkt sicher: Den Geschlechtseintrag in das Geburtenregister brauchen wir – das wurde schon gesagt –, weil eine Vielzahl von Regelungen und Ansprüchen darauf basiert. Über die weiterreichenden Fragen sollte bald diskutiert werden. Ich will besonders die Fragen im Zusammenhang mit der Operation am Geschlecht des Kindes hervorheben: Was ist zulässig? Was ist medizinisch notwendig? Wie werden Bevormundungen sowohl der Kinder bzw. der Heranwachsenden als auch der Eltern durch Ärzte vermieden?

Letzter Punkt. Wie kann Geschlechtlichkeit bestimmt werden? Vielleicht ist auch eine professionelle Beratung, welche über Möglichkeiten und Konsequenzen einer veränderten Geschlechtszuordnung informiert, eine gute Lösung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zum Schluss. Nachdem wir heute Morgen ausführlich über Familienentlastungen in der Breite gesprochen haben, bin ich froh, dass wir uns genauso der Anliegen derjenigen annehmen, die ein spezielleres Schicksal haben, die nicht sehr zahlreich, aber genauso wichtig sind und die selbstverständlich und respektiert in der Mitte unserer Gesellschaft leben wollen und leben sollen. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)