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Axel Müller: "Wir brauchen die Mittel des Strafrechts"

Rede zur Reform des Strafrechts

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem etwas sperrigen Titel Ihres Antrags legen Sie uns vonseiten der FDP-Fraktion einen Antrag vor, der aus unserer Sicht für eine Strafrechtsreform nicht geeignet ist und auch nicht die richtigen Ansätze dafür bietet; denn er enthält Punkte, denen eine klare Absage zu erteilen ist.

Zum Ersten. Sie kritisieren, dass das Strafrecht seiner Funktion als letztes Mittel zur Durchsetzung von Recht und Ordnung nicht mehr gerecht werde, weil es sich mit Dingen beschäftige, die keiner strafrechtlichen Regelung oder Verfolgung mehr bedürfen. Die Hauptkritik ist, dass sich die Justiz mit der Verfolgung von Bagatelldelikten aufhalte und die Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit zudem einzelne Strafrechtsnormen reformbedürftig machen würde.

Zwei Punkte greife ich heraus. Der erste Punkt ist: Sie wollen die Strafbarkeit des Ladendiebstahls – wie auch andere in diesem Hause – im Bagatellbereich abschaffen. Die Grenze setzen Sie bei etwa 50 Euro an. Das ist immerhin etwa ein Achtel dessen, was ein Hartz-IV-Empfänger monatlich zur Verfügung hat, also nicht ganz wenig.

Das Zweite: Sie wollen die Leistungserschleichung, das im Volksmund als Schwarzfahren bezeichnete kostenlose Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel, für straflos erklären. Stattdessen sollen beide Delikte – Diebstahl wie Schwarzfahren – als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden, so wie Falschparken, eine Geschwindigkeitsüberschreitung oder das Zuparken eines Behindertenparkplatzes – um Ihr Beispiel aufzugreifen.

Der zweite Punkt erscheint mir noch bedenkenswerter. Andere Strafrechtsnormen, wie beispielsweise § 166 StGB – von Ihnen als Gotteslästerung bezeichnet –, der dem Schutz von Religion und Weltanschauung dient, wollen Sie zur Disposition stellen, da er nicht mehr zeitgemäß sei. Das kommt aus unserer Sicht zumindest in Teilen einer Kapitulation des Rechtsstaates gleich.

(Beifall des Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU])

Sie verschieben die Werteordnung unseres Rechtssystems in bedenklicher Art und Weise, da Sie den Schutz von Eigentum und Vermögen deutlich reduzieren. Sie verkennen mit Ihrer angekündigten Abschaffung des § 166 StGB aus unserer Sicht die Bedeutung dieser strafrechtlichen Norm. Sie schützt die Glaubensfreiheit positiv wie negativ und nicht den Inhalt des religiösen Bekenntnisses, das von einem säkularen Staat nicht geschützt wird. Gerade in Zeiten wie diesen eine strafrechtliche Verkürzung im Bereich der Glaubensfreiheit vorzunehmen, ist für uns das falsche Signal, der falsche Ansatz. Wir brauchen auch die Mittel des Strafrechts. Das ist keinesfalls gesellschaftlich überholt, sondern aktueller denn je.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, auch sonst hinkt Ihr Antrag den aktuellen Entwicklungen und Verbesserungen für die Justiz, die die Große Koalition geschaffen hat, hinterher. Sie sagen, die Justiz sei überlastet, weil sie sich mit den Massenverfahren, wie Ladendiebstahl und Leistungserschleichung, herumschlagen müsse. Das führe dazu, dass Prozesse nicht in der gebotenen Geschwindigkeit durchgeführt werden könnten. Untersuchungsgefangene müssten beispielsweise wegen Verstoßes gegen den Beschleunigungsgrundsatz freigelassen werden. Dabei übersehen Sie völlig, dass diese schwere Kriminalität bei den Landgerichten behandelt wird und die Bagatelldelikte dort gar nicht angesiedelt sind. Gerade die Landgerichte haben wir aber mit dem Pakt für den Rechtsstaat deutlich gestärkt.

Wir haben eine umfassende Reform des Strafprozessrechts, gepaart mit zahlreichen Elementen der Verfahrensbeschleunigung, gegen den Widerstand der FDP durchgesetzt. Personell findet derzeit ein Stellenaufwuchs in Höhe von 2 000 Stellen bei den Richtern und Staatsanwälten statt. Das ist genau die Zahl, die Sie als fehlend monieren.

Ich hatte vor Kurzem die Gelegenheit, mit ehemaligen Kollegen aus dem Bereich der Justiz ins Gespräch zu kommen. Die waren voll des Lobes für diesen Pakt für den Rechtsstaat.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Müller, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung?

 

Axel Müller (CDU/CSU):

Selbstverständlich, Herr Professor Martens.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Gut, Herr Dr. Martens.

 

Dr. Jürgen Martens (FDP):

Vielen Dank, sehr geehrter Herr Kollege. – Eine Frage zu den 2 000 Stellen, die ausgeschrieben worden sind. Von denen sind 200 bei der Bundesanwaltschaft, also nicht bei den Gerichten, zu verorten. Wie viele Stellen sind bei den Gerichten zusätzlich geschaffen worden?

 

Axel Müller (CDU/CSU):

Vielen Dank für die Frage. – Nach unseren derzeitigen Informationen über 1 200. Ich sage Ihnen auch, was im Land Baden-Württemberg geschehen ist. Ich habe mich heute dort noch einmal erkundigt. Bislang wurden seit Amtsantritt unseres derzeitigen Justizministers 700 neue Stellen geschaffen, aktuell 251 Stellen für Richter und Staatsanwälte. Derzeit läuft eine weitere Einstellungsrunde. Allein an meinem früheren Landgericht sind innerhalb weniger Monate vier neue Richterstellen geschaffen worden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])

Sie nehmen mir im Grunde genommen den weiteren Teil meiner Rede vorweg.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine gute Regierung in Baden-Württemberg!)

– Das würde ich an dieser Stelle nicht leugnen wollen, allerdings angeführt von einem CDU-Justizminister, Frau Kollegin Brantner.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einem grünen Ministerpräsidenten! Vor allem war es eine grüne Finanzministerin, die das ermöglicht hat!)

In meinem Wahlkreis gab es im Übrigen im letzten Jahr 50 Haftsachen bei den Landgerichten. In keinem einzigen Fall wurde die sechsmonatige Frist verletzt. In allen Fällen konnte innerhalb der sechsmonatigen Frist, die für Untersuchungshaftgefangene gilt, binnen derer eine Hauptverhandlung durchzuführen ist, die Hauptverhandlung begonnen werden. Im gesamten Oberlandesgerichtsbezirk Stuttgart ging die Zahl der vorgelegten Akten wegen einer Verlängerung der Haftfortdauer über die Sechsmonatsfrist hinaus aufgrund von § 162 StPO zurück. Das ist die niedrigste Zahl seit dem Jahr 2009. Das mag in anderen Bundesländern anders sein. Justiz ist aber Aufgabe der Länder, und die müssen die Justiz organisatorisch und personell so ausstatten, dass sie auch arbeiten kann. Es gibt nicht zuletzt von Gesetzes wegen bei Gerichten die Möglichkeit, in eigener Verantwortung Abhilfe zu schaffen. Wir haben das mit einer dritten Strafkammer getan. Auch bei der Bagatellkriminalität hat die Staatsanwaltschaft bei der Entscheidung zwischen Opportunitätsprinzip und Legalitätsprinzip die Möglichkeit, sich dafür zu entscheiden, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung abzulehnen und beispielsweise eine Verfahrenseinstellung unter Auflagen durchzuführen.

Im Ergebnis komme ich zum Schluss – ich habe den Antrag sehr ernst genommen, Herr Professor Martens –, dass es für uns keinen Grund gibt, Ihrem Antrag zu folgen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)