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Axel Müller: Die Anwesenheit des Angeklagten ist von essenzieller Bedeutung

Rede zum Recht des Angeklagten auf Anwesenheit in der Verhandlung

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch hier geht es darum, wieder etwas mehr Sachlichkeit in die Debatte hineinzubringen. Herr Kollege Seitz, von Ihnen als ehemaligem Staatsanwalt, einem Vertreter der objektivsten Behörde der Welt, hätte ich das eigentlich erwartet.

Das Gesetz zur Stärkung der Rechte des Angeklagten in der Verhandlung als, wie bereits gesagt wurde, Umsetzung einer EU-Richtlinie ist nicht mehr und nicht weniger als das Tüpfelchen auf dem i. Warum sage ich das? Weil im deutschen Strafprozess von Anfang an seit Einführung der Strafprozessordnung im Jahre 1879 der sogenannte Unmittelbarkeitsgrundsatz gilt. Dieser besagt eben, dass alle entscheidungsrelevanten Tatsachen, alle Beweise unmittelbar in ein Urteil des Gerichts einfließen müssen. Zeugen müssen – gleich ob von der Polizei befragt –, Sachverständige müssen – gleich ob sie ein Gutachten zu den Akten eingereicht haben – in einer Hauptverhandlung vernommen und gehört werden. Das trifft in ganz besonderem Maße für den Angeklagten zu. Seine Anwesenheit ist von essenzieller Bedeutung. Das ist die beste Möglichkeit der eigenen Verteidigung, wenn man anwesend ist.

Deshalb sind Verstöße gegen dieses Anwesenheitsrecht des Angeklagten in unserer Strafprozessordnung auch mit einem scharfen Schwert bewehrt, nämlich mit der absoluten Revision. Dies führt unmittelbar zur Aufhebung eines Urteils. Nur in ganz begrenzten Ausnahmefällen geht es überhaupt, dass in Deutschland ohne den Angeklagten verhandelt wird. Dies gilt beispielsweise, wenn er sich nach einer Unterbrechung der Hauptverhandlung eigenmächtig entfernt oder wenn er die Hauptverhandlung derart stört, dass man ihn zur Aufrechterhaltung der Ordnungsmäßigkeit des Sitzungsverlaufs entfernen muss, oder wenn mit seinem Einverständnis vereinbart wurde, dass er fernbleiben kann, weil eine bestimmte Strafe in einer bestimmten Höhe nicht überschritten wird.

Zusätzlich gibt die Strafprozessordnung noch die Möglichkeit, den Angeklagten für eine bestimmte Zeit der Hauptverhandlung zu entfernen, wenn beispielsweise die Konfrontation zwischen ihm und einem Opferzeugen – das ist häufig ein kindlicher Opferzeuge – zu einer Einschüchterung des Zeugen führen könnte. Aber auch in diesen Fällen ist er nach seiner Wiedereinbringung in die Hauptverhandlung über den Gang des zwischenzeitlichen Verfahrens zu informieren.

Dieser Zustand, der eigentlich schon sehr gut ist, wird noch einmal optimiert, indem die Belehrungspflichten ausgedehnt werden, und zwar in praktikabler Weise, und indem das Anwesenheitsrecht des Angeklagten auch in der Revisionshauptverhandlung in handhabbarer Weise verstärkt wird.

Dies geschieht durch drei zentrale Elemente. Zum Ersten – das ist schon gesagt worden – ist der Angeklagte bereits bei der Ladung darüber aufzuklären, dass in bestimmten Fällen in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann. Zum Zweiten – das möchte ich Ihnen schon mitgeben, Herr Kollege Seitz – muss er jetzt mit Zustellung seines Berufungsurteils, das in seiner Abwesenheit getroffen wurde, weil er nicht in der Hauptverhandlung war – da gibt es die Möglichkeit, die Berufung zu verwerfen –, darüber belehrt werden, dass er die Möglichkeit hat, die sogenannte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erreichen, indem er sozusagen seine Entschuldigungsgründe nachreicht, die dann geprüft werden. Er drückt also die Resettaste.

Es ist zwar richtig – ich habe das in meiner Praxis auch gemacht –, dass man die Angeklagten aus der gerichtlichen Fürsorgepflicht heraus auf diese Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinweist. Aber gesetzlich normiert ist es in diesem Umfang nicht. Was spricht denn dagegen, dass man künftig allen Richtern klarmacht, dass diese Vorschrift einzuhalten ist und diese Belehrung zu erteilen ist? Das tut nicht weh.

Zum Dritten und zu guter Letzt – auch das wurde bereits in der Rede des Herrn Staatssekretärs gesagt – wird die Anwesenheit des Angeklagten, der inhaftiert ist, in der Revisionshauptverhandlung insofern gestärkt, als er jetzt ein Anwesenheitsrecht bekommt. Das ist deshalb handhabbar, weil nur wenige Revisionshauptverhandlungen durchgeführt werden. Wir wissen, dass die Masse der Revisionsentscheidungen nach Aktenlage getroffen wird. Es wird keine Beweisaufnahme durchgeführt, sondern es wird lediglich geprüft, ob das Urteil materiell-rechtlich oder verfahrensrechtlich in Ordnung geht. Dazu braucht es natürlich keine Hauptverhandlung und auch nicht die Anwesenheit des Angeklagten. Da genügen das schritliche Urteil und das Hauptverhandlungsprotokoll.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Summa summarum: Allen anderen geforderten Grundrechten des Angeklagten, was Unschuldsvermutung oder die Darstellung der Unschuldsvermutung in der Öffentlichkeit anbelangt, werden wir schon heute gerecht. Wo liegt da jetzt eine Regelungswut vor, Herr Kollege Seitz?

Ich fasse zusammen: Ein ohnehin schon guter Zustand wird optimiert, und bekanntlich soll man ja besser werden, um gut zu bleiben. Das erreichen wir mit diesem Gesetzentwurf.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)