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Axel Müller: Das staatliche Gewaltmonopol nicht ständig infrage stellen

Redebeitrag in der Aktuellen Stunde zu den Gewaltexzessen in Stuttgart

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Mein Wahlkreis erstreckt sich auf das Gebiet Oberschwaben/Württembergisches Allgäu. Man sagt, das ist dort, wo der Süden am schönsten sei. Die größte Stadt ist Ravensburg, sie hat 50 000 Einwohner. Zwischen Ravensburg und Stuttgart sind 180 Kilometer Distanz. Stuttgart hat über 600 000 Einwohner. Man könnte meinen, beide Städte liegen nicht nur räumlich weit auseinander, sondern auch gesellschaftlich. Doch in Wahrheit ist das anders.

Am Montag dieser Woche, um 4.30 Uhr morgens, hat sich in Ravensburg Folgendes ereignet: Es fand eine Polizeikontrolle eines Verkehrsrowdys statt, der betrunken und hupend mit seinem Pkw durch die Stadt fuhr. Die Streife hielt ihn an, kontrollierte ihn, und plötzlich war sie umringt von zehn Personen, die diese Maßnahme behinderten. Unvermittelt erhielt einer der Beamten einen Stoß gegen den Kopf vom Knie des Delinquenten. Es gelang dennoch dessen Festnahme. Am nächsten Tag wurde er dem Richter am Amtsgericht vorgeführt, um ihn in Haft zu nehmen. Dort trafen er und die Beamten allerdings auf eine Menge, die sich zusammengerottet hatte und vor dem Amtsgericht skandierte: Das ist Rassismus!

Ravensburg und Stuttgart sind räumlich weit entfernt, aber gesellschaftlich offenbar sehr nahe, selbstverständlich nicht in den Ausmaßen, aber doch in den Ursachen. Der Polizeipräsident von Ravensburg hat das in einem Zeitungsinterview in der Folge dann wie folgt erklärt: „Staatliche Autorität wird nicht mehr anerkannt.“ Ich glaube, das trifft es sehr gut.

Als ich 1992 als junger Amtsrichter, als erkennbarer Berufsanfänger begonnen habe, war es mir ein Leichtes, eine Strafverhandlung zu führen. Mit 53 Jahren, im Jahre 2017, traf ich auf Reichsbürger, Staatsleugner, ohne jeden Respekt auftretende Angeklagte und Zeugen – schon wesentlich schwieriger war die Situation. Anfeindungen in den sogenannten sozialen Netzwerken, in der Öffentlichkeit, im privaten Bereich, Fotografieren und Verbreiten privater Szenen waren nur einige der Unannehmlichkeiten, denen man sich ausgesetzt sah.

Am meisten und am ehesten trifft der Verlust staatlicher Autorität diejenigen, die sich schon rein optisch für jedermann repräsentieren: die uniformierte Schutzpolizei mit ihren Einsatzfahrzeugen, die als Erste vor Ort sind, die ihren Kopf hinhalten für diesen Staat und seine Bürger. Nicht gerade üppig bezahlt und in manchen Bundesländern auch nicht besonders gut ausgerüstet, riskieren gerade sie ihr Leben, um das Leben und die körperliche Unversehrtheit anderer zu schützen.

Der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, hat das im Innenausschuss diese Woche wie folgt erklärt: Jungen Polizeibeamten und ‑beamtinnen wird in ihrer Ausbildung beigebracht, dass sie dafür da sind, Recht und Gesetz zur Geltung zu verhelfen und Rechtsbrecher dingfest zu machen, um sie der Justiz zu übergeben. In Stuttgart mussten genau diese jungen Beamten und Beamtinnen feststellen, dass sie das nicht mehr konnten, weil ein anarchischer Mob dies vereitelte. Die Lage war außer Kontrolle trotz des Einsatzes aller verfügbaren Kräfte.

Neben der Angst um das eigene Leben oder die körperliche Unversehrtheit erzeugt das bei Polizisten und Polizistinnen das Gefühl der Hilflosigkeit – eine Frustration, die sich leider teilweise auch im Wahlverhalten niederschlägt. Also tun wir doch bitte alles dafür, dass dieses Gefühl der Ohnmacht sich nicht weiter verfestigt. Gesetze und Strafschärfungen bei Übergriffen gegen Polizei und Rettungskräfte sind das eine. Harte, abschreckende Strafen für die Verbrecher in Stuttgart sind das andere und die dringend notwendige Reaktion der Justiz zur Verteidigung unserer Rechtsordnung.

Aber am Ende wird das alles nichts nutzen, wenn in dieser Gesellschaft nicht jeder Einzelne bereit ist, Recht und Gesetz als verbindlich zu betrachten. Dazu gehört, dass man die Integrität anderer respektiert, dass man auch ihre Andersartigkeit respektiert, dass man fremdes Eigentum achtet. Und dazu gehört auch, dass man bei der Steuer nicht bescheißt, nicht vorsätzlich zu schnell fährt oder nicht größer baut, als man darf, usw. usf.

Und dazu gehört, dass man das staatliche Gewaltmonopol nicht ständig infrage stellt, seine Repräsentanten nicht mit Misstrauen überzieht und nicht immer neue Kontrollmechanismen fordert und die Hürden für staatliche Eingriffe nicht immer höher setzt. Jede staatliche Maßnahme unterliegt der Kontrolle durch die unabhängige Justiz, und das genügt.

Diejenigen, die Recht und Gesetz verteidigen – an vorderster Stelle steht da unsere Polizei –, dürfen nicht als Gegner, sondern müssen als das gesehen werden, was sie sind: als Freund und Helfer. Mit den vergleichsweise wenigen, die das alles nicht beachten wollen, wird dieser Rechtsstaat schon fertig – und ich füge zum Schluss hinzu: wenn man ihn denn lässt.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)