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Alexander Hoffmann: Wir wollen kollenktiven Rechtsschutz

Rede zum Verbandsklagerecht

Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen.

Die erste Vorbemerkung geht an Sie, Herr Brandner. Das war jetzt wieder ganz das Prinzip AfD: Sie stellen sich hier vorne hin, machen dicke Backen, zeigen gestisch die ganze Zeit mit dem Finger auf die anderen

(Stephan Brandner [AfD]: Auf wen sonst?)

und erklären, was alles nicht gut läuft. Hat man aber eine Frage, lassen Sie sie nicht zu. Ich weiß, warum Sie sie nicht zulassen: weil Sie keine Antwort haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Keine Antworten und keine Ahnung! – Stephan Brandner [AfD]: Stellen Sie die Frage!)

Das betrifft im Übrigen ganz viele Bereiche, weil das bei Ihnen Prinzip ist. Ich glaube schon, dass Sie bei zukünftigen Reden hier auch einmal durch inhaltliche Tiefe auffallen sollten. Dann erübrigt sich bei mir der Drang nach einer Frage.

(Beifall des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU] – Stephan Brandner [AfD]: Stellen Sie die Frage doch! Sie haben ja keine!)

Die zweite Vorbemerkung geht an die Grünen. Kollegin Rottmann, es war schon fast theatralisches Talent, wie Sie sich als grüne Partei in Szene gesetzt haben als Schutzheilige der Schwachen in diesem Bereich.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kein falscher Neid!)

Ich will das gar nicht ins Lächerliche ziehen. Es gibt unterschiedliche Bereiche, wo wir ein verschobenes Kräfteverhältnis haben und wo wir überlegen müssen: Wie können wir den Schwachen helfen? Aber ich fühle mich an der Stelle natürlich bemüßigt, auf unsere Diskussion in Bezug auf das europäische Urheberrecht hinzuweisen. Da gibt es auch Schwache. Das sind die User, das sind die Urheber. Und es gibt Starke. Das sind YouTube und Facebook. So, wie Sie in den letzten Wochen gerade in diesem Bereich aufgefallen sind, stärken Sie eigentlich nur die Starken, halten denen die Stange. Die Urheber und die User sind Ihnen offensichtlich egal. Da hätte ich einfach eine andere Konstante.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Komisch, dass Ihnen keiner glaubt, was Sie da erzählen!)

Meine Damen, meine Herren, wir wollen kollektiven Rechtsschutz. Wir verbinden damit die Hoffnung, dass es zum effektiven Rechtsschutz gehört, die Gerichte zu entlasten und eben auch die Rechte des Einzelnen zu stärken. Was wir nicht wollen, ist die Förderung einer Klageindustrie, die Überflutung von Gerichten mit Verfahren und dass Klagen womöglich von Personen im Hintergrund, durch Geldgeber gesteuert werden können.

Sie bringen als Beispiel die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart und verknüpfen damit die Schlussfolgerung: Die Musterfeststellungsklage, so wie Sie sie entwickelt und im Gesetz etabliert haben, taugt nicht. – Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich teile das nicht. Ihr erstes Argument ist, die Klagebefugnis sei ja wahnsinnig kompliziert, der Verbraucher wisse gar nicht, ob er klagebefugt ist. Wenn Sie einmal in andere Rechtsbereiche schauen, zum Beispiel ins Baurecht, in den Nachbarschutz, dann müssen Sie ehrlich zugeben, dass heute auch im öffentlichen Baurecht ein Nachbar nicht weiß, ob er klagebefugt ist. Da brauchen Sie die Verletzung einer drittschützenden, einer nachbarschützenden Norm, und das ist ohne Rechtsanwalt gar nicht darstellbar.

Als Zweites nehmen Sie § 610 Absatz 1 Satz 1 ZPO in den Fokus und kritisieren, dass keine weitere Musterfeststellungsklage mehr anhängig gemacht werden kann, wenn schon eine rechtshängig ist. Aber das Ziel, das dahintersteckt, müsste doch, wie ich glaube, in unserem gemeinsamen Interesse sein: Wir wollen bündeln. Wir wollen keine weiteren Klagen. Wir wollen, dass sich auch andere Verbraucher motiviert fühlen, sich auf diese Musterfeststellungsklage zu fokussieren; denn nur so erreichen wir am Schluss die Entlastung von Gerichten.

Ich muss sagen, dass ich die Entscheidung des OLG Stuttgart insgesamt teile. Wenn Sie sich einmal den Zeitraum anschauen, sehen Sie, dass Klägerinnen und Kläger, die sich der Klage angeschlossen haben, insofern nicht benachteiligt sind. Seit dem 1. November 2018 gibt es überhaupt die Möglichkeit der Musterfeststellungsklage. Die mündliche Verhandlung in diesem Verfahren war schon am 25. Januar 2019, das Urteil erfolgte am 20. März 2019. Selbst wenn man jetzt von einem Zeitverlust redet, muss man doch ehrlicherweise sagen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich an diesem Klageverfahren beteiligt haben, am Schluss über § 204 BGB geschützt sind, der die Verjährung in dem Moment hemmt, wo ein Anspruch rechtshängig gemacht wird.

Auch inhaltlich halte ich diese Entscheidung für richtig. Das OLG begründet die Ablehnung der Klagebefugnis damit, dass die Kläger nicht nachweisen konnten, dass sie die Klage nicht zum Zwecke der Gewinnerzielungsabsicht erheben. Da sind wir doch genau bei dem, was wir wollten: Keine Klageindustrie!

Im Übrigen – nur einmal am Rande –: Die Kläger hatten damals anonymisierte Listen vorgelegt. Trotz wiederholter Aufforderung haben sie sich geweigert, entsprechende Konkretisierungen vorzunehmen. Eine inhaltsgleiche Klage ist vom OLG Braunschweig damals überhaupt nicht angenommen worden. Deswegen hat die „FAZ“ am Schluss getitelt, dass der Ausgang dieser Entscheidung absehbar war.

Ich persönlich betrachte es schon kritisch – das ist vorhin beim Kollegen Steineke schon angeklungen –, dass Sie der EU-Richtlinie zur Verbrauchersammelklage hier ein Stück weit den Vorzug geben wollen. Das ist eigentlich mit all dem, was Sie früher gesagt haben, nicht vereinbar. Wenn Sie sich allein einmal anschauen, was das Discovery-Verfahren für den Bereich des Datenschutzes am Schluss bedeutet: Da gibt es Vorgänge, dass Unternehmen gerichtlich gezwungen worden sind, den E-Mail-Verkehr von Mitarbeitern, und zwar auch den privaten, offenzulegen. Das kann, glaube ich, nicht unser Ernst sein. Ich würde mir eigentlich wünschen, dass sich die Grünen weiter davon distanzieren. Deswegen werden Sie Verständnis dafür haben, dass wir Ihrem Antrag heute nicht folgen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)