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Tobias Zech: "Stabilität und Ausgleich schaffen"

Rede zur sozialen Sicherheit in der Corona-Krise"

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zwei Wochen sind alle Regelsätze im Bereich der Grundsicherung gestiegen.

(Kersten Steinke [DIE LINKE]: Wahnsinn! – Kai Whittaker [CDU/CSU]: So ist es!)

Alle Regelsätze! Vor wenigen Wochen haben wir hier gemeinsam mit breiter Mehrheit beschlossen, 2,6 Milliarden Euro mehr ins System zu geben für die Menschen, die sich im Regelkreis der Grundsicherung befinden. Und in die Berechnung des Regelbedarfs haben wir – das ist eine Veränderung – die Kosten für einen Mobilfunkvertrag aufgenommen, um mehr Beteiligung, um mehr Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, und das in einer Zeit, da wir uns in der größten wirtschaftlichen Krise seit dem Zweiten Weltkrieg befinden. Ich sage das nur, um den Stabilitäts- und Ankercharakter unseres Sozialsystems zu betonen. Ich will einmal festhalten, worüber wir heute sprechen: über das im internationalen Vergleich stärkste und stabilste Sozialsystem.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es wäre natürlich zu einfach, zu sagen: Wenn wir jetzt so gut dastehen, dann darf das System nicht reformiert werden. – Aber der jetzige Status ist nicht in Stein gemeißelt. Natürlich muss das System reformiert werden; permanent müssen wir daran arbeiten. Wir müssen Systeme anpassen, wir müssen sie vereinfachen, wir müssen sie entbürokratisieren.

Aber wir dürfen eines nicht vergessen – das geht mir bei Ihrem Antrag ab –, nämlich die Frage des Ausgleichs. Wenn wir über Ausgleich sprechen, dann sprechen wir darüber, dass wir natürlich denen verpflichtet sind, die auf die Solidarität der Gesellschaft angewiesen sind, weil sie unverschuldet arbeitslos geworden sind, weil sie individuelle Schicksale erlitten haben. Denen gebührt die Solidarität der Gesellschaft. Diese Gruppe müssen wir fördern. Es ist aber auch Teil der Wahrheit, dass sich nicht alle Menschen in der Grundsicherung an alle Vorgaben, Regeln und Fristen halten. Das ist der kleinste Teil; nicht einmal jeder Zehnte ist sanktioniert worden. Ich sage das, weil die Frage, wie wichtig Sanktionen für Personen im Regelkreis sind, in der Diskussion immer überhöht wird. Also, nur der kleinste Teil der Menschen in Grundsicherung ist sanktioniert worden. Das heißt: Die meisten halten sich an die Regeln; das ist anscheinend nicht so schwierig. Aber es gibt einen kleinen Teil, der sich halt nicht an die Regeln hält, der Fristen platzen lässt, der nicht jede zumutbare Arbeit annimmt. Auch um diese Menschen müssen wir uns kümmern. Dafür gibt es Sanktionen; das ist das Instrument des Forderns.

Nur im Ausgleich, nur im Gleichgewicht schaffen wir einen sozialen Frieden in diesem Land. Das war einer der Gründe, warum man Hartz IV Anfang der 2000er-Jahre eingeführt hat: um den sozialen Frieden nachhaltig zu erhalten. Das geht mir bei Ihrem Antrag ab. Das Wichtigste, wenn wir über ein Existenzminimum sprechen, ist, dass dieses in beiden Ausgleichssphären Akzeptanz schafft, auch bei denen, deren Verdienst leicht über dem Existenzminimum liegt, die keine Alimentationszahlungen vom Staat beziehen, die ihre Wohnung selber bezahlen müssen, bei denen es keine Wohnraumuntersuchung durch das Amt gibt, weil der Markt die Miete bestimmt. Auch um die müssen wir uns kümmern, auch denen sind wir Rechenschaft schuldig. Ihr Antrag geht weit an einem Ausgleich, weit an Stabilität vorbei, und deswegen können wir ihn nur ablehnen.

Gleichwohl müssen wir uns im weiteren Verfahren darüber unterhalten, was wir bei Hartz IV verändern müssen. Ich denke, wir müssen uns sehr wohl darüber unterhalten, wie wir mit Hinzuverdienstgrenzen einen unterschwelligen, besseren Zugang zum ersten Arbeitsmarkt oder überhaupt wieder zurück zum Arbeitsmarkt ermöglichen. Das muss attraktiv sein, aber es darf nicht zu Fehlallokationen kommen. Ich glaube, dass wir die Antragsverfahren entbürokratisieren und auch in der Kommunikation mit den Ämtern viel mehr auf Digitalisierung setzen müssen und auch das Hartz-IV-Verfahren viel stärker digitalisieren und anpassen müssen. Und ich glaube, dass wir uns im Zusammenhang mit Digitalisierung und Entbürokratisierung auch über Bagatellgrenzen unterhalten müssen, nicht, um diejenigen zu privilegieren, die sich nicht an Regeln halten, sondern um das System nicht zu überfrachten. So schaffen wir wieder ein stabileres System – nicht durch eine Revolution, wie Sie es vorhaben, sondern durch eine Evolution –, und wir werden permanent daran arbeiten.

Noch mal: Vor 13 Tagen trat die Erhöhung der Regelsätze in Kraft. Mit dieser Erhöhung zum 1. Januar 2021 haben wir als Parlament ein Zeichen gesetzt, wie wichtig uns Stabilität ist, auch eine finanzielle. Das darf nicht bloß eine Phrase bleiben. Unser Ziel muss sein, Stabilität und Ausgleich zu schaffen. Dann haben wir auch soziale Sicherheit im Land und ein stabiles System. Ihr Antrag wird diesem Ziel leider nicht gerecht.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)