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Tobias Zech: In diesem Land werden Ausbeutung und prekäre Arbeitsverhältnisse nicht toleriert

Redebeitrag zu Arbeitsbedingungen bei Gig- u. Crowdworking

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Fast als Schlussredner will ich die Debatte ein bisschen schärfen und das, was wir diskutiert haben, in die richtige Richtung lenken. Ich glaube, wir müssen eines verstehen: In diesem Land – egal ob ich selbstständig tätig oder abhängig beschäftigt bin – werden Ausbeutung und prekäre Arbeitsverhältnisse nicht toleriert. Deshalb ist der Gesetzgeber aufgefordert, Mängel zu erkennen und abzustellen. Dafür sind wir heute hier, und das diskutieren wir auch.

In dieser Diskussion, die wir aufgerufen haben, gibt es zwei unterschiedliche Definitionen. Der Crowdworker ist in der Regel gut ausbildet. Der Crowdworker arbeitet in der Regel in einem globalen Wettbewerb, also nicht zwischen Köln und Düsseldorf, sondern zwischen Köln und Taipeh oder zwischen Köln und Marseille.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hast eine gute Stadt als Beispiel genommen! – Gegenruf des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ja, Marseille finde ich gut!)

– Das stimmt. Ich bin mir auch nicht sicher, ob der kulturelle Unterschied zwischen Köln und Düsseldorf nicht größer ist als zwischen Köln und Taipeh.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Unabhängig davon ist beim Crowdworker ein ganz klares unternehmerisches Handeln erkennbar. Hier agiert die Plattform als Vertriebskanal, als Kanal, der Angebot und Nachfrage zusammenbringt.

Davon zu differenzieren ist der Gigworker, der in der Regel einfachere Tätigkeiten verrichtet und der auf einem lokalen Markt agiert. – Matthias, wieder Köln und Düsseldorf.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja!)

Hier agiert die Plattform in einem anderen und viel tieferen und viel weiter gehenden Feld. Es geht nämlich nicht nur um das reine Zusammenbringen von Angebot und Nachfrage, sondern um die Abrechnung, den Einsatz bis hin zum Inkasso. Dennoch gibt es auch hier selbstständige Beschäftigung. Beim Crowdworker sehe ich am wenigsten Handlungsbedarf.

Der Antrag, den ihr formuliert habt, führt dazu, dass man pauschal alle Plattformen zum Arbeitgeber erklärt.

(Jessica Tatti [DIE LINKE]: Das stimmt doch gar nicht! Lesen Sie doch mal den Antrag!)

Er führt dazu, dass ich Gigworker in die Schwarzarbeit treibe, und er führt dazu, dass ich Crowdworking-Plattformen, die nämlich nicht im lokalen, sondern im internationalen Wettbewerb stehen, ins Ausland treibe. Der Antrag, den Sie gestellt haben

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind doch zwei Anträge!)

– oder die beiden Anträge –, hat nicht den Menschen im Fokus, sondern Strukturen.

Ich bin ein Fan von betrieblicher Mitbestimmung. Ich habe mich hier immer für die Tarifeinheit eingesetzt, ich habe mich hier immer für Mitbestimmung eingesetzt. Aber dass man jetzt Crowdworking-Plattformen in den Regelungsraum des Betriebsverfassungsgesetzes stellen will, führt am Ziel vorbei. Sie haben nicht den Menschen im Blick, Sie haben Strukturen im Blick. Somit kann man beide Anträge nur ablehnen.

Aber: Das Thema ist wichtig. Wenn wir in die Zukunft blicken, dann werden wir einen immer weiter sich dynamisierenden Arbeitsmarkt erleben. Wir müssen dem, was wir bei Gigworking, Crowdworking und anderen sich neu entwickelnden Arbeits-, Beschäftigungs- und Selbstständigkeitsverhältnissen erleben, Rechnung tragen. Dabei gibt es zwei Ziele.

Für mich Ziel Nummer eins: Wir brauchen Rechtssicherheit, und zwar Rechtssicherheit für alle am Prozess Beteiligten, für die Kunden, die eine Dienstleistung entgegennehmen, für die Dienstleister, die sie erbringen – natürlich haben sie das Recht, sich als selbstständig anzusehen und selbstständig tätig zu werden –, aber wir brauchen diese Rechtssicherheit auch für die Plattformbetreiber.

Deshalb müssen wir uns – das haben wir heute schon zweimal gehört – mit der Statusfeststellung beschäftigen. Wir brauchen mehr Flexibilität bei der Statusfeststellung. Auch das Ministerium braucht mehr Flexibilität bei der Statusfeststellung, ohne dass wir § 7 SGB IV aufweichen. Wir müssen uns überlegen, ob wir das, was wir in der Vergangenheit gemacht haben – bei der Statusfeststellung auf den Auftrag zu schauen –, auf die Tätigkeit ausdehnen und die Tätigkeiten bewerten. Wir geben den Tätigkeiten das Plazet und somit auch das Gütesiegel einer Selbstständigkeit. Und wir brauchen mehr Fachkompetenz bei der Clearingstelle der Rentenversicherung. Ich denke, wir brauchen ein Expertengremium aus Crowdworkern, Gigworkern, aber auch aus Plattformbetreibern, die diese Dynamik des Arbeitsmarktes bei der Statusfeststellung einbringen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Über manches können wir verhandeln!)

Das zweite Ziel ist viel wichtiger: Wir brauchen eine soziale Absicherung, und zwar für jeden Arbeitenden in diesem Land:

(Beifall der Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU] und Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

für die abhängig Beschäftigten, aber auch für die Selbstständigen, für die Gigworker, für die Crowdworker. Wir brauchen eine Absicherung, um kein System zu schaffen, in dem man sein Leben lang als Crowdworker, Gigworker oder als sonstig Selbstständiger arbeitet und dann in der Altersarmut landet. Wir müssen diesen Menschen ein Hilfsmittel an die Hand geben und sie in die soziale Sicherung bringen. Wir brauchen die Selbstständigkeit, den Mittelstand, die Unternehmen in diesem Land; aber wir brauchen auch eine soziale Absicherung.

Ich kann mir vorstellen, dass wir mit dieser Debatte auch eine Debatte über die Sozialversicherung oder die Alterssicherung von Soloselbstständigen anstoßen. Wir müssen entsprechende Regelungen dafür treffen, aber nicht festgelegt auf eine der Säulen. Vielmehr sollen die Soloselbstständigen frei in der Wahl der Absicherung sein, egal ob betrieblich, privat oder gesetzlich. Aber Vorsorge muss sein.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da können wir uns wieder streiten!)

Dann haben wir ein Zukunftskonzept, dann haben wir ein Konzept, das die Dynamik des Arbeitsmarktes abbildet. Das stellt den Menschen in den Mittelpunkt und nicht die Struktur.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)