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Thomas Heilmann: Wir müssen das Thema noch in dieser Legislaturperiode in den Mikrozensus aufnehmen

Redebeitrag zu Arbeitsbedingungen bei Gig- u. Crowdworking

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Tatti! Liebe Zuschauer, wenige auf der Tribüne, wahrscheinlich mehr an den digitalen Endgeräten! Um die, die vor den digitalen Endgeräten sitzen, geht es ja jetzt auch irgendwie. Ich habe beim ersten Lesen Ihres Antrages, Frau Tatti, gesagt: Na ja, immerhin ist es ein wirklich wichtiges Thema. Gut, dass Sie sich damit beschäftigen, und auch gut, dass Sie uns als Regierungskoalition da treiben. – Umso länger ich mich dann mit den Details beschäftigt habe, je mehr Haare habe ich in der Suppe gefunden. Das wird uns in den Ausschüssen noch eine Menge Arbeit verursachen, wenn wir das wirklich wollen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da sind wir gespannt! – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das wird einfach rasiert!)

Es wird vernünftig zu analysieren und festzustellen sein, worum es geht. Sie haben gerade gesagt, es sei wohlüberlegt. Dieses Kompliment kann ich Ihnen leider nicht machen. Ich will Ihnen auch gerne begründen, warum das so ist.

Vorweg noch mal: Ja, es gibt gerade bei Gigwork, weniger bei Crowdwork unredliche Geschäftsmodelle. Wir sind uns einig: In einer sozialen Marktwirtschaft haben die nichts zu suchen. Dagegen müssen wir etwas tun.

Fangen wir mit Ihrem Zahlenwerk an. Sie sagen selber, 80 Prozent täten es im Nebenerwerb. Nach den Zahlen, die ich nachgelesen habe, sind es eher 99 Prozent. Ich weiß nicht, woher Sie die 80 Prozent haben. Ich finde, die erste Forderung, die wir als Parlament vielleicht gemeinsam erheben sollten, ist, dass wir das Thema Plattformarbeit in den Mikrozensus aufnehmen, um mal wirklich belastbare Zahlen zu haben, wie es denn eigentlich aussieht.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das werden wir unterstützen!)

Dass wir uns hier streiten, ob es jetzt 80 oder 99 Prozent sind, ist ja relativ unproduktiv, wenn man ehrlich ist.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zahlen sind immer wichtig! Das unterstützen wir, Herr Kollege!)

Das Zweite ist: Sie zeichnen hier ein Bild, nach dem die unredlichen Geschäftsmodelle hier dominieren. Auch das kann ich nicht so darstellen. Wenn Sie die Leute fragen, warum sie das machen, dann nennen über 90 Prozent der Leute, die das überwiegend im Nebenerwerb machen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, weitere Aufträge, interessantes Zubrot. Keine 10 Prozent sagen, sie würden sich geldlich gezwungen fühlen, das zu tun. Auch das ist ja ein Indiz.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber dann muss die Arbeit trotzdem fair sein!)

Ich hatte ja schon gesagt: Bei Gigwork ist das Problem sicher größer. Deswegen sollte man damit auch anfangen. Da sind es natürlich vor allen Dingen die Fahrer und die Zustellbranche, bei denen man schwere Bedenken haben kann, ob es eigentlich sinnvoll ist, wie das jetzt organisiert wird. Bei allen anderen, glaube ich, können wir nicht annehmen, dass das Arbeitnehmer sind, weil das nicht der Charakter ihrer Tätigkeit ist, weil es systematisch nicht so ist; das Problem ist auch nicht groß genug.

(Jessica Tatti [DIE LINKE]: Das steht da auch nicht drin! Sie müssen mal anständig lesen!)

– Na ja, Sie sagen natürlich schon, dass bei Gigwork grundsätzlich anzunehmen sei, dass das Arbeitnehmer sind. Das halte ich nicht für sinnvoll.

Sie verschweigen auch, dass die Plattformer auch systematisch in einer Marktwirtschaft große Vorteile bringen. Sie nennen selber Helpling. Eine Plattform wie diese führt eben dazu, dass Putzhilfen usw. nicht überwiegend im Schwarzarbeitsbereich tätig sind, sondern sozusagen ans Licht gezogen werden und auch mal transparenter wird, was da stattfindet, was ich persönlich für einen großen Vorteil halte. Es wird auch mehr nach dieser Arbeit nachgefragt, gerade auch im B2C-Bereich, also von Privathaushalten. Auch das halte ich, ehrlich gesagt, für einen Vorteil, weil es die Arbeitsmenge vergrößert.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind doch keine Selbstständigen!)

Ich halte Ihren Vorschlag – um auch etwas Positives zu sagen –, wir müssten uns mal diese AGBs angucken und überlegen: „Welche AGBs lassen wir zu, und welche lassen wir nicht zu?“, für sehr bedenkenswert. Dem kann ich deutlich mehr abgewinnen als Ihren übrigen Vorschlägen.

Beim Thema Crowdwork vergessen Sie komplett den internationalen Aspekt;

(Jessica Tatti [DIE LINKE]: Nein! Den vergessen wir überhaupt nicht!)

denn nicht nur die Plattformen können im Ausland sein, sondern auch die anderen Anbieter. Selbst der Katalogtextschreiber kann sehr wohl im Ausland sein. Das ist, glaube ich, die erste Wirkung, die wir haben. Wenn Sie sozusagen mit der Bombe auf diese Geschäftsmodelle zugehen, dann ist meine Vermutung, dass das vor allen Dingen international stattfinden wird,

(Jessica Tatti [DIE LINKE]: Sie haben den Antrag einfach nicht ganz gelesen!)

so wie Sie das ja zum Beispiel in der Callcenterbranche schon vielfach erleben.

Abschließend würde ich allerdings auch das Bundesarbeitsministerium bitten, zu sagen: Wir müssen noch in dieser Legislaturperiode vorankommen. – Das betrifft auch das Thema Soloselbstständige und deren Absicherung, die bei Gig- und Crowdwork sozusagen nur teilweise gegeben ist. Was wir auch auf jeden Fall hinbekommen sollten, ist, dass wir das Thema in dieser Legislaturperiode in den Mikrozensus aufnehmen; denn genauere Daten bedeuten, glaube ich, für alle Seiten eine Versachlichung der Debatte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)