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Rudolf Henke: Wir vertrauen denen, dass sie eine Entscheidung treffen, die in der Sache richtig ist

Rede zur Abschaffung des Blutspendeverbot für homosexuelle und transgeschlechtliche Menschen

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Brandenburg, ich will erst mal den Antrag der FDP besonders loben

(Beifall bei der FDP)

und begründe das damit, dass er einen Konsens der, glaube ich, meisten hier im Haus klar formuliert:

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir Sofortabstimmung! – Heiterkeit bei der FDP)

Fraglos ist, dass die medizinische Sicherheit der gewonnenen Blutspenden und die Sicherheit der potenziellen Empfängerinnen und Empfänger höchste Priorität hat.

Der ebenfalls hier zur Debatte stehende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist in gleicher Weise zu loben,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

weil auch in diesem Antrag steht:

Die Sicherheit der Empfänger*innen von Blutspenden muss oberste Priorität haben.

Wie kommt das, dass ein so klarer Konsens da ist? Das hat natürlich damit zu tun, dass wir in den 80er-Jahren die Blut-Aids-Katastrophe erlebt haben, die dazu geführt hat, dass sich damals mehr als 1 500 Bluter durch Blutprodukte, die mit HIV infiziert waren, ihrerseits angesteckt haben. Das ist nicht der einzige Arzneimittelskandal, den es gegeben hat; sondern man muss dazusagen, dass auch das Thema Hepatitis-C-Infektionen im gleichen Zusammenhang steht. Und man muss, weil wir ja in Gesamtdeutschland leben, auch die Anti‑D-Prophylaxe aus den Zeiten der DDR bei Frauen mit bestimmten Blutgruppenkonstellationen erwähnen, bei denen damals 7 500 Infektionen ausgelöst worden sind.

Deswegen muss uns allen gemeinsam klar sein: Wenn wir den Satz formulieren, dass die Sicherheit der Empfängerinnen und Empfänger von Blutspenden „oberste Priorität“ haben muss,

(Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind 30 Jahre weiter!)

dann muss diese Kategorie des Patientenschutzes natürlich auch Konsequenzen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Karsten Hilse [AfD] und Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP])

Ich erlaube mir, aus der Drucksache 12/6700 – das ist „Erste Beschlussempfehlung und Zwischenbericht“ des 3. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses der 12. Wahlperiode – zu zitieren. Dort heißt es auf der Seite 17:

Die bei der Blut-AIDS-Katastrophe offenbar gewordenen Strukturdefizite liegen im Meldesystem und im Risikomanagement.

Es muss in Zukunft sichergestellt sein, daß Risikosignale unverzüglich zu aktiven Maßnahmen zum Patientenschutz führen.

Und in einer Debatte am 6. September 1994 hat der damalige Vorsitzende des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, Gerhard Scheu

(Grigorios Aggelidis [FDP]: Das ist 26 Jahre her!)

– ja, das ist über 20 Jahre her, aber es sind ja Lehren, die bis heute beibehalten werden müssen –,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP])

gesagt:

Gestatten Sie mir eine persönliche Schlußbemerkung: Aus dieser nach Contergan zweiten großen Arzneimittelkatastrophe müssen wirkliche Konsequenzen gezogen werden. Ansonsten bestünde Grund zur Besorgnis.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels [SPD])

Welche Konsequenz ist dann daraus gezogen worden? Es hat dann noch bis zum 7. Mai 1998 gedauert, bis der Deutsche Bundestag zum ersten Mal in Deutschland ein Transfusionsgesetz verabschiedet hat – eine Konsequenz aus den aufschlussreichen Arbeiten des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses über den HIV-Skandal, unter Berücksichtigung der HCV-Problematik.

(Zurufe von der FDP)

Damals ist das Transfusionsgesetz, das wir in der letzten Sitzungswoche in einem bedeutenden Punkt geändert haben, zum ersten Mal ins deutsche Recht eingeführt worden. Und dieses Transfusionsgesetz ist die Grundlage dafür, dass wir sagen: Die Frage, wer zur Spende zugelassen wird, wessen Blut zur Spende angenommen wird und wo wir durch Rückstellungen oder durch Ausschlüsse entscheiden, dass eine Spende nicht möglich ist, ist keine Frage, die politisch entschieden werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf des Abg. Timon Gremmels [SPD])

Nach Auffassung unserer Fraktion ist das keine politische Frage, sondern eine Frage, die im Kern eine wissenschaftliche, eine medizinische, eine epidemiologische Frage ist. Dementsprechend regelt das Transfusionsgesetz, dass es eine Hämotherapierichtlinie geben muss. Die Erarbeitung dieser Hämotherapierichtlinie ist der Bundesärztekammer übertragen worden; daran ist das Paul-Ehrlich-Institut beteiligt. Daran sind also viele hochrenommierte Experten beteiligt. Weil wir deren Dienste als Gesetzgeber in Anspruch nehmen, sage ich jetzt einmal: Ich weise den Vorwurf, dass diese Experten pauschal eine Diskriminierung von Schwulen im Sinn hätten, zurück. Diesen Vorwurf haben die Experten, deren Dienste wir uns zum Schutz der Patienten zu eigen machen, nämlich nicht verdient.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung vom Kollegen Ullmann aus der FDP-Fraktion?

 

Rudolf Henke (CDU/CSU):

Ja, wie immer.

 

Dr. Andrew Ullmann (FDP):

Vielen Dank, Herr Kollege Henke, dass Sie die Frage zulassen. – Ich würde Ihnen gerne, weil Sie auch die Wissenschaft angeführt haben, eine Frage stellen. Wir haben versucht, darzustellen, dass das Verhalten eine wichtige Rolle spielt und nicht die geschlechtliche Identität. Wie unterscheiden wir denn einen One-Night-Stand von Hochrisikoverhalten? Sie sind ja ein ärztlicher Kollege. Wäre es nicht wichtig, auch da zu differenzieren?

Im Übrigen: Seit 1994 – das ist 26 Jahre her – hat sich auch die Untersuchungsmethodik gerade im HIV- und Aids-Bereich dramatisch geändert.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Timon Gremmels [SPD])

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Danke, Dr. Ullmann. – Herr Henke.

 

Rudolf Henke (CDU/CSU):

Zunächst bestätige ich gerne, dass sich viele Untersuchungsmethoden seitdem dramatisch geändert haben. Das ist der wissenschaftliche Fortschritt. Und ich bin ja auch der Meinung, dass dieser berücksichtigt gehört.

Was die heutige Richtlinie Hämotherapie angeht, so orientiert sie sich nicht an gruppenbezogenen Ausschluss- oder Rückstellungskriterien, sondern an einer verhaltensassoziierten Beurteilung der Spendetauglichkeit. Kriterien für einen vorübergehenden Ausschluss sind zum Beispiel auch Auslandsreisen, Schwangerschaft, Impfungen, Operationen.

(Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: Nur für vier Monate!)

Ein Aufenthalt im Vereinigten Königreich von Großbritannien von mehr als sechs Monaten in den Jahren 1980 bis 1996 führt zeitlebens zum Ausschluss von der Blutspende.

(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch keine Antwort!)

Und die Zeitspannen bei Rückstellungen können von einer Woche über vier Monate bis hin zu zwei Jahren gehen. Und die Frage – –

(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Frage beantworten!)

Ich werbe ja nur dafür, dass wir diese Fragen wissenschaftlich entscheiden

(Beifall bei der CDU/CSU)

und nicht politisch. Deswegen ist mir wichtig, noch einmal darauf aufmerksam zu machen, dass wir – jetzt gerade, am Samstag vergangener Woche, in Kraft getreten – das Transfusionsgesetz geändert haben, mit einer Formulierung, die besagt – ich zitiere Artikel 11 des Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite –:

Die Bewertung des Risikos, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von bestimmten Personengruppen von der Spende führt, ist

– so der Koalitionsbeschluss –

im Fall neuer medizinischer, wissenschaftlicher oder epidemiologischer Erkenntnisse zu aktualisieren und daraufhin zu überprüfen, ob der Ausschluss oder die Rückstellung noch erforderlich ist, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau von Empfängerinnen und Empfängern von Blutspenden sicherzustellen.

Zitat Ende.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Henke, kommen Sie bitte mit Ihrer Rede auch zum Ende.

 

Rudolf Henke (CDU/CSU):

Die Koalition hat gehandelt. Das haben wir beschlossen. Und ich werbe sehr dafür, deswegen jetzt nicht einen politischen Druck auf die zuständigen Gremien zu entfalten, sondern zu sagen: Wir vertrauen denen, dass sie eine Entscheidung treffen, die in der Sache richtig ist.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)