Skip to main content

Rudolf Henke: Wir haben diese epidemische Lage aus guten Gründen nicht aufgehoben

Redebeitrag zur Parlamentsbeteiligung bei den Infektionsschutzmaßnahmen

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich auf den rechtspolitischen Teil der FDP-Initiative beziehe, will ich zunächst wie Sie, Frau Aschenberg-Dugnus, eine gesundheitspolitische Einordnung vornehmen. Das Virus unterscheidet nicht zwischen Bund und Ländern, es unterscheidet nicht zwischen Parlament und Regierung, auch nicht zwischen Fraktionen und Parteien.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Aber auch nicht zwischen Touristen und Geschäftsleuten!)

Das Virus kennt nur eine einzige Kategorie: den direkten Kontakt von Menschen. Wir sind die Wirte des Virus, und durch unsere Beweglichkeit, durch unsere Begegnungsfreude hat das Virus die Chance, anzustecken. Deswegen ist Kontaktreduktion nicht in erster Linie eine Frage der Politik, sondern zuvörderst menschlich und mitmenschlich.

Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Fälle hat sich in den vergangenen zehn Tagen von 769 Patientinnen und Patienten am 18. Oktober auf 1 569 Patientinnen und Patienten gestern mehr als verdoppelt. Wenn sich diese Dynamik in diesem Rhythmus fortsetzt, wenn diese Dynamik nicht gebrochen wird und zudem die zunehmende Betroffenheit älterer Menschen und Risikogruppen mitgedacht wird, dann landen wir bei 50 208 Intensivbetten – am 7. November würden es mehr als 3 000, am 17. November mehr als 6 000, am 27. November mehr als 12 500 und am 7. Dezember mehr als 25 000 sein –, die wir am 17. Dezember brauchen. Damit ist das Gesundheitswesen total überfordert. In Tschechien und Belgien arbeiten jetzt schon coronainfizierte Ärztinnen und Ärzte und Krankenpflegekräfte weiter, um die stationäre Versorgung sicherzustellen. Das muss bei uns verhindert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Die gestrigen Entscheidungen sind nach meiner Wahrnehmung eine Konsequenz aus dem exponentiellen Wachstum der Infektionszahlen. In der Tat sind die Infektionszahlen der jüngeren Generation, wenn sie denn gesund ist und keine Begleiterkrankungen hat, nicht das, was uns antreiben muss; aber wir sehen ja, dass nach einigem Vorlauf dann der Eintrag in die ältere Generation stattfindet. Vor allem ist Prävention der Zweck der Übung: flächendeckende Überforderung in den Gesundheitsämtern vermeiden, wieder mehr Kontrolle über Kontaktketten gewinnen. Wir haben gar keine wirksame Aussage darüber, wo die Ansteckungen stattfinden; in 75 Prozent der Fälle wird das in den Meldedaten der Gesundheitsämter nicht identifiziert. Wir wissen auch nicht, ob die Ansteckungen in der Gastronomie und in Kulturbetrieben passieren.

Ich weiß nur, dass ich, der ich mich glaube vorsichtig zu verhalten, bis zu zwölf Kontakte – grüne Kontakte – in meiner Corona-Warn-App sehe. Das bedeutet doch, dass Begegnungen stattfinden müssen, von denen ich gar nichts weiß, mit Menschen, die sich später als infiziert erwiesen haben. Deswegen ist die Vorhaltung von ausreichend Intensivmedizin auch für Menschen, die aus anderen Gründen unvorhersehbar einen solchen Behandlungsbedarf entwickeln – es geht ja nicht nur um Covid-19; es geht auch um Schlaganfallpatienten, um Herzinfarktpatienten, um Patienten mit anderen Infektionskrankheiten –, zentral.

Jetzt argumentieren Sie auf zwei Ebenen: Das eine betrifft erneut die epidemische Lage von nationaler Tragweite und die damit verbundenen Handlungsmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang gibt es aber keinen Mangel an parlamentarischem Einfluss; vielmehr haben wir – von Ihnen beantragt – die Aufhebung dieser Lage zuletzt am 17. September hier debattiert, und wir haben sie mehrheitlich abgelehnt.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Schade!)

- „Schade“, sagen Sie. – Aber es ist doch nicht so, dass wir, weil wir mit der Mehrheit des Hauses Ihren Antrag abgelehnt haben, jetzt das Prädikat verdienen: Da seid ihr keine Demokraten mehr!

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Nie behauptet!)

– Nein? Dann ist es ja gut. Aber dann erwecken Sie auch nicht den Eindruck, als wäre es ein Demokratieverlust, wenn sich Ihr Antrag nicht durchsetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Das ist kein Demokratieverlust. Die Möglichkeit, diese epidemische Lage aufzuheben, hätten wir zu jeder Zeit gehabt und hätten sie beliebig nutzen können. Wir haben es aber aus guten Gründen nicht getan. Und das ist genauso demokratisch und genauso Einlösung des demokratischen Anspruchs wie das, was Sie vortragen.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Aschenberg-Dugnus?

 

Rudolf Henke (CDU/CSU):

Ja.

 

Christine Aschenberg-Dugnus (FDP):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege Henke, für die Zulassung der Frage. Ich wollte klarstellen, dass es nicht um unseren Antrag geht, den wir vor der Sommerpause gestellt haben; vielmehr wollen wir mit dem Antrag, den wir jetzt vorgelegt haben, die Regelung schaffen – die übrigens auch im Land Nordrhein-Westfalen besteht –, dass die epidemische Lage befristet ist und dass dann entsprechend vom Parlament argumentiert werden muss, warum und aus welchen Gründen sie verlängert wird. Nichts anderes steht hier drin.

Es geht jetzt nicht um Einzelanträge, die wir mal gestellt haben. Wir sind der Auffassung, dass es für die Legitimation, sowohl für das Parlament als auch für die Bevölkerung draußen, wichtig ist, dass man Maßnahmen immer wieder überprüft. Das können Sie nur machen, wenn Sie eine Befristung einlegen und dann als Landesregierung, als Bundesregierung wieder aktiv argumentieren müssen, warum Sie der Meinung sind, dass sie verlängert werden muss.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

 

Rudolf Henke (CDU/CSU):

Vielen Dank, Frau Aschenberg-Dugnus, für diese Frage. – Ich will das noch einmal klarstellen: Ja, es gibt eine Befristung, die haben wir hier mit dem ersten Bevölkerungsschutzgesetz beschlossen, und diese Befristung sieht vor, dass alle diese Befugnisse, die zusätzlich eingeführt worden sind, mit dem 31. März 2021 auslaufen.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ein Jahr!)

Also, es gibt eine Befristung.

Wir haben in diesem Haus zweimal über Anträge aus dem Haus diskutiert, diese Regelung vorzeitig auslaufen zu lassen. Wir haben jetzt Ihr Plädoyer, sie gewissermaßen alle zwei Monate erneuern zu müssen. Ich finde, man kann darüber reden, ob man das so macht.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Dann tun Sie es doch!)

– Wir reden ja darüber. – Aber man kann nicht sagen: Wenn die Infektionsschutzmaßnahmen auf diese Grundlage gestellt werden, dann ist es eine klare Grundlage; wenn sie aber bis zum 31. März 2021 befristet werden, dann ist das keine klare Grundlage. – Die Grundlage ist in beiden Fällen klar. Sie können auch nicht sagen, wenn wir Ihrem Antrag folgen, dann sind Demokratie und Parlamentarismus gestärkt, aber wenn demokratisch im Parlament entschieden wird, es anders zu machen, als die FDP es will, sind Demokratie und Parlamentarismus geschwächt. Das, finde ich, ist unter Demokraten keine ordentliche Argumentation. Deswegen wehre ich mich dagegen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Zum Zweiten geht es um § 28 des Infektionsschutzgesetzes und den bislang bewährten Vorrang der Länder, wenn es um die Anordnung von Schutzmaßnahmen geht. Diese Konstellation in Kombination mit § 32 des Infektionsschutzgesetzes ist im Wesentlichen seit dem Jahr 2000 unverändert.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Nein! Das stimmt nicht!)

Wir haben im März im Licht der Pandemie § 28 des Infektionsschutzgesetzes etwas spezifischer gefasst. Wir haben bei der möglichen Einschränkung der Bewegungsfreiheit die Begründung präzisiert. Wir haben auch klar angegeben, welche grundrechtlichen Einschränkungen damit verbunden sind; sie sind alle im ersten Bevölkerungsschutzgesetz aufgezählt.

Ich bin auch dafür, dass wir darüber diskutieren, ob das Infektionsschutzgesetz im Licht dieser Pandemie neu aufzusetzen ist. Ich bin auch dankbar für diese zweiseitige – „Gutachten“ kann man das, glaube ich, nicht nennen – Empfehlung des Wissenschaftlichen Dienstes auf Veranlassung des Bundestagspräsidenten. Aber wir dürfen nicht darüber hinwegsehen, dass die Entscheidungen, die gestern getroffen worden sind, einer Aufforderung – weil Sie von der Aufforderung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gesprochen haben – der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und der Nationalen Akademie –

Vizepräsidentin Petra Pau:

Herr Henke, Sie können gern weitersprechen, tun es aber dann auf Kosten Ihrer Kolleginnen und Kollegen.

 

Rudolf Henke (CDU/CSU):

– der Wissenschaften, Leopoldina, entsprechen. Deswegen: Ja, man kann immer darüber diskutieren, wessen Empfehlungen man folgt; aber, ich finde, man kann nicht sagen: Es gibt keine klare Vorstellung, die die Mehrheit hier vertritt und die sie hier verfolgt.

Ich glaube, es ist gut, diesen Antrag in den Ausschüssen intensiv zu beraten; aber ich sehe keinen Unterschied in der demokratischen Qualität unserer und Ihrer Beiträge.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)