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Rudolf Henke: Wir brauchen weiterhin eine nationnale Strategie

Redebeitrag zur epidemischen Lage von nationaler Tragweite

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst will ich sagen, dass ich der FDP dafür dankbar bin, dass sie diesen Antrag einbringt.

(Beifall bei der FDP)

Ich finde, er unterscheidet sich wohltuend von dem Antrag, den eine andere Fraktion hier vor wenigen Wochen eingebracht hat.

(Enrico Komning [AfD]: Die AfD war es!)

Er unterscheidet sich auch deswegen wohltuend, weil Sie in Ihrem Antrag ausdrücklich anerkennen, dass mit der Aufhebung der epidemischen Lage natürlich sofort Probleme in der Rechtssituation entstünden. Deswegen machen Sie ja sogar den Vorschlag, all die Verordnungen und Anordnungen, von denen Sie sagen, dass sie eigentlich ein Eingriff in die Rechte des Parlaments seien, doch aufrechtzuerhalten, befristen das bis zum 30. September und sagen: Bis dahin sollten wir sie durch Gesetze abgelöst haben.

Ich will ausdrücklich sagen: Ich halte das für eine Herangehensweise, die zu debattieren gut ist. Sie gibt uns ja auch die Möglichkeit, noch mal eine Reflexion vorzunehmen zu der Frage, ob wir die mit der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite in der Tat verbundenen Eingriffe in die Rechte der Bürger – das interessiert mich zunächst am allermeisten –, aber zweitens auch in die Rechte der Parlamente vertreten und verteidigen können. Also, dafür danke.

Aber jetzt müssen wir in der Sache darüber diskutieren, wie wir damit umgehen. Und da, finde ich, machen Sie es sich angesichts der Situation, in der wir sind, ein bisschen zu einfach, weil Sie zwar den guten Teil der Lageentwicklung schildern, aber nicht darstellen, auf welch unsicherem Terrain sich das bewegt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin Bürger Nordrhein-Westfalens, und es elektrisiert mich total, was wir aus Rheda-Wiedenbrück von der Schlachterei Tönnies hören.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es sind jetzt 7 000 Menschen in Quarantäne wegen einer Anzahl von mehr als 650 Infizierten unter den Beschäftigten dort. Die erste Meldung kam am Dienstag dieser Woche: 128 Infizierte. Das hat jetzt diese rasante Entwicklung genommen.

(Dr. Martin Neumann [FDP]: Weil man mehr getestet hat!)

– Ja, weil man mehr getestet hat. Aber das zeigt doch, dass diese Infektionslage nicht beherrscht ist, sondern dass wir mittendrin sind in dieser Pandemie.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Aschenberg-Dugnus?

 

Rudolf Henke (CDU/CSU):

Sie hat zwar schon gesprochen, aber gerne.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Bitte gerne, Frau Kollegin.

 

Christine Aschenberg-Dugnus (FDP):

Vielen Dank, geschätzter Kollege, dass Sie die Frage zulassen. – Würden Sie mir recht geben, dass es sich bei dem, was Sie gerade geschildert haben, um einen regionalen Ausbruch handelt, und würden Sie sagen, dass dieser regionale Ausbruch dazu führt, dass das öffentliche Gesundheitswesen überfordert ist oder dass Nordrhein-Westfalen mit dieser Lage nicht mehr selbstständig und allein fertig wird, sodass der Bund eingreifen muss? Würden Sie das bejahen, oder wie schätzen Sie das ein? – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

 

Rudolf Henke (CDU/CSU):

Dazu muss man sich vergegenwärtigen, ob es um Gefährdungen geht oder um bereits eingetretene Lagen, verehrte Frau Kollegin Aschenberg-Dugnus. In einer sich dynamisch entwickelnden Ausbruchssituation besteht die Gefahr des Eintritts einer erheblichen Gefährdung der öffentlichen Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik, und diese Gefahr ist angesichts der Entwicklung des dortigen Ausbruchs – und das ist ja nicht der einzige – gegeben. Denn wir müssen uns klar darüber sein, dass die Mitarbeiter dieses Betriebes – – Ich will jetzt nicht diese Firma und nur den einen Betrieb ansprechen. Wir haben ja andere Betriebe erlebt. Wir haben das Thema „Deutscher Paketdienst“ erlebt, wir haben Kirchengemeinden gehabt, wir haben Chortreffen gehabt. In diesem Fall leben viele Kinder und Familienangehörige verteilt über zahlreiche Liegenschaften rund um das Unternehmen herum und auch in zahlreichen Nachbarkreisen. Vor diesem Hintergrund kann Ihnen keiner prognostizieren, wie sich jetzt die Ausbreitung angesichts der Situation in Schulen und Kindergärten entwickeln wird. Deswegen, glaube ich, ist es einfach vermessen, zu sagen: Weil wir akut so niedrige Zahlen haben, geben wir uns jetzt mal damit zufrieden.

Ja, es mag sein, dass ein solcher Ausbruch handhabbar ist. Aber das Nachverfolgen von 7 000 in Absonderung befindlichen Menschen, die Notwendigkeit, sie alle zu testen, die Notwendigkeit, dann wieder deren Kontaktpersonen nachzuverfolgen, bringt, so glaube ich, auch dort ein Gesundheitsamt an die Grenzen, weswegen wir ja auch eine Eingreiftruppe des RKI haben, weswegen wir in der epidemischen Lage von nationaler Tragweite sogar zusagen, dass wir mit Kräften der Bundeswehr helfen, wenn es nötig ist. Jetzt stellen Sie sich mal vor, so was passiert gleichzeitig an vier oder fünf oder sechs Stellen in der Bundesrepublik. Dann ist die Lage in Deutschland schlimmer als zu dem Zeitpunkt, zu dem wir die epidemische Lage festgestellt haben,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und das ist, glaube ich, das Kriterium.

Ein zweiter Punkt ist, dass dieser Gefährdungslage für die öffentliche Gesundheit nur begrenzt auf Landesebene begegnet werden kann. Das ist eben nicht der Fall. Vielmehr brauchen wir weiterhin eine nationale Strategie.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Dittmar [SPD])

Sie liegt doch auch der Tatsache zugrunde, dass sich gestern die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Bundesländer – sämtlicher Bundesländer! – wieder auf viele Punkte verständigt haben, die man in einem nationalen Konsens tragen will.

Es tut mir leid, aber wenn wir jetzt vor der Öffnung von Schulen und Kindergärten in den Regelbetrieb hinein stehen, dann macht mich auch eine Nachricht wie die aus Düsseldorf unruhig, wo seit Anfang Juni an elf verschiedenen Schulen zwölf Kinder positiv getestet worden sind.

(Dr. Robby Schlund [AfD]: Oh, das ist aber viel!)

Die Zahl der Schulen, in denen solche Dinge passieren, ist ja nicht klein, und es gibt schon die ersten Schulen, die nach ihrer Öffnung von den örtlichen Gesundheitsämtern wieder geschlossen worden sind. Das zeigt mir: Wir sind mittendrin in der Pandemie, und wir sind mittendrin in der nationalen Ausbreitung.

Für das Land Schweden, das immer so gerne als Beispiel dafür genommen wird, wie toll das mit der Entwicklung der Herdenimmunität sei, gibt es aktuelle epidemiologische Befunde zur Frage: Wie weit ist denn die Seuche durch Schweden durch? – Da hat man Antikörperuntersuchungen gemacht, und da findet man bei den Älteren und Betagten zwischen 65 und 95 eine Quote von 2,9 Prozent, wenn ich es richtig erinnere. Bei den jungen Leuten, also in unserem Alter, bei denen zwischen 20 und 64,

(Heiterkeit der Parl. Staatssekretärin Bettina Hagedorn)

findet man eine Quote von 6,5 Prozent, und bei den Kindern eine Quote von 7,5 Prozent an Antikörpern.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Ja!)

Das ist mehr, als wir es bei uns erwarten können. Aber es zeigt selbst für Schweden, dass natürlich von einer Gruppenimmunität, von einer Kohortenimmunität, von diesem Herdenschutz bei Weitem nicht die Rede sein kann. Deswegen: Wir sind mittendrin, und ich finde das schwierig.

Als letzte Bemerkung auch noch ein paar Hinweise darauf, dass wir natürlich auch etwa eine Regelung haben wie die, dass Studierende, die jetzt pandemiebedingt Tätigkeiten übernommen haben, –

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

 

Rudolf Henke (CDU/CSU):

– dann, wenn wir jetzt Ihrem Antrag folgen würden, sofort wieder auf das BAföG zurückverwiesen würden, weil dann die Nichtanrechnung ihrer Einkünfte in anderen Tätigkeiten –

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

 

Rudolf Henke (CDU/CSU):

– nicht mehr möglich wäre.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Quatsch! Stimmt doch gar nicht!)

Insofern bitte ich Sie: Lassen Sie uns sukzessive, lassen Sie uns verantwortungsvoll vorgehen. Für eine Aufhebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite in Deutschland ist es jetzt zu früh.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)