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Prof. Dr. Matthias Zimmer: Wir haben einen extrem niedrigen Stand an Beziehern von ALG I

Rede zum Arbeitslosengeld I

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Elend der AfD hier gerade gesprochen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An dem Antrag der AfD, meine Damen und Herren, ist zweierlei bemerkenswert. Erstens. Die Arbeitslosenversicherung soll ausgebaut und nicht privatisiert werden. „Wenn das der Meuthen wüsste!“, möchte man Ihnen zurufen. Der will nämlich privatisieren und glaubt, er habe als Parteivorsitzender etwas zu sagen. Aber dann wird einem klar: Genau hier könnte der tiefere Grund dafür liegen, warum die AfD noch kein sozialpolitisches Programm hat.

(Kerstin Tack (SPD): Ja, genau!)

Ich finde allerdings: Sie sind es den Menschen in Deutschland schuldig, zu sagen, was sie wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Außer Flüchtlingen gar nichts!)

Zweitens ist bemerkenswert, dass die Begriffe „Ausländer“ und „Flüchtlinge“ kein einziges Mal in dem Antrag vorkommen. Das ist neu, und man möchte ausrufen: „Wenn das der Höcke wüsste!“

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Ergänzen Sie es!)

Der glaubt nämlich allen Ernstes, an allem Unheil seien nur die Nichtdeutschen schuld. Da hätte man doch mehr erwartet:

(Sebastian Münzenmaier (AfD): Reden Sie auch zum Thema? – Uwe Witt (AfD): Sagen Sie was zu Arbeitslosen, Herr Zimmer!)

Mehr ALG I für die Deutschen und für alle anderen nicht, also einen wahren sozialpolitischen furor teutonicus. Da haben Sie unsere Erwartungen enttäuscht, vermutlich aber auch die Ihrer fremdenfeindlichen Mitglieder und Anhänger. Na ja, der Herr Sichert hat das eben natürlich vollkommen kompensiert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der kommt ja noch!)

Aber genau hier könnte ein weiterer Grund liegen, warum die AfD noch kein sozialpolitisches Programm hat: Weil in Ihrer Partei völlig unklar ist, ob Menschenrechte ein germanisches Vorrecht sind oder für alle gelten.

(Heiterkeit der Abg. Kerstin Tack (SPD))

Ich finde, Sie sind uns schuldig, auch das einmal zu klären.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Kommen wir zum Antrag.

(Dr. Alice Weidel (AfD): Ah, endlich mal! – Martin Hebner (AfD): Endlich mal! Über was wollen Sie denn noch reden? – Zuruf des Abg. Dr. Alexander Gauland (AfD))

– Ich habe von Ihnen gelernt, Herr Gauland. Erst einmal ein bisschen allgemein über alles Mögliche reden und dann inhaltlich möglichst gar nicht. Da habe ich wirklich von Ihnen gelernt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Sollen wir den Bezug von Arbeitslosengeld I an die geleisteten Beitragsjahre koppeln? Ich persönlich halte einen solchen Vorschlag für falsch. Wir haben einen extrem niedrigen Stand an Beziehern von ALG I und eine seit Jahren abnehmende Zahl von Wechseln von SGB I in SGB II.

(Zuruf von der AfD: Halbe Million!)

Bei den meisten Arbeitslosen handelt es sich um friktionelle Arbeitslosigkeit, also eine Sucharbeitslosigkeit, die keine strukturellen oder konjunkturellen Gründe hat. Setzen wir Ihren Vorschlag um, geben wir Anreize, länger in der Arbeitslosigkeit zu bleiben, und wir geben gerade bei den langjährig Beschäftigten Anreize, Brücken zu bauen: über den Bezug von Arbeitslosengeld in die Frühverrentung. Das ist in unserer Arbeitsmarktsituation, wo wir jeden brauchen, ein falsches Signal.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweiter Punkt: Die Arbeitslosenversicherung bevorzugt im Augenblick Menschen, die etwas älter sind; sie können Leistungen länger beziehen. Das ist auch in Ordnung; denn sie sind auch schwieriger wieder zu vermitteln. Bei Ihrem Vorschlag sehe ich allerdings folgendes Problem: Wer einen durchbrochenen Lebenslauf hat – einmal selbstständig, dann arbeitslos, dann in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis –, der bekommt, wenn er so Mitte fünfzig ist, nach Ihrem Modell weniger lange Geld, als er heute bezieht. Er hat nämlich dann vielleicht nicht die notwendige Anzahl an Jahren einbezahlt. Ich vermute, dass die Anzahl der Menschen, die solche Biografien haben, in den nächsten Jahren eher zunimmt.

(Uwe Witt (AfD): Das ist wie bei der Rentenversicherung!)

Die profitieren aber von der jetzigen Regelung mehr als von Ihrem Vorschlag.

(Sebastian Münzenmaier (AfD): Das ist aber die Grundlage der Arbeitslosenversicherung!)

Meine Damen und Herren, ich hatte ein wenig den Eindruck, die AfD hat einfach einmal einen Vorschlag gemacht – ohne jegliche konzeptionelle Hinterlegung, ohne sich zu fragen, welche Konsequenzen das hat, und natürlich auch, ohne die Frage zu beantworten, wie viel das kostet. Das ist politisch zu wenig – als Zeichen Ihrer programmatischen Insolvenz reicht es aber vollkommen aus.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Alexander Gauland (AfD): Das war wieder die Zimmer-CDU aus Frankfurt! Die Wallmann-CDU war besser!)