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Prof. Dr. Matthias Zimmer: Ohne vorgängige Einwilligung darf der tote Körper nicht Mittel zum Zweck sein

Rede in der Debatte zu Organspenden

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe gegen die Widerspruchslösung zwei Einwände. Die Widerspruchslösung unterstellt zum einen, dass mit dem Tod eines Menschen dieser quasi eine herrenlose Sache werde, über die der Staat dann verfügen kann, wenn keine andere Verfügung vorliegt. Als Christ definiere ich den Menschen zwar als Geist im Körper und damit den Tod als essenzielle und dauerhafte Scheidung beider, jedoch behandeln wir den entseelten Körper danach nicht als leeres Gefäß ohne Wert. Vielmehr behandeln wir ihn mit Respekt, weil in diesem Körper die menschliche Existenz nachwirkt. Diese Nachwirkung ist es, die unseren fortdauernden Respekt vor der Würde des verblichenen Menschen begründet. Ja, wir stellen auch heute noch die Schändung von Leichen unter Strafe, weil wir dem toten Körper Rechte zusprechen. Deswegen darf ohne vorgängige Einwilligung der tote Körper nicht Mittel zum Zweck sein, auch dann nicht, wenn dadurch andere Leben gerettet werden könnten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Die Widerspruchslösung unterstellt – zweitens –, es gebe so etwas wie das Obereigentum des Staates am menschlichen Körper. Widerspricht niemand, ist der Körper zur Nutzung freigegeben. Ich finde, das läuft gegen alle abendländischen Traditionen, in denen sich das Eigentumsrecht des Menschen an seinem Körper als grundlegendes Menschenrecht entwickelt hat – und übrigens auch als Voraussetzung, Eigentum als Recht begründen zu können.

Der Staat ist nicht Obereigentümer menschlicher Körper. Das wäre die abgewandelte Idee bzw. Rechtsfigur, in der Gott früher einmal als Obereigentümer der Schöpfung angesehen wurde, weil er diese ins Dasein gerufen hat und alles Eigentum nur abgeleitet ist. Der Staat ist aber nicht Gott. Er ist eine Institution, die in Verantwortung vor Gott und den Menschen handelt, also in Demut vor der Schöpfung und in Anerkenntnis von fundamentalen Menschenrechten.

Ich befürworte eine, wie ich es ausdrücken würde, assistierte Entscheidungslösung. Dazu gehören aus meiner Sicht zwei Elemente: Beratung und Entscheidung. Ich bin – erstens – sehr dafür, dass wir eine solche Beratung bei Hausärzten abrechnungsfähig machen. Der Hausarzt sollte über die medizinischen Aspekte beraten. Ich bin – zweitens – dafür, dann eine Entscheidung abzufordern, wenn der Einzelne mit dem Staat in Berührung kommt. Dazu ist ja eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht worden. Damit muss aber ausdrücklich gelten: Wer sich nicht entscheidet, hat keine Zustimmung gegeben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Eine letzte Überlegung: Könnte es nicht klug sein, die Solidargemeinschaft der möglichen Spender anders zu stellen als die Solidargemeinschaft aller Versicherten? Wenn alle anderen medizinischen Kriterien bei der Beurteilung von Empfängern gleich sind, alle Perspektiven einer nachhaltigen Lebensführung ebenfalls, sollte dann nicht die Bereitschaft, selbst Spender zu sein, ein zusätzliches Kriterium sein können? Sollten wir auf diese Art nicht deutlich machen, dass die Bereitschaft zu einer Organspende Leben retten kann – auch das eigene? Umgekehrt formuliert: Könnte man damit nicht auch die Botschaft senden, dass Solidarität zu erwarten, ohne sie zu geben, dem Solidaritätsgedanken fremd ist? Ich gestehe: Ich habe hier noch keine abschließende Lösung, finde aber, dass wir auch darüber diskutieren sollten.

Als letzter Redner dieser Debatte möchte ich sagen: Ich bin Jens Spahn dankbar, dass er diese Debatte losgetreten hat. Das hat dem Deutschen Bundestag die Gelegenheit gegeben, zu zeigen, was in ihm steckt, und das war heute in der Tiefe und der Ernsthaftigkeit dieser Debatte eine ganze Menge.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)