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Petra Nicolaisen: Das Kernproblem sind die strukturellen Hindernisse und Barrieren für die Frauen

Redebeitrag zum Thema: Mehr Frauen in den Deutschen Bundestag

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf die Frage: „Stört es Sie, als Beleg zu fungieren für die Gleichberechtigung in Deutschland?“ antwortete unsere Bundeskanzlerin mit Ja. Eine Schwalbe mache noch keinen Sommer. Aus der Tatsache, dass es sie als Kanzlerin gebe, dürfe einfach kein Alibi werden. Und sie ergänzte: Das Ziel muss Parität sein, Parität überall.

Ich möchte sagen: Dieses Ziel eint uns alle. Ein Frauenanteil im Deutschen Bundestag von 31 Prozent kann uns alle nicht zufriedenstellen. Das kann nicht unser Anspruch sein: nicht als Gesellschaft, nicht als politische Parteien und auch nicht als Deutscher Bundestag. Dazu gehört aber auch eine unbequeme Wahrheit: Quoten und Quoren sind für sich allein nicht ausreichend, um unser Ziel zu realisieren. Das Problem ist für mich zweigeteilt: Es müssen sich Frauen finden, und sie brauchen eben auch die erforderlichen Rahmenbedingungen.

Erstens. Es gibt nicht annähernd genug aktive Frauen an der Basis: in den Gemeindevertretungen, in den Kreistagen und als Landrätinnen oder auch als Bürgermeisterinnen. Dies habe ich schon in einer meiner vorherigen Reden zu diesem Thema immer wieder angesprochen. Und neben Durchsetzungsvermögen braucht es vor allem eben auch Zeit und Mut, um die Ochsentour mitzumachen. Ich sage ganz deutlich: Ich würde sie wieder mitmachen.

Zeit für Parteiarbeit, kommunale Gremien, Ämter, Gespräche und auch Ehrenämter gehören dazu. Das ist oft Zeit, die man nicht hat; insbesondere als Frau und Mutter ist man meist häufiger von der Herausforderung, Familie, Beruf und Politik unter einen Hut zu bekommen, betroffen. Und es braucht Mut; Mut, um zu netzwerken und sich für politische Ziele starkzumachen, und das in einem überwiegend männlich geprägten Umfeld.

Daneben braucht es auch Unterstützung und Mentoring: innerhalb der Parteien, innerhalb der Gesellschaft und vom sozialen Umfeld. Nicht zuletzt braucht es auch den Rückhalt in der Familie, der für meinen Weg besonders wichtig war und immer noch ist. Wenn wir Frauen also ehrlich fördern wollen, dann müssen wir an der Basis ansetzen, Kampagnen und Aktionen machen. Wir müssen auf Frauen zugehen und das persönliche Gespräch suchen und fragen: „Willst du mitmachen?“ und dazu auffordern: Engagiere dich, ich unterstütze dich dabei!

(Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir nicht erst seit gestern!)

Das ist doch genau die Einstellung, die wir mit in die Kreisverbände, in die Kommunalparlamente nehmen und an die Landtagskolleginnen und ‑kollegen herantragen müssen. Es geht darum, Frauen auf jeder politischen Ebene zu motivieren, sie mit Vorbildcharakter sichtbarer zu machen. Nur so ermöglichen wir es überhaupt, dass Frauen vorangehen und sich auch auf ein Bundestagsmandat bewerben. Wir müssen diese positive Grundhaltung von der Basis bis zur Spitze weitertragen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Um das zu erreichen, müssen wir gleichzeitig ein anderes Problem lösen. Das bringt mich jetzt zu meinem zweiten Punkt: die Verbesserung der Rahmenbedingungen im politischen Alltag und bei der Parlamentsarbeit. Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel nennen: Es gibt neben der Kita des Bundestages hier im Reichstagsgebäude, nur wenige Meter vom Plenarsaal entfernt, ein Spiel- und Stillzimmer. Ich bin mir sicher, dass einige von Ihnen das jetzt gerade zum ersten Mal hören; das ging mir bis vor Kurzem auch so. Schauen Sie dort doch einfach mal rein; dann werden Sie erkennen, dass die Veränderungen der Rahmenbedingungen bereits zum Teil passiert sind, wenn auch im Kleinen – mehr geht immer –, sie müssen nur erkannt und genutzt werden. Dies ist nur ein Beispiel.

Ich weiß: Das Kernproblem sind die strukturellen Hindernisse und Barrieren für die Frauen. Natürlich sprechen wir dabei auch von ganz praktischen und alltagsnahen Maßnahmen: einem Zimmer wie diesem, der Möglichkeit für sichere digitale Konferenzen und weniger Zeitaufwand für Bürokratie. Solche Maßnahmen sind praktikabel und haben Vorbildcharakter, der weit über politische Institutionen hinausgeht.

Gesetzliche Regelungen können aber immer nur ein Baustein sein. Die Gleichberechtigung im politischen Raum lässt sich nicht per Gesetz erreichen. Wir müssen sie Schritt für Schritt verfestigen. Diese Debatte als eine von vielen alleine in dieser Legislaturperiode zeigt: Alle diese Entwicklungen sind im Gange.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jüngstes Beispiel ist ein Beschluss des Koalitionsausschusses vom 25. August 2020. Demzufolge soll eine Reformkommission zum Wahlrecht zeitnah, also noch in dieser Legislaturperiode, eingesetzt werden.

(Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]: Auf Betreiben der SPD!)

Diese Reformkommission wird Vorschläge zur paritätischen Vertretung von Frauen und Männern vorlegen. Zugleich wird sie die vorhandene Dynamik aufgreifen und Empfehlungen zur Modernisierung der Parlamentsarbeit geben.

Ich bin mir sicher: Das Ziel ist ganz klar und unumstößlich. Am Ende müssen verfassungsgemäße Maßnahmen erarbeitet werden, die Frauen nicht nur die gleichberechtigte Teilhabe im politischen Raum ermöglichen, sondern sie vielmehr dazu anspornen, sich parteipolitisch zu engagieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)