Skip to main content

Nadine Schön: "Lassen wir der Kreativität der Menschen ihren Entfaltungsspielraum"

Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch nie in den ganzen Wochen und Monaten der Krise lagen die Nerven so blank; ich denke, das spüren wir alle. Gerade die Familien sind wirklich am Limit, und viele sagen: Wir können nicht mehr.

„Wir können nicht mehr“, sagen Eltern, die Homeschooling und Kinderbetreuung mit ihrer Arbeit vereinbaren müssen. Klar, es gibt den Lohnersatz; aber viele fühlen sich auch ihren Kolleginnen und Kollegen verpflichtet oder arbeiten selbst in systemrelevanten Berufen als Lehrerinnen, als Lehrer, als Pflegekräfte.

„Wir können nicht mehr“, sagen auch Kinder, die gerne wieder ihre Freundinnen und Freunde sehen würden, die gerne wieder mit anderen lernen würden, die gerne andere treffen würden, um sich adäquat auf ihre Prüfungen vorbereiten zu können.

„Wir können nicht mehr“, sagen auch ganz viele Alleinstehende, ob jung oder alt. Sie sagen: Ich kann nicht mal meine beste Freundin in den Arm nehmen; das fehlt mir so sehr.

Wie gerne würde man jetzt sagen: Schluss jetzt! Wir haben genug, es reicht. – Der Wunsch nach einem normalen oder einem normaleren Leben ist so groß. Deshalb ist es richtig, dass auch gestern über Perspektiven gesprochen wurde und dass wir Hoffnung haben. Aber Hoffnung macht nur dann Sinn, wenn sie nicht direkt wieder enttäuscht wird. Und Perspektiven sind nur dann gut, wenn sie wirklich tragfähig sind. Leider ist das Virus noch da. Bei manchen Reden in der heutigen Debatte habe ich mich gefragt: In welcher Welt leben Sie denn? – Das Virus ist noch da. Wir haben kein lineares Wachstum; grundsätzlich wächst das Virus exponentiell. Wir können froh sein, dass die Zahlen jetzt endlich nach unten gehen, und das können wir doch nicht verspielen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich erinnere mich noch sehr gut, als wir im November den Lockdown light beschlossen haben und dachten, mit Hygienekonzepten, Maske und Abstand kommen wir da irgendwie gut durch. Die Wahrheit war: Das hat nicht geklappt; die Zahlen sind gestiegen. Ich erinnere mich noch gut, als wir im Dezember Nachrichten aus Sachsen hörten, dass in Krankenhäusern über Triage nachgedacht wird. Und ich erinnere mich an die Panik der Menschen, die bei steigenden Infektionszahlen sagten: Wir haben Angst um unsere Angehörigen, die vorbelastet sind, die noch nicht geimpft sind; wir haben Angst, dass das Virus um sich greift; wir haben Angst vor den Folgeschäden. – Darüber wird gar nicht gesprochen. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Zahlen nach unten bringen und dass wir erst dann zu Öffnungen kommen, wenn wir einen Sockelwert erreicht haben, der nicht dazu führt, dass die Zahlen danach gleich wieder explodieren.

Und es ist richtig – das sage ich als Familienpolitikerin –, dass wir bei den Familien anfangen, dass wir mit den Kindergärten, den Kitas und den Schulen anfangen. Aber auch hier gilt: mit System und mit Verstand. Es müssen Testkonzepte vorliegen, bevor man öffnet. Es reicht nicht, wenn es sie nur auf dem Papier gibt, und es reicht auch nicht, liebe Frau Giffey, wenn Sie sagen: Es gibt bald Eigentests. Noch gibt es die Eigentests nicht, und deshalb müssen die Kommunen Testkonzepte schaffen, damit wir die Schulen so öffnen können, dass von dort keine Gefahr ausgeht für die Schülerinnen und Schüler, für ihre Eltern, für ihre Angehörigen, für uns alle.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist hart, und es ist noch ein bisschen Arbeit; aber ich traue den Kommunen, den Ländern und den Schulen zu, dass sie das schaffen.

Es ist ja so viel geschafft worden. Schauen Sie doch, was in den Schulen schon passiert! Mein herzlicher Dank geht auch an die Lehrerinnen und Lehrer. Was sie in den letzten Wochen und Monaten möglich gemacht haben, ist doch Wahnsinn.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Da wird sich um jeden einzelnen Schüler gekümmert, es werden digitale Konzepte erarbeitet.

Herr Lindner, ich habe nicht verstanden, dass Ihre FDP-Kultusministerin in NRW einer Schule, die sagte: „Wir können hybrid arbeiten“, dies nicht ermöglicht hat.

(Christian Lindner [FDP]: Das war doch die Landesregierung!)

Mein Appell ist: Lassen wir doch die individuellen Konzepte vor Ort zu.

(Beifall der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU])

Lassen wir der Kreativität der Menschen ihren Entfaltungsspielraum. Dann finden wir doch viel bessere Lösungen.

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es ist gut, dass wir mit den Schulen anfangen. Wir müssen die Kinder in den Blick nehmen; denn es geht auch um pädagogische und um soziale Folgen, aber mit Sinn und Verstand. Dafür appelliere ich. Das ist unsere Aufgabe in den nächsten Wochen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)