Skip to main content

Martin Patzelt: "Den Schutz der eigenen Sprache, Kultur und Religion muss man sich nicht verdienen"

Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 27. Juni 1989

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Springer, es ist so schade, dass Sie und Ihre Partei nicht begreifen, dass wir in einer Weltgemeinschaft leben, die immer mehr zusammenwächst, und dass wir nur dann in Glück und Frieden leben können, wenn wir diese Gemeinschaft tatsächlich hüten und pflegen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Karsten Hilse [AfD]: Ja! Steinigung ist auch in Deutschland super!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Präambel des ILO-Übereinkommens 169 wird eine traurige Bilanz gezogen: Die indigenen Völker der Erde seien nicht in der Lage, „ihre grundlegenden Menschenrechte im gleichen Umfang auszuüben wie die übrige Bevölkerung der Staaten, in denen sie leben, und dass ihre Gesetze, Werte, Bräuche und Perspektiven oft ausgehöhlt worden sind“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war 1989, und es ist eigentlich eine Schande für uns alle, dass sich seit dieser Zeit bis heute so wenig daran geändert hat.

Die Indigenen machen 5 Prozent der Weltbevölkerung, aber 15 Prozent der in Armut lebenden Menschen aus. Das ILO-Übereinkommen 169 ist das einzige internationale Vertragswerk, das einen umfassenden und rechtsverbindlichen Schutz der Rechte indigener Völker statuiert. Deswegen ist die Entscheidung der Bundesregierung, das Abkommen zu ratifizieren, richtig, und wir werden es hoffentlich alle breit unterstützen.

(Karsten Hilse [AfD]: Nein, werden wir nicht! – Gegenruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Um euch geht es nicht! – Weiterer Gegenruf der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD]: Das interessiert doch gar nicht!)

Es stimmt: Die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 durch Deutschland wird keine direkte Verbesserung der Lage der Indigenen bewirken. Aber die Ratifizierung ist mehr als nur ein Symbol für die Achtung und für die Einhaltung der Rechte dieser Menschen und Völker. Wir als Parlamentarier und die Bundesregierung müssen die Ratifizierung zum Anlass nehmen, auf unsere Partner in der ganzen Welt, vor allen Dingen aber in Europa Einfluss zu nehmen, um mehr Staaten zu einer Unterschrift unter dieses Abkommen zu bewegen.

Die niedrige bisherige Beteiligung von 23 der insgesamt 187 Mitgliedstaaten der ILO verdeutlicht, wie wichtig die Ratifizierung und die Diskussion darüber ist. Die Bundesregierung und die EU-Kommission tun bereits viel, um die Lage indigener Bevölkerungsgruppen vor allem in Asien und Südamerika zu verbessern. Diese positive Rolle gilt es auszubauen. Dabei spielen das Sorgfaltspflichtengesetz und die Handelsverträge der EU eine wichtige Rolle.

Schätzungen gehen davon aus, dass 60 Prozent der Ressourcen und Rohstoffe unserer Erde – 60 Prozent, liebe Kolleginnen und Kollegen – in den von den Indigenen bewohnten Gebieten liegen. Dabei geht es nicht um eine verklärende Naturromantik. Es geht auch nicht um Sonderrechte. Wofür wir eintreten, ist, dass auch die Indigenen Bildung, Arbeitsplätze und Infrastruktur bekommen. Aber sie sollen selbstbestimmt – und das ist das Kernelement des ILO-Übereinkommens – über ihr Leben entscheiden können.

Indigene Bevölkerungsgruppen sind keine passiven Betreuungsobjekte der Menschenrechtspolitik. Indigene Menschenrechtsverteidigerinnen und ‑verteidiger kämpfen weltweit Tag für Tag für ihre Rechte, so auch die Menschenrechtsverteidigerin Renalyn Tejero auf den Philippinen, die seit drei Wochen von der Polizei festgehalten wird. Sie ist eine indigene Lumad-Manobo. Sie ist nur für ihre Rechte eingetreten, ohne Gewalt. Oder Bernardo Caal, ein Indigener der Q’eqchi-Gemeinschaften, der 2018 in Guatemala wegen Widerstandes gegen ein Wasserkraftprojekt auf indigenem Land zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

Wir dürfen heute Abend auch die zahllosen Tibeter und Uiguren in chinesischer Haft nicht vergessen. Besonders erwähnen möchte noch ich den Jesuitenpater Stan Swamy in Indien, der jahrzehntelang für die Rechte der indigenen Adivasi eintrat. Dieser 83-jährige Mann leidet an Parkinson und ist aufgrund einer hanebüchenen Terrorismusanklage seit Oktober in Haft, und zwar in Indien. Das wäre ein passender Anlass, von Indien die Unterzeichnung des ILO-Übereinkommens und die Freilassung von Pater Swamy zu fordern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, indigene Volksgruppen spielen auch eine bemerkenswerte Rolle im Kampf gegen Klimawandel und Abholzung. Laut einer Studie der Welternährungsorganisation werden deutlich weniger Flächen abgeholzt, wo indigene Bevölkerungsgruppen Landrechte innehaben.

Mit einem breiten Konsens für die Ratifizierung können wir ein wichtiges Signal geben. Ausbildung, Gesundheit und Bildung sind kein Privileg, auch nicht für Indigene. Den Schutz der eigenen Sprache, Kultur und Religion muss man sich nicht verdienen. Und das Weltkulturerbe, das ist auch unser aller Erbe.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)