Skip to main content

Marcus Weinberg: „Satt und sauber“ reicht nicht

Redebeitrag zu Kinderrechten in und nach der Corona-Krise

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will gerne an Norbert Müller anschließen, weil Kinderrechte im Grundgesetz auch in der gestrigen Debatte zum Kinderschutz ein wichtiger Punkt waren. Zwei Dinge, die aus unserer Sicht, aus Sicht der Union, wichtig sind:

Erstens. Ja, wir haben uns verständigt, und wir werden mit unserem Koalitionspartner darüber diskutieren, wie die Kinderrechte in das Grundgesetz kommen. Aber es ist nicht die Frage, ob sie kommen, sondern es ist die Frage, wie sie kommen und was sie ausdrücken. Da sind wir sicherlich an der einen oder anderen Stelle noch in der Diskussion; denn wir wollen einen Mehrwert für Kinder haben, aber auch einen Mehrwert für Familien. Es geht nicht um mehr Rechte für Kinder und um weniger für Familien. Beides muss einen Impuls bekommen. Deswegen werden wir bei der Fragestellung von Kinderrechten im Grundgesetz sehr genau darauf schauen, dass das auch etwas bringt für Partizipation, für Teilhabe, für Schutz, für das, was für Kinder wichtig ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Zweite – das betrifft den Kollegen Norbert Müller und auch die Grünen –, was mir in der gestrigen Debatte auffiel und was mich ärgert, ist die Behauptung, Kinderrechte im Grundgesetz würden dazu führen, dass es keine Missbrauchsfälle mehr gibt, dass es keine Vernachlässigung mehr gibt, dass es keine Probleme in der Kinder- und Jugendhilfe mehr gibt.

(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das hat niemand gesagt!)

Das ist falsch. Gestern hat ein Kollege gesagt: Gäbe es die Kinderrechte im Grundgesetz, hätte es einen Fall wie in Münster nicht gegeben. – Nein, dazu gehört mehr.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dazu gehört, dass die Richter fortgebildet werden, dass wir die Prävention stärken, die Betreuung der Opfer stärken, dass wir auch strafrechtlich etwas machen. Das heißt, dass wir nicht nur auf die Kinderrechte vertrauen, sondern auf allen Ebenen, mit allen Möglichkeiten Kinder in ihrer Positionierung stärken; denn das ist, glaube ich, ein wichtiger Punkt, auch mit Blick auf die Coronakrise.

Wir haben ja drei Dinge gemacht. Erstens war es richtig, zu sagen: Der Schutz der Familien, der Kinder steht an allererster Stelle, hat allerhöchste Priorität. Kitas zu schließen, Schulen zu schließen, Jugendhilfeeinrichtungen zu schließen, Angebote für Frauen, für Familien auszusetzen, das ist schon ein sehr weit gehender Schritt. Aber es war damals, glaube ich, auch richtig. Sie haben hier gerade gesagt, Herr Müller: „Wir wissen heute mehr.“ Ja, wir wissen heute tatsächlich mehr. Jetzt können wir auch anders agieren. Das ist der erste Punkt.

Zweitens war uns als Koalition wichtig, dass wir sehr zielgenau, sehr früh und sehr bedarfsorientiert Maßnahmen eingeleitet haben. Ich denke an die gesamten Leistungen der Hilfestellung mit Blick auf den Notfallkinderzuschlag, auf das Thema „Bildungs- und Teilhabepaket“. Wir haben dafür gesorgt, dass die Kinder, die jetzt zu Hause sind und nicht unbedingt eine warme Mahlzeit erwarten können, weiterhin ein kostenfreies Mittagessen bekommen. Das war richtig. Für uns war es auch wichtig, dass wir mit dem Infektionsschutzgesetz den Familien auch finanzielle Sicherheit gegeben haben und die Dauer der Lohnfortzahlung erweitern konnten. Uns Familienpolitikern war wichtig, dass dieser Anspruch bis zu 20 Wochen für die Familien besteht.

Drittens. In dieser Phase geht es jetzt darum, in der Breite Impulse zu setzen, die einen konjunkturellen Einfluss haben, aber auch Kinder und Familien konkret stärken. Jetzt kann man lange darüber diskutieren, ob die 300 Euro Kinderbonus denn ökonomisch mehr oder weniger sinnvoll sind. Man kann lange darüber diskutieren, wie der genaue Ablauf sein soll. Entscheidend ist aber, dass wir signalisieren, dass wir das, was Familien leisten, was Eltern geleistet haben, honorieren, insbesondere die Leistungen derjenigen, die geringere finanzielle Mittel haben. Der Kinderbonus wirkt ja irgendwann nicht mehr, aber es ist, glaube ich, klug und gut und richtig, dass diejenigen, die wenig verdienen, ihn auch komplett bekommen, dass diese Eltern, diese Familien ihn nutzen können, um etwas für sich, für ihre Kinder zu tun.

Dazu gehört auch, dass der Entlastungsbetrag der Alleinerziehenden jetzt auf 4 000 Euro verdoppelt wurde. Das war eine klare Botschaft, ein klarer Wunsch eines Koalitionspartners, nämlich insbesondere der CSU. Dafür sei auch Dank ausgesprochen; denn auch das ist ein deutliches Signal, dass wir nicht mit der Gießkanne, sondern sehr zielgenau unterstützen und genau die Bedarfe abfragen, die Familien haben. Das betrifft diejenigen, die Elterngeld bekommen, diejenigen, die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket beziehen, aber auch diejenigen, die als Alleinerziehende eine besondere Aufgabe vor sich haben. Es ist also insgesamt ein ausgewogenes Paket.

Was wir jetzt nicht machen sollten, Kollege Müller, ist, das, was wir schon immer fordern wollten, einfach nur unter das Label „Corona“ zu setzen. Wir haben ja hier in diesem Hause – ich weiß nicht, wie häufig – diskutiert über ein Kitaqualitätsgesetz. Jedes Kitagesetz, jedes Schulgesetz, jedes Gesetz der Kinder- und Jugendhilfe muss immer ein Qualitätsgesetz sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn es geht in den Bereichen der Kindertagesbetreuung, der Schulbildung, der Unterstützung von Frauen, von Familien, der Kinder- und Jugendhilfe immer um Qualität. „Satt und sauber“ reicht nicht. Vielmehr geht es darum, dass wir die höchsten Qualitätsstandards haben. Deswegen gehören Qualitätssteigerungen in der Kindertagesbetreuung – das sehen wir ja, glaube ich, ähnlich – zu den wichtigsten politischen und gesellschaftspolitischen Aufgaben unserer Zeit. Der Bund, der ja originär gar keine Kompetenz in diesem Bereich hat, hat dies als nationale Aufgabe gekennzeichnet, indem er zwischen 2008 und 2020 mittlerweile über 10 Milliarden Euro im Kitabereich investiert hat. Wir werden jetzt noch einmal 1 Milliarde Euro zur Verfügung stellen, ohne Kompetenzen bekommen zu haben. Das ist aber unsere Verantwortung als Bund.

Nun kann man auch mit Blick auf die Coronakrise lange darüber diskutieren: Funktioniert denn dieser Föderalismus? Ich ärgere mich permanent über die Schwierigkeiten des Föderalismus; das machen wir alle. Aber unterm Strich muss man doch mal eins konstatieren nach dieser Zeit: Er hat in dieser schwierigen Krise funktioniert. Kommunen haben ihre Aufgaben wahrgenommen, Länder haben ihre Aufgaben wahrgenommen, und wir als Bund haben unsere Aufgaben wahrgenommen. Dazu gehört auch, dass wir im Bereich der frühkindlichen Bildung, der Kitabetreuung und auch der Ganztagsbetreuung jetzt als Bund noch mehr Geld in die Hand nehmen als schon vorgesehen und hier auch die Länder unterstützen, auch wenn wir keine Gesetzgebungskompetenz haben. Das heißt, das Prinzip des Föderalismus, die Abstimmung, hat ja funktioniert. Ich erinnere nur daran: Wir haben bereits das Gute-KiTa-Gesetz und entsprechende Mittel in Höhe von 5,5 Milliarden Euro verabschiedet. Dieses Gesetz bietet die Chance auf einen besseren Betreuungsschlüssel und kindgerechte Räumlichkeiten. Es bietet die Chance auf eine starke Kitaleitung und qualifizierte Fachkräfte, und es bietet die Chance auf mehr sprachliche Bildung und mehr Bewegungsförderung. Wir haben im Gute-KiTa-Gesetz übrigens auch die Gesundheitsförderung berücksichtigt. Jetzt wäre es klug, wenn die Länder das Geld nicht nur nehmen, um sich selbst zu entlasten, sondern um es in Qualität zu investieren, in die Gesundheitsförderung, in die Schaffung besserer Betreuungsschlüssel.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Als Bundestagsabgeordneter kann ich sagen: Darauf legen wir auch großen Wert.

Dann muss man sich auch überlegen, wie wir das eigentlich begleiten. Dass man den Ländern Einnahmen aus Umsatzsteuerpunkten, die möglicherweise nicht bei den Kommunen ankommen, gibt, halte ich für problematisch; denn die Kommunen sind die Letzten in der Kette. Das sind nämlich diejenigen, die es dann tatsächlich entwickeln müssen. Deswegen sollten wir sehr stark darüber nachdenken, in welcher Form wir das vereinbaren, und auch klar sagen: Wir verlangen, wenn wir Geld in die Hand nehmen, schon, dass es einen Mehrwert für die Qualität, für die Familien und auch für die Kinder gibt.

Dann reden wir sicherlich auch noch mal über das Thema Kinderrechte. In der Coronazeit – das muss man einfach sagen – sind die Rechte für Familien und für Kinder in Teilen sehr eingeschränkt worden. Und das müssen wir im Zusammenhang nicht nur mit den Kinderrechten im Grundgesetz, sondern auch mit anderen rechtlichen Fragen aufarbeiten. Darum werden wir uns kümmern, tatsächlich spätestens nach der Sommerpause.

In dem Kontext darf ich daran erinnern, dass der Ausschuss nicht nur für Familien und Kinder zuständig ist, sondern auch für Senioren. Deshalb werden wir auch mal darüber reden: Wie ist die Lebenssituation der Älteren in diesem Land nach der Coronakrise? Wer denkt eigentlich an die älteren Menschen?

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir!)

Ich glaube, es wird uns, den Familienpolitikern, ein wichtiges Anliegen sein, auch darüber nachzudenken, wie wir langfristig dazu kommen, dass die Senioren, die Kinder, die Jugendlichen und die Familien dann so aus der Coronakrise herauskommen, dass sie gestärkt werden und auch in den nächsten Jahren wissen, dass die Politik hinter ihnen steht: mit entsprechenden Gesetzen und entsprechenden Vorhaben. Wir sind dazu bereit.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)