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Kai Whittaker: Deutschland braucht keine Hilfskräfte, sondern Fachkräfte

Neue Perspektiven für langzeitarbeitslose Menschen durch einen Sozialen Arbeitsmarkt ermöglichen

Herr Präsident! Werte Kollegen! Wenn ein Mensch arbeitslos wird, dann ist das immer eine persönliche Tragödie; da gebe ich der grünen Fraktion recht. Wer arbeitslos ist, der fühlt sich ausgegrenzt.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ausgegrenzt!)

Wer arbeitslos bleibt, der fühlt sich aufgegeben. Ob jemand arbeitslos bleibt, hängt meistens von den persönlichen Umständen des Betroffenen ab. Fortgeschrittenes Alter, mangelnde Sprachkenntnisse, fehlende Berufsausbildung, gesundheitliche Probleme: Die Liste ist lang, und die Gründe sind immer individuell.

Bei der Problembeschreibung sind wir uns also einig, Frau Müller-Gemmeke.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Das ist ein gesellschaftliches Problem!)

Wenn die Probleme individuell sind, dann verstehe ich aber nicht, warum Sie diese ausgerechnet mit einer Einheitslösung beheben wollen. Ich finde, Sie machen mit Ihrem Vorschlag eines sozialen Arbeitsmarktes drei kapitale Fehler:

Erstens. Sie sind mit Ihrer Forderung völlig maßlos.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)

Sie fordern einen sozialen Arbeitsmarkt für Menschen, die älter als 25 Jahre sind und seit mehr als zwei Jahren keine Arbeit haben.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein, nein! Keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt haben!)

Laut Bundesagentur für Arbeit sind das 479 000 Menschen. Das ist mehr als die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen und weit mehr als die Anzahl langzeitarbeitsloser Menschen, die in einen sozialen Arbeitsmarkt aufzunehmen uns alle Experten bisher angeraten haben. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt in seinen Analysen zu folgendem Schluss: Maximal 300 000 Menschen, wenn überhaupt, kommen für einen sozialen Arbeitsmarkt infrage.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können wir ja im Ausschuss bereden!)

Diese Einschätzung ist eine Maximalforderung. In der Vergangenheit hat das IAB diese Zahl eher bei 100 000 bis 200 000 Menschen eingegrenzt.

Damit ist für mich und für uns als Union klar: Mit Ihrer Forderung lassen Sie Menschen fallen, die einen Job finden könnten. Stattdessen werden sie in ein System gesperrt, aus dem sie nur schwer wieder herauskommen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie werden nicht eingesperrt! Das ist freiwillig! Einfach zuhören!)

Das ist nicht meine Einzelmeinung, sondern das sehen auch andere so, zum Beispiel der Volkswirt Karl ­Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Er sagt – ich zitiere –: Viele würden sich dann wie bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in „einer trügerischen Sicherheit wiegen, erst einmal untergekommen zu sein, und sich nicht mehr eine richtige Arbeit suchen“.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Whittaker, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Kai Whittaker (CDU/CSU):

Das sorgt immer für Erhellung.

(Jürgen Braun [AfD]: Für Erheiterung!)

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das ist aber nett, Herr Whittaker. – Ich möchte klarstellen, dass wir nicht alle Personen im Auge haben, die länger als zwei Jahre arbeitslos sind, sondern dass die fehlende Perspektive auf dem Arbeitsmarkt, also das Vorhandensein von sogenannten Vermittlungshemmnissen und Einschränkungen, ein zentrales Kriterium für das Konzept ist, das wir an dieser Stelle vorschlagen. Insofern kann auch das zuletzt von Ihnen genannte Argument, das Sie zitiert haben, gar nicht greifen; denn der sogenannte Lock-in-Effekt, dieses Sich-Einrichten in der geförderten Beschäftigung, anstatt eine – in Anführungszeichen – richtige Stelle zu suchen, träfe ja nur auf diejenigen Personen zu, die auch eine Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt haben.

Das, was wir als sozialen Arbeitsmarkt bezeichnen, richtet sich aber gezielt und erkennbar genau an die Personengruppe, die auf absehbare Zeit gar keine Chance hat, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Daher rechtfertigen wir auch den sogenannten Passiv-Aktiv-Transfer, also das Auszahlen des Arbeitslosengeldes II und der Kosten der Unterkunft als Lohnkostenzuschuss.

Mich würde viel mehr interessieren, wie die Formulierung im Koalitionsvertrag zu verstehen ist, die Sie dort gewählt haben. Sie wollen den Ländern den Passiv-Aktiv-Transfer ermöglichen. Warum steht denn dort nicht, dass der Bund den Passiv-Aktiv-Transfer mit den Leistungen übernimmt? Das steht da nämlich nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kerstin Tack [SPD]: Das steht da!)

Kai Whittaker (CDU/CSU):

Also, was darunter zu verstehen ist und was wir den Ländern ermöglichen werden, wird der Gesetzgeber in diesem Plenum in seiner Weisheit genauer entscheiden.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen es nicht!)

Darum können wir im Ausschuss gerne miteinander ringen.

Ein weiterer Punkt ist: Wissen Sie, Herr Kurth, Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass Sie all jenen, die über 25 Jahre alt und länger als 24 Monate arbeitslos sind, einen Zugang zum sozialen Arbeitsmarkt eröffnen wollen. Dann schreiben Sie etwas nebulös: „ohne absehbare Perspektive“.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Aber Sie haben in keiner Weise definiert, was denn diese Perspektive genau bedeutet.

Da waren die Experten, die ich gerade zitiert habe, schon wesentlich weiter als Sie. Gerade von Ihnen, Herr Kurth, der im Ausschuss immer wieder zeigt, wie detailverliebt er ist, hätte ich wenigstens erwartet, dass in diesem Antrag konkret steht, was ich unter „ohne Perspektive“ zu verstehen habe.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht in unserem Gesetzentwurf! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Ohne absehbare Perspektive auf dem Arbeitsmarkt“!)

Das hier ist ein dünnes, sechsziffriges Forderungskatalögchen, das eigentlich die Beratung im Plenum nicht wert ist. Aber gut.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir als Union wollen, dass die Menschen einen Weg in den Arbeitsmarkt finden und ihr Leben wieder selber gestalten können. Mit Ihren anvisierten knapp 500 000 Personen schießen Sie leider weit über das Ziel hinaus.

Zweitens. Sie schießen nicht nur über das Ziel hinaus. Sie verfehlen es, finde ich, deutlich. Die Grünen haben immer gesagt – das habe ich stets nachvollziehen können –: Qualifizierung vor Arbeitsplatzvermittlung. Das ist selbstverständlich. Wer keinen Beruf gelernt hat, hat es schwerer, einen Job zu finden. Das betrifft immerhin die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen. Aber dann müssen wir doch dafür sorgen, dass ein 25-jähriger Arbeitsloser einen Beruf erlernt. Sie hingegen wollen diesen 25-Jährigen auf dem sozialen Arbeitsmarkt beschäftigen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schwach, ganz schwach!)

Anstatt diesem Menschen die Tür zum Arbeitsmarkt zu öffnen, schlagen Sie diese Tür zu. Was für ein verheerendes Signal geben Sie damit diesem 25-Jährigen, der dann sein ganzes Berufsleben nur noch Helfertätigkeiten verrichten kann!

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man die Rede auf einer falschen Annahme geschrieben hat, muss man sie doch anpassen!)

Drittens. Sie schlagen – das, meine werten Kollegen, ist das eigentlich Traurige an diesem ganzen Antrag – nicht nur den 479 000 Langzeitarbeitslosen die Tür zu, die nach Ihrem Programm keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt haben, sondern Sie schlagen auch den anderen 400 000 Langzeitarbeitslosen die Türe zu.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Wo denn?)

Diese Menschen haben Sie nämlich leider nicht im Blick. Sie vergessen gerade die Menschen, die in absehbarer Zeit eine Arbeit finden könnten.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es andere Instrumente! Das ist doch ganz einfach zu verstehen!)

Für diese Menschen haben Sie kein Geld übrig.

Wir als Union wissen, dass wir mehr Geld ausgeben müssen, um Menschen in Arbeit zu bringen. Das ist keine Frage.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber nicht das Thema heute!)

Das haben wir übrigens auch mit der SPD verabredet. Aber ich bin der Ansicht, dass wir dieses Geld dazu nutzen sollten, Menschen in Arbeit zu bringen, damit sie finanziell wieder unabhängig werden. Ihr sozialer Arbeitsmarkt hingegen macht Menschen dauerhaft zu Sozialfällen. Sie manövrieren sie in eine Sackgasse.

Wir als Union wollen den Menschen Wege aufzeigen. Um das zu schaffen, sollten wir Langzeitarbeitslose darin unterstützen, eine Berufsausbildung zu machen. Ein Land wie Deutschland braucht keine Hilfskräfte, sondern wir brauchen Fachkräfte. Um das zu schaffen, brauchen wir eine intensivere persönliche Betreuung. Die Union hat immer von einer Treppe in den ersten Arbeitsmarkt gesprochen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht übrigens auch in unserem Antrag!)

Eine solche Treppe müssen wir auch für die Berufsausbildung bauen, um so die Menschen Schritt für Schritt zu befähigen.

Mir ist es wichtig, dass wir uns um jeden Einzelnen kümmern. Dass es sich lohnt, diesen Weg zu gehen, zeigte mir neulich wieder ein Fall aus einem Berliner Jobcenter.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Kai Whittaker (CDU/CSU):

Dort hat ein älterer Mann nach zwölf Jahren Arbeitslosigkeit wieder einen festen Vollzeitjob als Gärtner gefunden. Er arbeitet dort immer noch.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege Whittaker.

Kai Whittaker (CDU/CSU):

Ich weiß, das ist ein Ausnahmefall. Ich möchte, dass es der Regelfall wird.

(Beifall bei der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wie?)