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Jana Schimke: "Selbstständige sind Personen, die ihr letztes Hemd geben würden"

Rede zur Arbeitslosenversicherung für Selbständige

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe der Linken in einem Punkt recht

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Na immerhin!)

– hätten Sie es gedacht, Herr Birkwald? –: Die freiwillige Arbeitslosenversicherung ist für Selbstständige in der Tat ein Instrument, das in seiner Attraktivität ausbaubar ist; ich will ich es mal so formulieren.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mal los! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nur zu!)

Aber um das abschließend zu bewerten, muss man sich schon ein Stück weit die Historie angucken. Diese Regelung wurde ja 2006 in befristeter Form geschaffen. Was hatten wir 2006 für eine Situation am Arbeitsmarkt? Wir hatten natürlich keine Vollbeschäftigung. Im Gegenteil: Der Arbeitsmarkt musste belebt werden. Es galt, die Menschen in Arbeit zu bringen und natürlich auch Anreize für Selbstständigkeit zu setzen. Jeder weiß: Wer sich selbstständig machen will, geht ein hohes Risiko ein und braucht natürlich auch eine gewisse Sicherheit. Und diese Sicherheit hat der Gesetzgeber damals versucht zu geben, indem er gesagt hat: Wir schaffen attraktive Rahmenbedingungen bei der Vorsorge im Falle von Erwerbslosigkeit.

Diese Regelung war befristet und lief Ende 2010 aus. Man entschied sich seitens des Gesetzgebers dazu, diese Regelung fortzuführen, aber unter veränderten Rahmenbedingungen. Sie war fortan nicht mehr so attraktiv für Bestandsselbstständige, sondern vornehmlich für Gründer. Das hatte auch seinen Zweck, weil der Gesetzgeber damals aus gutem Grund zur bewährten Systematik von Selbstständigkeit zurückgekehrt ist. Selbstständigkeit – das wissen wir – folgt der Auffassung, dass Eigenverantwortung und Haftung eine Einheit sind. Insofern war es auch in diesem Hause immer Auffassung, dass Selbstständigkeit diesem Gedanken folgt. Das heißt, jeder, der selbstständig ist, sorgt selbst vor und haftet auch für seine unternehmerischen Risiken. Nichts anderes hat der Gesetzgeber 2011 geregelt. – Punkt eins.

Punkt zwei. Das Obligatorium, das Die Linke jetzt vorschlägt, ist ein falscher Ansatz. Selbstständige, meine Damen und Herren, sind verantwortungsbewusst, und sie haben auch kein Motivationsproblem bei der eigenen Vorsorge. Das haben wir ja gesehen: In den Jahren nach 2006 hatten wir bis zu 260 000 Versicherte in der freiwilligen Arbeitslosenversicherung. Als die Anreize später abnahmen, wurden es selbstverständlich weniger. Aber das zeigt – das sehen wir im Übrigen auch bei den Zahlen zur Vorsorge im Alter, bei der Frage „Wie sorgen Selbstständige fürs Alter vor?“ –: Sie tun eine Menge und tun es dann, wenn es sich lohnt. Das ist eine ganz entscheidende Aussage an dieser Stelle: Vorsorge muss sich lohnen. – Dann ist dieser Gruppe auch tatsächlich geholfen. Ich bin der Auffassung – das ist auch das, was mich in meinem politischen Handeln immer leitet –, dass Selbstständige positive Anreize brauchen und eben keinen Zwang; das ist an dieser Stelle nicht nötig.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, letztendlich geht es hier natürlich auch um das Selbstverständnis von Selbstständigkeit; das soll an dieser Stelle auch mal gesagt werden. Die Einheit von Risiko und Haftung ist etwas, was ich gerade eben schon ausgeführt habe. Selbstständige sind aber auch, meine Damen und Herren – ich will es mal so pauschal sagen –, keine auffällige Gruppe, was die Arbeitslosigkeit betrifft. Selbstständige sind Personen, die ihr letztes Hemd dafür geben würden, dass sie ihr Unternehmen weiter am Laufen halten, dass der Laden läuft. Man hört von Selbstständigen auch kein großes Klagen und erlebt Zurückhaltung – auch jetzt, in Coronazeiten, bei Hartz IV. Das ist in der Tat eine Gruppe, die von einer hohen Leistungsbereitschaft geprägt ist, und deswegen, glaube ich, ist es unsere Aufgabe, ihnen diese Freiheit auch weiterhin zu lassen und hier keinen Zwang auszuüben. Selbstständige müssen weder gezwungen noch bevormundet oder dazu gedrängt werden, für ihr eigenes Leben zu sorgen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bitte Zwang und Pflicht nicht verwechseln, Frau Kollegin!)

Ein letzter Gedanke, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken. Ich erlebe immer wieder, für was Corona in dieser Situation alles herhalten darf. Corona hat zu einer Ausnahmesituation geführt. Natürlich geht es unserer Wirtschaft im Moment in vielen Bereichen nicht gut – nicht nur den Soloselbstständigen –, aber wir dürfen die Situation durch Corona und die Existenzängste, die in diesem Bereich jetzt gerade auftreten, nicht zum Anlass dafür nehmen, neuen Zwang auszuüben, neue Vorschriften zu machen und nach außen den Eindruck entstehen zu lassen, diese Gruppe sei nicht in der Lage, für sich selbst vorzusorgen.

Ich möchte eine ganz feine, aber wesentliche Unterscheidung treffen: Es handelt sich mit Blick auf die Menschen, die hier in diesem Bereich zurzeit Existenzängste auszustehen haben und nicht wissen, wie es mit ihrer Firma weitergeht, nicht um ein Scheitern von unternehmerischen Fähigkeiten oder ein Scheitern des Geschäftsmodells, sondern schlicht um ein Berufsverbot. Das ist ein ganz großer, massiver Unterschied, und wir dürfen nicht den Fehler machen, daraus die falschen politischen Schlüsse zu ziehen.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb sollen sie ja auch Hartz IV Ihrer Meinung nach beziehen!)

Deswegen: Lassen Sie uns doch darüber nachdenken, wie wir diese Menschen wieder in die Lage versetzen können, zu arbeiten, den Job zu machen, den sie gut können und seit Jahren gut machen, und nicht mit neuen gesetzlichen Regularien belasten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wie denn?)