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Jana Schimke: Jedes arbeitsmarktpolitische Instrument hat irgendwo auch seine Zeit

Rede zur Dynamisierung der Verdienstgrenzen bei geringfügiger Beschäftigung

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass die FDP sich irgendwann noch einmal auf einen arbeitsmarktpolitischen Vorschlag bezieht, der den Mindestlohn im Blick hat, hätte ich auch nicht für möglich gehalten. Ich will gar nicht verheimlichen, dass ich selbst den Mindestlohn damals sehr kritisch gesehen habe.

(Michael Theurer [FDP]: Ach!)

Aber Sie sind doch die Partei, die immer gegen den Mindestlohn war,

(Pascal Kober [FDP]: Das stimmt doch überhaupt nicht! Wir waren die ersten, die ihn verbindlich eingeführt haben!)

sicherlich auch aus berechtigten Gründen. Und jetzt legen Sie einen arbeitsmarktpolitischen Vorschlag vor, der sich auf den Mindestlohn bezieht. Das finde ich schon bemerkenswert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Michael Theurer [FDP]: Wir haben doch die Lohnuntergrenzen eingeführt!)

Meine Damen und Herren, ich halte diesen Vorschlag für falsch, und zwar aus unterschiedlichsten Gründen:

Erstens. Der Mindestlohn wird ja alle zwei Jahre auf Grundlage der Empfehlung der Mindestlohnkommission erhöht. Durch die vielen Gespräche mit Vertretern unterschiedlichster Branchen kriegt man natürlich als Wahlkreisabgeordnete auch mit, dass es hier und da schon knirscht. Den Mindestlohn zu zahlen, ist in der Tat nicht in jeder Branche in Deutschland so leicht zu bewerkstelligen, wie wir uns das politisch oftmals wünschen. Deswegen halte ich einen Bezug auf den Mindestlohn bei der Frage, wie wir möglicherweise eine Anpassung bei den Minijobs vornehmen, für den falschen Weg.

Zweitens. Natürlich hat die Union auch im Wahlprogramm den sogenannten mitwachsenden Minijob gefordert; das war sicherlich Gegenstand unserer Forderungen. Aber wir müssen uns bei arbeitsmarktpolitischen Ideen in der Zukunft immer auch daran orientieren, wie wir Maß und Mitte einhalten. Jedes arbeitsmarktpolitische Instrument – und die Minijobs sind natürlich seit der Agenda 2010 eine ganz bedeutende Sache – hat irgendwo auch seine Zeit. Aber es gibt eben auch Zeiten, in denen man vielleicht mal anders denken sollte, in denen man vielleicht mal neu denken sollte.

Die Minijobs in ihrer derzeitigen Form – so, wie wir sie jetzt kennen – sind ja im Jahr 2003 entstanden. Dann gab es später eine Erhöhung der Verdienstgrenze auf 450 Euro. Was war das für eine Zeit, meine Damen und Herren? Das war eine Zeit, in der wir in Deutschland Rekordarbeitslosigkeit hatten, 5 Millionen Arbeitslose. Deutschland war der kranke Mann Europas. Man hat damals dieses Instrument in dieser Form eingeführt, um Menschen wieder einen Weg in die Arbeit zu ebnen, natürlich auch, um Arbeitgebern eine Möglichkeit zu geben, unkompliziert Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen.

Unser Ziel war es damals – auch das Ziel der damals regierenden Parteien –, wieder mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt zu schaffen und darüber hinaus natürlich auch die Arbeitslosigkeit abzusenken und Deutschland arbeitsmarktpolitisch auf einen besseren Weg zu bringen. Was ist seitdem geschehen? Viele Jahre sind ins Land gegangen. Wir reden heute über die niedrigste Arbeitslosigkeit, die wir jemals in Deutschland hatten. Wir reden über Rekordbeschäftigung. Wir reden über Rekordeinnahmen in unseren sozialen Sicherungssystemen.

Die Frage ist schon berechtigt: Wo wollen wir künftig hin? Leben wir noch in einer Zeit, in der wir Instrumente wie den Minijob brauchen? Leben wir in einer Zeit, in der wir alles dafür tun sollten, die Einkommensgrenzen auch bei Minijobs oder Midijobs exorbitant zu erhöhen? Ist es das, was wir wollen? Ich halte das für bedenklich. Ich würde da nicht unbedingt mitgehen wollen.

Was wollen wir? Unser Ziel muss es sein, weiterhin Flexibilität am Arbeitsmarkt sicherzustellen – da sollten wir uns mal Gedanken machen –: in Sachen Arbeitszeit,

(Michael Theurer [FDP]: Haben wir doch!)

in Sachen Kündigungsschutz. Darüber müssen wir reden, damit wir es schaffen, dem deutschen Arbeitsmarkt seine Starrheit zu nehmen.

(Dr. Marcel Klinge [FDP]: Legen Sie doch mal was vor!)

Selbstverständlich gehören auch die Minijobs dazu. Wir wollen dieses Instrument ja behalten – darum geht es hier gar nicht. Wir wollen, dass Studenten, dass Rentner weiterhin eine Möglichkeit haben, etwas dazuzuverdienen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das wollen wir natürlich auch; das ist unser Ziel. Wir wollen Menschen, die Schwierigkeiten haben, in den Arbeitsmarkt zu kommen, weiterhin ein Instrument an die Hand geben, das es ihnen möglicherweise erleichtert. Aber was ist denn die Realität? Was hat sich denn seit 2003 im Bereich der Minijobs ergeben? Wir haben da einen Frauenanteil von zwei Dritteln – das muss man ganz klar festhalten. Die größte Gruppe von Menschen, die in Deutschland in einem Minijob tätig sind, ist die Gruppe der Personen im erwerbsfähigen Alter, nicht die Gruppe der Rentner oder der Studenten.

(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das muss man einmal sagen! Genau so ist es!)

Nein, das sind Menschen, die eigentlich in vollzeitnaher Beschäftigung tätig sein sollten. Darüber müssen wir doch mal reden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es gibt eine weitere Entwicklung: Wir haben eine signifikante Zunahme von Minijobs im Nebenerwerb. Das heißt, es geht hier nicht nur um Studenten oder so, bei denen wir sagen: Ja, genau für die ist das. – Nein, es gibt auch Menschen, die einen Hauptjob haben und nebenbei noch den Minijob machen. Das tun sie nicht, weil der Hauptjob so schlecht bezahlt ist. Nein, das sind Teilzeitkräfte, die einfach noch mal was mitnehmen wollen. Es ist ein Mitnahmeeffekt, der entsteht: Man macht einen Teilzeitjob und nebenbei einen sogenannten Minijob, um mehr Netto vom Brutto zu haben. Das ist menschlich nachvollziehbar. Aber die Frage ist: Wollen wir das politisch?

(Pascal Kober [FDP]: Das ist die Frage!)

Ich halte das nicht für richtig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt noch einen Punkt, den ich bei der Rente mit 63 sehr bedenklich finde. Was ist passiert? Die Menschen gehen mit 63 in Rente und arbeiten beim selben Arbeitgeber in Form eines Minijobs weiter. Auch darüber sollten wir vielleicht mal reden.

(Pascal Kober [FDP]: Das haben Sie doch beschlossen! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schon lange nicht mehr! Die Rente ab 63 gibt es gar nicht mehr!)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Das machen wir heute aber nicht mehr, Frau Schimke, weil Ihre Redezeit vorüber ist.

Jana Schimke (CDU/CSU):

Liebe Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Nein, die Richtung muss eine andere sein: Wir brauchen mehr Netto vom Brutto.

(Michael Theurer [FDP]: Mehr Netto vom Brutto? Sie haben doch gestern dagegengestimmt!)

Wir wollen den Soli abschaffen – dazu wird es künftig eine Initiative geben – und natürlich auch die Sozialversicherungsbeiträge senken.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)