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Jana Schimke: "Flexible Arbeitszeitformen sind heutzutage auf unserem Arbeitsmarkt Realität"

40 Stunden sind genug – Gesetzliche wöchentliche Höchstarbeitszeit reduzieren

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Krellmann, Sie haben Ihren Redebeitrag mit den Worten begonnen, dass der Ausbeutung im Arbeitsleben heutzutage Tür und Tor geöffnet sind. Ich frage mich manchmal: Was würden Sie eigentlich ohne Ihre Kampfrhetorik und die alten Feindbilder machen?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Arbeitswirklichkeit, die Arbeitswelt von heute, ist in der Tat eine andere. Wenn man in eine Firma geht – es ist völlig egal, wie viele Beschäftigte dort tätig sind; sagen wir mal 200 –, dann sagt der Chef häufig, dass es dort auch 200 Arbeitszeitmodelle gibt. Flexible Arbeitszeitformen sind heutzutage auch auf unserem Arbeitsmarkt Realität. Da gibt es Teilzeit, individuelle Arbeitszeiten, Gleitzeit, Vertrauensarbeitszeit, mobiles Arbeiten, Jahres- und Lebensarbeitszeitkonten, Jobsharing usw. Damit beschäftigen sich inzwischen zahlreiche Studien. Es bestätigt einmal mehr, wie vielfältig unsere deutsche Wirtschaft ist.

Fakt ist: Unternehmen, die heute die Wünsche der Mitarbeiter nicht erfüllen, sind für die Beschäftigten auch nicht mehr attraktiv. Arbeitgeber sind deswegen – so ist meine persönliche Einschätzung; das erlebe ich immer wieder, wenn ich vor Ort unterwegs bin – noch nie so stark wie heute auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter eingegangen.

Natürlich gibt es dafür Gründe. Der Fachkräftemangel ist ein zentraler Grund. Es fehlen schlichtweg Beschäftigte. Man lässt sich unglaubliche Dinge einfallen, um Mitarbeiter zu gewinnen und auch zu halten. Arbeitnehmer und Arbeitgeber begegnen sich – auch das ist ein Kennzeichen der heutigen Zeit – auf Augenhöhe.

(Zuruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])

Wir haben nicht mehr den unmündigen Arbeitnehmer. Das ist Quatsch. Das gab es früher mal. Das ist heute nicht mehr der Fall, zumindest nicht im größten Teil der deutschen Wirtschaft, liebe Frau Krellmann. Nicht umsonst sprechen viele Wissenschaftler inzwischen vom sogenannten Arbeitnehmermarkt. Der Arbeitnehmer gibt immer mehr den Ton an und bestimmt, in welche Richtung es geht.

(Zuruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])

Ein weiterer Punkt – er ist heute auch schon mehrfach angesprochen worden – ist die Digitalisierung: Liebe Frau Krellmann, Smartphone und Tablet – das dürfte auch an Ihnen nicht vorbeigegangen sein – schaffen ein völlig anderes Arbeiten. Wir arbeiten heute nicht mehr nine to five; nein, wir arbeiten mobil, wir sind unterwegs.

(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Im Maschinenbau geht das besonders gut!)

Arbeit verändert sich und wird auch neu. Beschäftigte wollten kein starres Arbeitszeitkorsett mehr. Das ist schlichtweg nicht mehr gewollt. Schauen Sie sich die neuen Branchen an, die digitale Branche mit ihren Berufen! Die wollen das alles nicht mehr. Die wollen Freiheit haben.

(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Es gibt aber noch ein paar andere Betriebe!)

Das ist das, worauf wir politisch antworten müssen.

Flexibles Arbeiten – das ist ebenfalls eine ganz inte­ressante Erkenntnis, liebe Frau Krellmann – erhöht auch die Arbeitszufriedenheit. Warum? Weil wir Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren können,

(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Aber nur, wenn es selbstbestimmt ist!)

weil wir dann alles auch mit dem Ehrenamt besser unter einen Hut bekommen! Wir wollen doch, dass die Menschen in ihrem Leben neben der Arbeit noch andere Dinge tun. Davon profitiert auch die Firma. Deswegen: Flexibles Arbeiten kann somit dem Stressabbau dienen; na selbstverständlich. Warum soll man den Menschen nicht die Freiheit lassen?

Sie fordern in Ihrem Antrag, zum Beispiel die 48-Stunden-Woche, die gesetzlich erlaubt ist, auf eine 40-Stunden-Woche zu reduzieren.

(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Das ist eine völlig rückständige Forderung, weil sie keine Antworten auf die Fragen der Zukunft gibt.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist eine gute Forderung!)

Sie propagieren einen Schutz, der keiner ist, weil Ihre Forderungen immer zulasten von Flexibilität gehen; sie gehen zulasten von Selbstbestimmung und natürlich auch zulasten von betrieblichen Erfordernissen. Die Auftragsbücher der Firmen sind voll. Die Firmen wissen nicht mehr, wie sie ihre Aufträge abgearbeitet bekommen. Das ist möglicherweise auch ein Grund für die hohe Zahl von Überstunden; das will ich gar nicht ausschließen. Darauf müssen wir Antworten geben. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wollen Sie damit auch die Sechstagewoche abschaffen, von der das Arbeitszeitgesetz derzeit noch ausgeht. Im Grunde genommen schaffen Sie Kurzarbeit durch wirtschaftlichen Abschwung.

(Zuruf von der LINKEN: Das ist doch Blödsinn!)

Das ist etwas, was wir nicht verantworten können.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da hört man heraus, in welche Richtung Sie wollen!)

Ein weiterer Punkt: Recht auf Nichterreichbarkeit. Da fragt man sich schon: Wo leben Sie eigentlich? Das ist ein alter Reflex gegen eine moderne Arbeitszeitpolitik. Flexibilität und Arbeitsschutz müssen sich nicht ausschließen; im Gegenteil.

(Pascal Meiser [DIE LINKE]: Da sind wir dabei!)

Wie ist die betriebliche Realität heutzutage? Nicht nur mitunter, sondern sogar sehr oft sind es die Arbeitgeber, die ihre Arbeitnehmer explizit darauf hinweisen – darauf weisen auch wir im Deutschen Bundestag unsere Mitarbeiter hin –, am Wochenende auch mal Wochenende sein zu lassen. Das gehört für einen guten Arbeitgeber einfach dazu. Immer mehr Firmen berichten mir davon, dass das auch Gegenstand von Betriebsvereinbarungen und natürlich ein ganz zentraler Bestandteil der Unternehmenskultur ist. Das muss man einfach mal anerkennen.

Dokumentationspflichten möchten Sie auch ausweiten. Sie wollen, auf Deutsch gesagt, die Stechuhr wieder einführen. Sie wollen die Vertrauensarbeitszeit damit abschaffen. 50 Prozent der Betriebe in Deutschland bieten Vertrauensarbeitszeit an.

(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt nicht! Erkundigen Sie sich mal!)

Wenn Sie Dokumentationspflichten in dieser Form einführen, dann schaffen Sie solch ein Arbeitszeitmodell faktisch ab. Genauso schaffen Sie dann auch Arbeitszeitkonten ab. Immerhin 20 Prozent der Betriebe bieten das an. Das ist damit nach meiner Lesart nicht mehr möglich.

Last, but not least: Was bedeutet eine Mindeststundenzahl von 22 Stunden in der Woche? Dass man letztendlich keine passende Stellenausschreibung mehr machen kann, wenn zum Beispiel ein Kollege oder eine Kollegin in Elternzeit ist und Teilzeit arbeitet. Es ist dann nicht mehr möglich, es irgendwie hinzubekommen, dass die Arbeit erbracht wird. Das ist auch ein Vorschlag, der zu einem Großteil den individuellen Wünschen von Beschäftigten, von Arbeitnehmern, von Arbeitsuchenden widerspricht.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das erzählen die uns anders!)

90 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland wünschen sich Flexibilität am Arbeitsplatz, und das ist damit dann letztendlich nicht mehr möglich.

Meine Damen und Herren, was wir brauchen, ist nicht mehr, sondern weniger Regulierung. Wir müssen uns überlegen: Wie gehen wir künftig, auch mit Blick auf Digitalisierung, mit den Ruhezeiten um? Wir brauchen nicht mehr eine Tageshöchstarbeitszeit, sondern eine Wochenarbeitszeit, um auch diesen Anforderungen gerecht werden zu können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)