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Frank Heinrich: Der Weg geht über den Arbeitsmarkt

Rede zur Armut in Deutschland

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Vorredner Herr Stracke von der CSU hat es zu Beginn der Debatte gesagt: Uns geht es in erster Linie um die Frage, wie man aus der Armut herauskommen kann. Für uns heißt das: Perspektiven schaffen. Der Weg geht über den Arbeitsmarkt. Es ist wichtig, Arbeit zu schaffen. In dieser Hinsicht ist tatsächlich viel gelungen. Das heißt aber nicht, dass wir prinzipiell leugnen, dass es an der einen oder anderen Stelle Armut in Deutschland gibt.

Ich möchte an dieser Stelle einige sehr persönliche Gedanken formulieren; denn meine Prägung steht mit Armut – zumindest mit der, über die wir hier reden –, den entsprechenden Instrumenten und Begriffen wie „relative Armut“ und „Armutsgefährdung“ in Verbindung. Ich selber hätte nach dieser Statistik mit meiner Familie zu 50 Prozent meiner Lebenszeit unter dieser Grenze gelegen. Das war mir in diesem Zeitraum nie bewusst. Ich würde mich auch nachträglich nicht als arm bezeichnen. Damit leugne ich nicht, dass das statistisch so war; aber es geht dabei um mehr Elemente als die finanzielle Ausstattung. Es ist nicht leicht, davon zu leben, aber möglich.

Später wurde ich – das hat vielleicht auch mit dieser Erfahrung zu tun – Heilsarmeeoffizier. Erst habe ich in der Heilsarmee als Sozialarbeiter gearbeitet und später bei der Heilsarmee die Ausbildung zum Theologen gemacht. In diesem Umfeld habe ich mich natürlich in erster Linie um diese Menschen in unserer Gesellschaft gekümmert. Ich habe in diesem Umfeld unter anderem zwei Tafeln gegründet. An dieser Stelle muss ich zu der ganzen Debatte über die Tafeln sagen: Den Zulauf bei den Tafeln und das Manko der Tafeln, nicht genug zum Verteilen zu haben, als Messinstrument für Armut in Deutschland zu nehmen, halte ich für ziemlich hanebüchen;

(Beifall bei der CDU/CSU)

denn die Tafeln sind im Angesicht des Überflusses gegründet worden. Dieser Überfluss sollte denjenigen in unserer Gesellschaft zugutekommen, die weniger haben. Die Situation der Tafeln kann nur ein Indiz dafür sein, wie es um die Armut in Deutschland bestellt ist; aber einen Antrag darauf aufzubauen – Sie beziehen sich ja an mehreren Stellen auf die Tafeln –, halte ich für äußerst schwierig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir sollten tatsächlich über die statistischen Instrumente diskutieren, wie Herr Strengmann-Kuhn es gesagt hat. Welche nehmen wir? Wir, die wir in diesem Bereich arbeiten, wissen alle: Wenn wir jedem in Deutschland 100 Euro mehr geben, haben wir danach gleich viel Arme in Deutschland.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist falsch! Das ist arithmetisches Mittel! Beim Median ist das nicht so!)

Nach dieser mathematischen Berechnung, die von 60 Prozent bzw. 50 Prozent ausgeht, haben wir relativ gesehen gleich viel Armut in Deutschland.

Ein letzter Gedanke zu dem Ziel Ihres Antrags – ich habe mich mit dem Antrag beschäftigt; das war ja auch meine Aufgabe –: Unterstellen wir einmal, dass es Ihnen wirklich um die Kinder, die Alleinerziehenden, die älteren Menschen, die Menschen mit Behinderungen und die Langzeitarbeitslosen geht, die tatsächlich und nicht nur laut dieser Statistik in Armut sind. Das sind möglicherweise 20 Prozent – das ist jetzt eine aus der Luft gegriffene Zahl – von denen, die generell nach dieser Statistik arm sind. Das Ziel, die Menschen generell aus Armut zu befreien, teilen wir; aber wir kommen zu anderen Schlüssen. Wir wollen auf andere Weise Perspektiven schaffen, zum Beispiel, indem wir § 16h SGB II so formulieren, dass junge Leute aus dem ALG‑II-Bezug herausgeführt werden. Das wollen wir ganz konkret für eine Personengruppe formulieren.

Rechnen wir Ihre Forderungen einmal durch: Wenn wir tatsächlich Ihre Forderungen umsetzen, dann werden wir – jemand sprach vorhin von dem Preis, den man dafür zahlen muss – für die 20 Prozent, die wirklich Hilfe brauchen, die auf gut Deutsch tatsächlich in der Scheiße sitzen,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Können Sie die mal definieren?)

kein Geld übrig haben. Das ist nicht unser Weg. Damit würden Sie Ihrem eigenen Ziel, das Sie in Ihrem Antrag formuliert haben, nicht gerecht. Dann sind Sie blind für die wirklich Armen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wer ist denn wirklich arm? Dazu haben Sie kein Wort gesagt!)