Skip to main content

Dr. Roy Kühne: Wir müsssen uns um die Anerkennung für die ausländischen Fachkräfte hier kümmern

Rede zur Personalbemessung in Krankenhäusern

Lieber Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleich zu Anfang möchte ich ganz deutlich betonen: Ich bin dankbar für den Antrag der Linken, weil er sich mit einem Thema beschäftigt, das draußen nicht mehr wegzudiskutieren ist und das unmittelbar sehr viele Menschen betrifft. Ich glaube, jeder spürt in seinem unmittelbaren Umfeld täglich: Mangel an Pflege, demotivierte Pflegekräfte, Pflegekräfte, die nach fünf bis acht Jahren, statistisch gesehen, zu 50 Prozent diesen Beruf verlassen und lieber ungelernt irgendwo weitermachen, anstatt sich einem zukünftigen Burn-out hinzugeben. Deshalb sehe ich diesen Antrag erst einmal als sehr löblich.

Ich finde ihn auch deshalb gut, weil wir – ich sage es noch einmal – gar nicht aufhören können, uns mit diesem Thema zu beschäftigen, solange wir nicht sicherstellen können, dass draußen die Pflege für unsere Angehörigen, für unsere Eltern gewährleistet ist, und solange nicht ausgeschlossen ist, dass am Ende des Tages dann wieder eine Pflegekraft zu ihrem Arbeitgeber geht und sagt: Schluss, aus, ich will hier nicht weitermachen.

Deshalb sage ich hier noch einmal explizit: Danke für den Antrag, aber auch in aller Öffentlichkeit ein Dank an alle fleißigen Pflegekräfte draußen, die in dieser politisch wie medizinisch momentan sicherlich schwierigen Situation bewunderungsvoll ihren Job machen, an vielen Patienten arbeiten, natürlich auch im Kontext von Corona.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei näherer Betrachtung, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann ich sagen, dass der Antrag einige Dinge enthält, die wir sicherlich bedenkenlos unterschreiben können. Aber bei vielen Dingen birgt er auch Gefahren. Ich will es einmal so formulieren: Vielleicht ist er auf der einen Seite zu kurz gedacht, vielleicht auf der anderen Seite aber auch falsch gedacht. Es wurde schon mehrfach gefragt – die von mir sehr geschätzte Kollegin Kordula Schulz-Asche hat das eben auch gesagt –: Was ist mit dem Rest? Auf wessen Kosten wird eine solche Personaluntergrenze, also diese Personalreserve, denn gemacht? Wir sehen es draußen. Es treibt wirklich verschiedenste Blüten. Ich möchte in diesem Zusammenhang ganz kurz aus dem Antrag zitieren: „Hierbei ist besonders zu beachten, dass die vollständige Refinanzierung der Pflegepersonalkosten sichergestellt wird …“ Das ist natürlich löblich, führt aber wiederum zu der zweiten Frage – auch das wurde bereits gesagt –: Wie soll das bezahlt werden?

Wir haben Stilblüten. Ich möchte aus dem Internet zitieren, ohne jetzt den Namen der Klinikkette zu nennen:

…-Kliniken kämpfen mit Geldprämien gegen Personalmangel

Suche Pfleger, biete 8 000 Euro

Und weiter:

Die Willkommensprämie ist gestaffelt von 2 000 bis 8 000 Euro. Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger erhalten bis zu 8 000 Euro, Krankenpfleger bis zu 6 000 Euro, Altenpfleger bis zu 2 000 Euro, medizinisch-technische Assistenten und operationstechnische Assistenten bis 4 000 Euro und Arzthelfer und medizinische Fachangestellte im OP bis zu 2 000 Euro.

Demjenigen, der wirbt, winkt ein „Kopfgeld“ von 1 000 Euro.

Das will ich nicht – das sage ich Ihnen ganz offen –, weil das natürlich zu einer Verschiebung führt. Wenn dann der Wettbewerb auf Kosten der Ambulanz stattfindet, müssen wir uns selbstverständlich auch die Frage gefallen lassen: Wer ergreift denn hier die Initiative für Frau Meier, die nach einer Hüftoperation zu Hause ambulant versorgt werden will? Frau Meier ist 80 Jahre und hat einen Mann gleichen Alters und möchte ganz gern zu Hause gepflegt werden, noch dazu in einer ländlichen Region. Es ist keiner da, weil vorher der ambulante Pflegedienst seine Fachpflegekräfte aufgrund solcher Werbung an Akutkrankenhäuser verloren hat.

Weiterhin nenne ich die junge Frau, 35 Jahre, doppelte Brustamputation wegen einer Krebserkrankung. Sie kann nicht Auto fahren und lebt ebenfalls in einer ländlichen Region: Wer versorgt diese Frau mit Pflege? Ganz ehrlich: Ich möchte keinen Wettstreit zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung haben.

Natürlich verstehe ich es, wenn Krankenhäuser, Verdi und DKG sagen: Jawohl, wir wollen die Pflegepersonalregelung, wir wollen diese Zahlen haben. -Aber noch mal: Ich bitte, bis zum Schluss zu denken und zu gucken, welcher Dominostein denn am Ende umfällt. Dies hier – und es findet täglich statt – ist übrigens nicht das Ergebnis von heute, sondern einer Praxis in der Vergangenheit, nämlich dass seit ein paar Jahren schon aktiv Kopfgeld gezahlt wird.

Wir müssen aufpassen, dass es da nicht eine stationäre Versorgung auf Kosten der ambulanten gibt. Bei allem Respekt: Die Versorgung im Krankenhaus ist immens wichtig; aber wir können nicht den Schritt machen, dass wir in den Bereich Krankenhaus investieren und im ambulanten Bereich die Kräfte verlieren. Sie können draußen niemandem erklären, dass Telefonanrufe für Betroffene so enden: Tut uns leid, wir haben leider keine Pflegekräfte; die sind übrigens gestern ins Krankenhaus gewechselt.

80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden in der ambulanten Pflege versorgt. Wir sind ein ländlich geprägtes Land. Ja, wir haben Ballungszentren, München etc. pp. Aber viele wohnen halt schlichtweg in der ländlichen Region, und da gehört Fahrzeit dazu. Und deshalb müssen wir genau diesen Ansatz fahren, für einen fairen Wettbewerb zu sorgen. Ich frage mal: Wer ist denn der sogenannte Lobbyist? Offensichtlich sind es nicht die Krankenhausgesellschaft, Verdi und Co, die für die ambulante Versorgung von Frau Meier und der Oma eintreten. Hier muss ebenfalls eine gerechte Lösung gefunden werden.

Wir müssen auch weiter dem Umstand Rechnung tragen, dass natürlich Wettbewerb stattfindet. Bestes Beispiel: Die Mutter arbeitet im Krankenhaus, ist dort entsprechend auch gut situiert, kriegt entsprechend TVöD-Gehalt. Die Tochter hat diesen Beruf über die Mutter kennengelernt, übt ihn ebenfalls aus, findet aber nur in der ambulanten Versorgung einen Arbeitsplatz. Wie ist dort die Frage der Rechtfertigung? Beide treffen sich, reden über Ausbildung, reden über Fortbildung, reden über Gehalt. Ich kann verstehen, dass irgendwann die Tochter sagt: Na ja, Schluss, aus – wie soll es hier denn weitergehen?

Ich möchte meinen lieben und von mir geschätzten Kollegen Erwin Rüddel zitieren. Erwin, wir sprachen gestern über Krankenhausfinanzierung. Da hast du gesagt: Ich möchte keinen ruinösen Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern. – Dieses würde ich ganz gern erweitern: Ich möchte keinen ruinösen Wettbewerb zwischen ambulanter und stationärer Versorgung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich verweise weiterhin auf Rudolf Henke. Was ist gesagt worden? Wir haben gestern ebenfalls über das FKG geredet, also über das Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz. Wir reden dort über Wettbewerbsverzerrungen. Wir reden dort ganz gezielt über Punkte, bei denen Krankenkassen uns die Türen einrennen und sagen: Die kriegen mehr, die kriegen weniger, das Risiko ist dort höher, dort weniger hoch. – Lassen Sie uns doch bitte darüber nachdenken, wie wir über diese faire Gestaltung mal grenzüberschreitend diskutieren können, also nicht nur über eine faire Gestaltung zwischen Krankenhäusern, sondern wirklich zwischen den Leistungsanbietern, die im ambulanten und im stationären Bereich arbeiten. Wir müssen irgendwelche Anreize setzen, dass Leute nicht immer nur sagen: „Ich bleibe jetzt im Krankenhaus“ oder „Ich gehe nur ins Krankenhaus“, sondern wir müssen auch wertvolle Anreize monetärer Art setzen, damit Leute sagen: Ich bleibe in der ambulanten Versorgung, ich möchte nicht dieses Kopfgeld kriegen. – Dabei geht es natürlich darum – das wurde gestern auch gesagt –, sozusagen gleich lange Spieße zu setzen.

Ich bin unserem Ministerium dankbar, dass hierüber wirklich die verschiedensten Ansätze diskutiert werden. Sprich: Das Gehör ist dafür offen. Es wurde auch schon mehrfach diskutiert, in welche Richtung wir gehen wollen. Lieber Edgar Franke, ich rede jetzt nicht von einem roten Faden, sondern ich rede von einem Faden, den wir im Rahmen der Arbeit der Großen Koalition durch das Gesundheitssystem ziehen wollen. Darüber gibt es natürlich auch eine entsprechende Diskussion mit den Ländern. Ja, vor dieser Diskussion mit den einzelnen Landesfürsten dürfen wir uns auch nicht scheuen. Na klar ist das immer in der Diskussion: Wie viel investieren wir jetzt in die Infrastruktur der Krankenhäuser?

Ein weiterer Punkt ist – das wird auch getan, dafür bin ich auch dem Minister sehr dankbar – die Anerkennung ausländischer Fachkräfte. Es wurde mehrfach gesagt: Da müssen wir schneller werden, unbürokratischer werden. – Wir müssen auch Anreize setzen und uns um die Anerkennung für die ausländischen Fachkräfte hier kümmern. Motivation für Rückkehrer: Ja, natürlich, lassen Sie uns über Arbeitsstrukturen reden. Arbeitsstrukturen bedingen Entbürokratisierung mit; das wurde bereits gesagt.

Fazit: Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass wir sicherlich ganzheitlich dieses Thema angehen müssen. Es wurden jetzt mehrere Aspekte genannt, und wir wollen ja in die Richtung gehen. Ich glaube wirklich – darüber sind wir uns einig –, dass das die entscheidende Frage ist. Wir müssen jetzt gucken, dass wir zeitnah einen Plan festlegen, nicht morgen und nicht übermorgen. Irgendwelche parteiinternen Streitigkeiten oder parteiexternen Streitigkeiten sollten uns nicht davon abhalten, einen gemeinsamen Weg zu finden.

Ich danke Ihnen, Herr Präsident.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Edgar Franke [SPD])