Skip to main content

Dr. Georg Nüßlein: Wir müssen über den Schutz des medizinischen Personals nachdenken

Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Gesundheit zur Bekämpfung des Coronavirus

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Menschen sind schwer verunsichert. Das liegt in einem gewissen Maß auch an der Dauerbeschallung durch die Medien. Ich will an der Stelle ganz bewusst sagen: Die Medien spielen in dem Zusammenhang eine besondere Rolle. Sie haben eine Verantwortung, zu informieren. Aber sie dürfen dieses Thema, meine Damen und Herren, nicht so überstrapazieren, wie sie es momentan tun. Das verunsichert die Menschen noch mehr.

(Stephan Brandner [AfD]: Sie können ja ein Zensurgesetz machen!)

Meine Damen und Herren, das Misstrauen gegenüber China spielt in dem Zusammenhang auch eine Rolle. Die Menschen sagen uns: Das, was China da an drastischen Maßnahmen macht, hat doch die Wirtschaft gefährdet; das wird schon seinen Grund haben. – Sie sagen: Die Zahlen, die uns da berichtet werden, sind wahrscheinlich gar nicht richtig. – Meine Damen und Herren, das Thema wäre durchaus geeignet, in Deutschland noch mehr Verunsicherung, noch mehr Sorge zu verbreiten. Ich sage Ihnen: Das Einzige, was uns momentan davor bewahrt, ist das immense Vertrauen der Menschen in unser Gesundheitssystem und in die handelnden Personen. Deshalb, meine Damen und Herren, muss man diesen Menschen an der Stelle ganz besonders danken für das, was sie täglich leisten. Das, was Frau Weidel vorhin gesagt hat, ist in letzter Konsequenz eine Herabsetzung der Leistung genau dieser Menschen, die da täglich ihr Bestes geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Alice Weidel [AfD]: Ganz im Gegenteil! Man muss sie schützen!)

– Bei Ihnen heiligt der Zweck die Mittel. Es geht Ihnen darum, aus der Situation politisch Kapital zu schlagen. Das war offenkundig.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Ach! Das stimmt nicht!)

Ich kann Ihnen nur empfehlen: Orientieren Sie sich am Kollegen von der FDP,

(Dr. Alice Weidel [AfD]: 5 Prozent!)

der – Herr Lindner hat es gerade gezeigt – alles sehr sachlich dargestellt hat. Und lassen Sie beim nächsten Mal um Gottes willen Ihre Fachkollegen reden;

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

denn sie haben beim letzten Mal sehr, sehr sachlich die Arbeit der Regierung gelobt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Natürlich ändert sich die Situation; das ist ja klar. Wir alle wissen nicht, was passiert, was kommt. Man muss die Maßnahmen an der Stelle tatsächlich anpassen. Ich glaube, das ist unstrittig. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Mir geht es insbesondere um die Rolle der Arztpraxen. Mir sagen Ärzte nicht nur: „Wir bekommen kaum noch Masken“, sondern sie sagen auch: Wenn es mehr Fälle geben sollte, dann hängen wir Plakate an die Türen, auf denen steht: Wer glaubt, Corona zu haben, bitte läuten. Und was passiert? Genau das nicht. Die werden ganz normal in die Praxis reingehen, sich ins Wartezimmer setzen und erst, wenn sie bis zum Arzt, bis zur Ärztin vorgedrungen sind, sagen: Ich glaube, ich habe Corona. – Dann wird ein Rachenabstrich gemacht. Und wenn sich dann herausstellt, dass der Patient recht hatte, haben wir ein zusätzliches Problem. Dann ist die Frage: Kann man die Arztpraxis offen halten, oder muss man sie nicht 14 Tage oder vier Wochen schließen? Deshalb müssen wir, Herr Bundesgesundheitsminister, wenn es mehr Fälle werden, darüber nachdenken, ob nicht die Gesundheitsämter die Durchführung der Tests übernehmen sollten.

Ich glaube, dass wir in der jetzigen Situation über den Schutz unseres medizinischen Personals nachdenken müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie sind nicht nur besonders gefährdet, sondern sie haben auch eine besondere Verantwortung, sie spielen eine besondere Rolle. Ich kann mir deshalb nicht vorstellen, dass es Sinn macht, einen Bundespflegetag abzuhalten, sich konzentriert zu versammeln und somit das Risiko einzugehen, dass tausend Pflegekräfte ausfallen. Ich glaube, dass die Durchführung vieler solcher zentralen Veranstaltungen und Fortbildungsmaßnahmen in der jetzigen Situation hinterfragt werden müssen.

Meine Damen und Herren, eine Krise ist immer auch ein Wendepunkt. Das gilt auch beim Thema Corona. Ich stelle fest, dass das Thema „persönliche Hygiene“ – der Bundesgesundheitsminister hat es angesprochen – bei den Menschen mittlerweile eine andere Rolle spielt. Ich würde mir wünschen, dass das Thema „Besucherhygiene“ in den Krankenhäusern in Zukunft eine andere, eine neue Rolle spielt. Es gibt zwar in jedem Krankenhaus etwas, wo man sich die Hände desinfizieren kann, aber es gibt keine Schleusen für die Besucher. Man sollte darüber nachdenken – nicht nur wegen Corona, sondern grundsätzlich –, so was auszubauen.

Kollege Lindner hat das Thema Wirtschaft sehr umfassend diskutiert. Es besteht in der Tat das Risiko, dass sich unsere Wirtschaft schneller infiziert als die Menschen. Das muss man im Blick haben. Wir tun das. Auch in diesem Zusammenhang hat der Bundesgesundheitsminister einen besonderen Wendepunkt markiert. Es geht insbesondere um die Frage: Woher kommen die Grundstoffe für unsere Medikamente? Diese Frage treibt mich um. Wenn wir von China, Indien und ein paar südostasiatischen Staaten abhängig sind, dann ist das ein Problem, das wir viel zu lange nicht im Blick gehabt haben und jetzt wirklich in den Fokus nehmen müssen.

(Kersten Steinke [DIE LINKE]: Ganz schön billig, Herr Nüßlein!)

Die Verlagerung erfolgte im Übrigen nicht allein aus rein ökonomischen Gesichtspunkten, sondern auch, weil die Umwelt vor Ort entsprechend belastet werden kann. Wenn Sie sich vorstellen, dass jeden Tag 12 Milliarden Liter Abwasser in den Ganges laufen, 53 Prozent davon unbehandelt – in China ist es ähnlich –, dann haben die Kostenvorteile, von denen wir profitieren, auch etwas mit der Umwelt zu tun, und das dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen wieder Unabhängigkeit herstellen. Wir müssen uns auf europäischer Ebene anders aufstellen. Auch das muss eine Lehre aus dem Thema Corona sein.

Das, was der Bundesgesundheitsminister heute beschrieben hat, und das, was von einem Krisenstab zwischen Innenminister und Gesundheitsminister erarbeitet wurde, hilft uns tatsächlich, das Thema Corona im Griff zu behalten. Aber wir alle wissen, dass nicht zu beschreiben ist, was vor uns liegt. Deshalb ist es wichtig, dass die Politik auf Sicht die richtigen Maßnahmen ergreift und alles dafür tut, dass keine Panik entsteht. Die AfD hat – ich sehe es an Ihrem Kopfschütteln – offenkundig ein anderes Interesse.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])