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Dr. Georg Nüßlein: "Sicherheit in einer unsicheren Situation anbieten"

Rede zum Impfbeginn in Deutschland und in Europa

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr Spangenberg, ich habe mir fest vorgenommen: Sie können mich heute mal nicht aufregen.

(Heiterkeit der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Das ist immer derselbe wirre Vortrag. Die Menschen in diesem Land sind ohnehin schon genug verunsichert.

(Zuruf von der AfD: Ja, durch Sie!)

Es ist unsere vornehmste Aufgabe, Sicherheit in einer unsicheren Situation anzubieten. Das ist – das merkt man an diesem Widerspruch in sich – eine ganz schwer erfüllbare Aufgabe. Das geht aber gar nicht, meine Damen und Herren, wenn Teile der Politik zu früh und zur Unzeit in den Wahlkampfmodus wechseln.

Ich will das an der Stelle nicht vertiefen, obwohl auch ich eine innere Neigung habe, das zu tun; das gebe ich ganz offen zu. Nur so viel, meine Damen und Herren: Wer als Regierungsmitglied einem Ministerkollegen einen Fragebogen schickt, dokumentiert entweder mangelnden Überblick oder eine innere Pilatushaltung. Es geht hier eben nicht darum, die Hände in Unschuld zu waschen: weder für Minister noch, liebe Bärbel Bas, für stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Auch als Parlamentarischer Geschäftsführer, Herr Schneider, tut man sich an der Stelle denkbar schwer; denn natürlich sind wir alle miteinander in der Großen Koalition an dieser Stelle mitverantwortlich, was hier läuft. Und wenn Sie sich vertieft in diese Diskussion einbringen wollen, dann rate ich, das wirklich konstruktiv zu tun und nicht durch öffentlich gemachte Fragebögen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Spaltung in der Gesellschaft geht für mich an die Grenze des Erträglichen. Es muss hier jeder überlegen, welchen Beitrag er an der Stelle leisten möchte. Impfen ist da ein ganz kritischer Punkt, sage ich Ihnen ganz ehrlich. Viele Redner haben das vorhin qualifiziert als Licht am Ende des Tunnels, und deshalb muss man mit diesem Licht auch sinnvoll umgehen. Man muss sich schon mal fragen, warum wir uns nicht darüber freuen konnten, dass die Zulassung so früh gekommen ist. Da geht dann sofort wieder das Aber los.

Wir haben hier miteinander eine Priorisierung diskutiert, wer zuerst drankommt. Es kann doch keiner sagen, dass er angesichts dieser Diskussion nicht gewusst hat, dass der Impfstoff zumindest am Anfang knapp ist. Bei der ganzen Diskussion, meine Damen und Herren, geht der Respekt für die Leute, die jetzt das Impfen organisieren und durchführen, aus meiner Sicht unter. Das finde ich extrem bedauerlich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Christian Lindner hat recht, dass es wichtig ist, dass wir Biotechnologien und auch die Gentechnik nicht einer allgegenwärtigen Technikskepsis in diesem Land geopfert haben. Vielleicht sollten wir nach der Pandemie noch ein bisschen intensiver über solche Themen nachdenken.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Tino Sorge [CDU/CSU] – Christian Lindner [FDP]: Richtig!)

Nur wenn ich dann in der gleichen Debatte höre, dass die Linke fordert, den Patentschutz aufzuheben, dann frage ich mich, wie man in Zukunft Innovationsanreize setzen will.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Es ist eine Ausnahmesituation, in der wir sind! Ist doch absurd!)

Das ist etwas, was für mich überhaupt nicht zusammenpasst.

Zu der Diskussion über die Beschaffung sage ich Ihnen ganz offen: Ich bin nun kein bekennender Fan der europäischen Bürokratie, das wissen viele hier. Aber eines muss man schon anerkennen: Europa hat an der Stelle richtig mitfinanziert, die Weichen richtig gemeinsam gestellt. Wir alle miteinander haben ein klares Interesse an offenen Grenzen. Deshalb ist es richtig, europäisch vorzugehen. Nationale Alleingänge, nationale Egoismen haben Deutschland noch nie weitergebracht. Noch nie!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn man weiß, dass Produktionskapazitäten der Engpass sind, kann man doch nicht sagen: Da muss man nur mit mehr Geld reingehen und mehr bieten. – Das führt doch auch nur dazu, dass im Wettbewerb die Preise steigen, und es wird nicht dazu führen, dass am Schluss Europa sinnvoll besser versorgt ist.

Was das Thema Impfbereitschaft angeht, so stelle ich fest, dass sie unterschiedlich ausgeprägt ist, was jetzt anfänglich bei knappen Impfdosen durchaus nicht problematisch ist. Aber ich appelliere schon leidenschaftlich gerade an die Leute aus dem Pflegebereich, aus dem ärztlichen und medizinischen Umfeld, sich impfen zu lassen. Das gebietet die Verantwortung gegenüber vulnerablen Patienten, aber auch die Solidarität gegenüber den Kollegen; denn derjenige, der nicht geimpft ist, fällt dann irgendwann aus. Ich glaube, dass das in dieser Gruppe verstanden wird, dass man dafür Aufklärung und Überzeugungsarbeit einsetzen kann. Und es bleibt dabei: Es wird in diesem Land niemand über eine gesetzliche Impfpflicht gezwungen. Niemand!

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das Herrn Söder!)

Aber es wäre nicht Deutschland, sage ich Ihnen ganz offen, wenn wir nicht von Anfang an – die AfD hat es gerade wieder versucht –, schon vor der ersten Spritze, die Diskussion führen würden, ob der Geimpfte Privilegien haben soll – das wäre nicht Deutschland. Natürlich hat der Geimpfte ein Privileg zuallererst, nämlich dass er einen entsprechenden Impfschutz genießt, einen gesundheitlichen Vorteil.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Den wollen wir ja erreichen, den wollen wir nicht verhindern, und wir wollen dafür Sorge tragen, dass durch viel Impfen es möglichst schnell kein Privileg mehr ist.

Dann ist die Frage, ob man auch Grundrechte von Immunisierten einschränken darf, zum Beispiel in Form von Verdachtsquarantäne. Diese Diskussion kann man in Form von juristischen Seminaren führen, meine Damen und Herren. Aber Fakt ist natürlich, dass wir dahin kommen müssen, dass wir alle miteinander zügig und schnell geimpft werden.

Ich meine, wir sollten die Zeit jetzt nutzen, trotz Mutation und trotz Risiken noch etwas zielgenauer mit den Restriktionen umzugehen. Natürlich stimmt auch das, was hier gesagt wurde: Auf lange Sicht werden wir einen Lockdown nach dem anderen finanziell nicht durchhalten. – Und deshalb muss man in der Phase sehr genau analysieren, was etwas gebracht hat und wie man sich dann auch auf die wichtigen und richtigen Mittel konzentriert. Denn eines steht fest: Der Virus braucht den Kontakt der Menschen untereinander. Aber, meine Damen und Herren, die Menschen brauchen diesen Kontakt untereinander eben auch.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)