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Dr. Georg Nüßlein: Die Überakademisierung, die wir allenthalben erleben, ist keine Lösung

Haushaltsgesetz 2018 - Bundesministerium für Gesundheit

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Was ein AOK-Führerscheintraining mit Gesundheit und Krankenkasse zu tun hat, kann man sich vielleicht noch grob vorstellen. Was ein Volkshochschulkurs „Tai-Chi-Chuan und Stockkampf“ mit Gesundheitspolitik oder Gesundheit im Allgemeinen zu tun hat, kann ich mir schon nicht mehr vorstellen.

(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie keine Ahnung haben! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie sich mal angucken vor Ort! Das hätte Herrn Seehofer gut getan!)

Die AOK Baden-Württemberg bietet das allerdings an. Vielleicht ist Tai-Chi-Chuan eine logopädische Übung für Baden-Württemberger und Bayern. Das mag ja sein. Aber wenn es dann weitergeht mit einem AOK-PLUS-Seminar „Hilfe, mein Kind ist in der Pubertät“, dann wird’s komisch.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt doch von der CSU!)

Warum sage ich das? Weil diese Marketingmaßnahmen einiger Krankenkassen ein dringender Hinweis darauf sind, dass sich die Finanzreserven in zu hohem Maße akkumuliert haben und dass sie deshalb sinnvoll reduziert werden müssen.

(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ihr habt sie in den Wettbewerb geschickt!)

– Was schreien Sie denn so? Sie sind ja ganz nervös. –

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist Kommunikation! Dialog!)

Wir werden das tun in einem GKV-Versichertenentlastungsgesetz und bei der Gelegenheit – das ist an die FDP gerichtet – die Parität der Beiträge wieder herbeiführen. Jedes Thema hat seine Zeit; jede Zeit hat ihr Thema. Wir werden bei dieser Gelegenheit dafür sorgen, dass wir die Beitragszahler um 8 Milliarden Euro entlasten. An der Stelle habe ich das Lob der FDP vermisst.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karsten Klein [FDP]: Ja! Weil Sie belasten!)

Wir werden bei dieser Gelegenheit auch gleich die Reform des Risikostrukturausgleichs in den Blick nehmen; denn die heterogene Finanzlage der Kassen muss man erst mal analysieren und klären, bevor man sich um die Finanzreserven kümmert.

Und wir werden im Blick behalten, dass uns noch eine ganze Menge an kostenwirksamen Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag ins Haus steht. Ich sage das ganz deutlich: Da geht es in erster Linie auch und gerade um die Gesundheitsberufe. An die Linken adressiert: Dazu braucht man keinen Klassenkampf. Wir haben das selber sauber identifiziert. Wir werden uns um die Hebammen, die Physiotherapeuten, die Pflegekräfte und um andere sinnvoll kümmern, sodass diese Berufe nicht nur ideell anerkannt, sondern auch materiell besser gestellt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was die Reform des DRG-Systems angeht: Ich bin ja immer minderbegeistert über linkes Lob. Aber wenn ich noch mal darüber nachdenke, merke ich, dass der Vorschlag nicht von Ihnen kam. Vielmehr haben CDU und CSU ihn gemeinsam eingebracht, und die SPD hat seinerzeit in den Koalitionsverhandlungen gesagt: Das ist toll. Das hätten wir uns gar nicht zu sagen getraut. Wir wollen das auch. – Deshalb haben wir am Schluss gemeinsam beschlossen, dass wir den Weg gehen, die Kosten für die Pflegekräfte aus den DRGs und damit aus dem Kosten- und Wettbewerbsdruck herauszunehmen. So können wir sagen: Das ist in Zukunft nicht mehr der Steinbruch in Krankenhäusern, über den Gewinne erzielt werden können. – Ich glaube, auch das ist ein richtiger und wichtiger Schritt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wer bei diesem Schritt eine Teilselbstkostenfinanzierung und überbordende Kosten fürchtet, dem muss ich leider sagen: Das Limit sind die Pflegekräfte, die es am Markt überhaupt gibt. Es gibt nicht unendlich viele Leute, die man mit diesen Mitteln einstellen kann. Das ist die Begrenzung.

(Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kann man was tun!)

Da Sie sich jetzt hier so lautstark äußern, sage ich zu dem, was Sie gerade zum Thema Ausbildung geäußert haben: Die Überakademisierung, die wir allenthalben erleben, ist keine Lösung, sondern vielfach ein Problem.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie ist ein Problem, das zum Fachkräftemangel in diesem Land führt und ihn nicht abbaut. Überakademisierung bzw. Akademisierung von Berufen, die man bisher sinnvollerweise in der dualen Ausbildung erlernt hat, führt ins krasse Gegenteil, nämlich zum Fachkräftemangel.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD])

Deshalb ist das aus meiner Sicht nicht der Weg, den wir gehen sollten.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll denn die Polemik?)

Wir haben uns auch alle Mühe mit dem gegeben, was wir im Bereich der Pflegeausbildung gemacht haben,

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Mühe allein reicht nicht!)

und dafür Sorge getragen, dass beispielsweise in der Altenpflege die rund 40 Prozent Hauptschüler, die diesen Beruf mit viel Empathie und großem Erfolg ergreifen, auch in Zukunft die Chance haben, diesen qualifizierten Beruf zu erlernen. Wenn wir Ihren Weg gegangen wären, dann wären das weniger geworden, und das wäre der falsche Ansatz gewesen, meine Damen und Herren. Das geht aus meiner Sicht so nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Einige von Ihnen machen sich Sorgen um die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. Ich sage Ihnen: Das tue ich auch. Das Thema „ambulante Notfallversorgung“ ist adressiert. Das ist etwas, was wir in der Tat lösen müssen. Dabei wird es auch um die Frage der Zusammenarbeit von ambulanter und stationärer Versorgung im Bereich der Ärzteschaft gehen. Das Krankenhaus der Zukunft wird sich nicht alleine über die Bettenanzahl beschreiben lassen.

Mir macht aber noch viel mehr Sorgen, was der G-BA im stationären Bereich beschlossen hat. Wenn es nämlich bei der Finanzierung darum geht, den einen, die die Notfallversorgung übernehmen, Zuschläge zu geben, und den anderen Abschläge zu bescheren, bedeutet das, dass wenige die Zuschläge von vielen finanzieren sollen. Das kann aus meiner Sicht zu Schwierigkeiten führen, die ich nicht will.

Wenn man über dieses Thema in seiner Gesamtheit redet, muss man die Hausärzte im Blick haben. Sie müssen eine stärkere Rolle, eine Lotsenfunktion haben. Deshalb haben wir auch vereinbart, meine Damen und Herren, dass wir Zulassungssperren in Zukunft nur noch in den großen Städten wollen. In den ländlichen Bereichen muss sich jeder ohne Beschränkung niederlassen können. Denn es führt zu Versorgungslücken, –

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):

– wenn ältere Ärzte dankenswerterweise länger Dienst tun, dann aber plötzlich aufhören und sich vorher im Umfeld keiner niederlassen konnte. Das ist ein falscher Ansatz.

Deshalb will ich damit zum Abschluss deutlich machen,

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bayern wieder!)

dass wir viele gute Themen im Koalitionsvertrag adressiert haben. Wir werden diese jetzt sukzessive und geradlinig mit dem Minister umsetzen.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)