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Christian Schmidt: Der Mensch hat das Recht, über seinen Körper auch für den Fall seines Todes frei zu bestimmen

Rede in der Debatte zu Organspenden

Für viele Menschen in unserem Land geht die Hoffnung auf eine lebensrettende Spende eines Organs aus dem Körper eines anderen Menschen nicht in Erfüllung. Es geht um Menschenleben, Familienschicksale, jahrelanges Leiden und Hoffen. Das muss sich ändern.

Wo sind die Ursachen? Gibt es zu wenige Menschen, die im Falle ihres Todes freiwillig ein Stück von sich weitergeben? Oder liegt es an mangelhafter Organisation, Koordination und sächlicher und personeller Investition?

Es wird häufig angeführt, dass die Spenderzahlen in Ländern mit einer Widerspruchslösung drastisch gestiegen seien. Diese Behauptung ist allerdings einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zufolge nicht belastbar. Exemplarisch kann hier Schweden angeführt werden, wo nach einer Umstellung von der Zustimmungs- zur Widerspruchslösung die Organspendezahlen nicht gestiegen sind.

Dort, wo die Zahlen gestiegen sind – wie in Spanien –, gibt es eine national, regional und lokal eng abgestimmte strukturierte Organisation. Hier sind die Spenderzahlen von 1 546 Spendern im Jahr 2005 auf 2 183 im Jahr 2017 gestiegen, zwar eine Erhöhung, aber auch hier keine „drastische“.

Zuallererst liegt es nach den uns vorliegenden Informationen tatsächlich nicht an fehlender Spendenbereitschaft, sondern an deren Nutzung im konkreten Fall.

Deswegen danke ich der Bundesregierung und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für die Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende, der genau an diesem Mangel ansetzt. Wir werden im Deutschen Bundestag ausführlich – ich hoffe, auch zügig – beraten und beschließen.

Hinsichtlich der heute von uns debattierten Frage, ob und wie man die Zahl der Spendebereiten noch erhöhen könnte, bin ich auf der Seite derer, die im Verständnis von Personalität und Individualität dem einzelnen Menschen die Entscheidung allerdings nicht abnehmen wollen oder, deutlicher gesagt, nicht sehen, dass dies erstrebenswert oder rechtssicher möglich ist.

Faktisch ist es zudem nicht eindeutig, wie sozusagen ein Optimum an gespendeten Organen zu erreichen ist.

In den USA gibt es die Zustimmungslösung. Hier sind die Zahlen vergleichsweise höher als in Deutschland. Also ist festzustellen, dass erstens die Widerspruchslösung keine automatischen Steigerungen bringt, wie oft behauptet wird, und zweitens auch im Rahmen der Zustimmungslösung Steigerungen möglich und realistisch sind.

Es ist also nicht erforderlich, einen Wechsel einzuleiten, der rechtlich und ethisch problematisch ist. Auch mit der „Widerspruchslösung“ bestehen Fragen, die in der konkreten Situation schwierig zu entscheiden sind.

Der Mensch hat das Recht, über seinen Körper auch für den Fall seines Todes frei zu bestimmen. Das ist Teil seiner menschlichen Würde, so wie sie sich aus dem christlichen Wertekanon ableitet. Eine Widerspruchslösung würde ihn in Zugzwang setzen, dieses Recht nur durch aktives Tun, einen Widerspruch, zu behalten. Das Recht ist aber nicht staatlich verfügbar. Mancher mag sich eingeengt fühlen, einer vermeintlichen grundsätzlichen gesellschaftlichen Verpflichtung nachzukommen, und nicht wagen, aktiv zu widersprechen. Andere mögen es versäumen, rechtzeitig tätig zu werden. Wieder andere könnten persönlich überfordert sein, die Tragweite einer Nichtentscheidung zu überblicken. Es muss auch das Recht auf Nichtentscheiden aus persönlichen, religiösen oder aus anderen Gründen erhalten bleiben.

Auch wenn es ethisch erstrebenswert ist, anderen Menschen durch Organspenden zu helfen, so besteht doch keine ethische Verpflichtung, die über dem Recht zur Selbstbestimmung steht.

Also, was ist zu tun?

Wir müssen uns alle um geeignete Instrumente bemühen, um die Zahl der Organspenden signifikant zu erhöhen, denn hierauf kommt es an.

Der richtige Lösungsansatz ist die Optimierung der Prozesse der Organspende.

Es muss eine sehr kritische Bestandsaufnahme stattfinden, ob die Menschen über das Thema Organspende ausreichend informiert sind. Vorurteile aufgrund von kriminellen, zumindest ethisch fragwürdigen Machenschaften bei der Organvergabe in der Vergangenheit müssen durch Aufklärung über die heutigen Kontroll- und Vergabemethoden abgebaut werden.

Wie eine Studie des Uniklinikums Schleswig-Holstein ergeben hat, liegt der Rückgang der Organspendezahlen an den organisatorischen Abläufen in den Kliniken und nicht an der fehlenden Organspendebereitschaft. Diese liegt in Deutschland aktuell sogar bei 80 Prozent. Das bestätigen auch die Deutsche Stiftung Organtransplantation und die Deutsche Krankenhausgesellschaft.

Die oben genannte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der Rückgang der postmortalen Organspenden eng mit einem Erkennungs- und Meldedefizit in Zusammenhang zu bringen ist. So unterscheiden sich die Zahlen der theoretisch realisierbaren Organspenden aufgrund einer bundesweiten Analyse verschiedener Universitätskliniken und anderer Krankenhäuser teilweise erheblich. Die Anzahl der möglichen Organspender nahm im Zeitraum 2010 bis 2015 in den Universitätskliniken um 19,2 Prozent zu. Die realisierten Organspenden haben aber um 30,5 Prozent abgenommen.

Ein Punkt mag die Position des Transplantationsbeauftragten sein. Diese sind mit zunehmender Arbeitsverdichtung auf Intensivstationen und dem ökonomischen Druck der Krankenhäuser konfrontiert. Sie sollten in Krankenhäusern ab einer gewissen Größe von Routineaufgaben freigestellt werden. Hier ist die Freistellungsregelung Bayerns hervorzuheben, die einfach und transparent ist und als Beispiel dienen könnte.

Auch die Finanzierung der Organentnahme sollte durch eine deutliche Erhöhung der Fallpauschalen gestärkt werden. Derzeit ist eine Organentnahme defizitär für die Entnahmekrankenhäuser.

Weitere Punkte sind unter anderem die Auswertung von DSO-Statistiken (Deutsche Stiftung Organtransplantation) zur Verbesserung von Prozessen und die Bildung von Organspendebetreuungsteams, um die gesetzlichen Anforderungen an die Feststellung des irreversiblen Hirntodes zu erfüllen. Hier müssen zwei verschiedene Ärzte binnen 12 Stunden, darunter ein Neurologe oder Facharzt für Neurochirurgie, vor Ort sein. Hier könnte man die Situation vor allem bei kleineren Krankenhäusern durch mobile Teams verbessern.

Zusätzlich zu einer Verbesserung der organisatorischen Maßnahmen halte ich die „verbindliche Entscheidungslösung“ für sinnvoll. Danach sollten alle Bürgerinnen und Bürger zu einer einheitlichen, sich wiederholenden Gelegenheit – wie bei der Ausstellung eines neuen Personalausweises, des Führerscheins oder einer neuen Gesundheitskarte – befragt werden, ob sie Organspender sein möchte. Das könnte dann in ein entsprechendes Sonderregister eingetragen werden und wäre auch wieder abänderbar. Und dabei kann auf Wunsch auch eine individuelle ethische und rechtliche Beratung stattfinden. Wer seine letzten Dinge ordnet, sollte sich auch zur Organspende geäußert haben.

Die genannten Maßnahmen sind nach meiner Auffassung erfolgversprechender, als einen Zwang auf jedermann auszuüben. Ich zweifle sehr daran, dass die staatliche Verfügungsanordnung über den eigenen Körper unseren Verfassungsprinzipien der individuellen Selbstbestimmung entspräche.

Unsere Bemühungen müssen deutlich verstärkt werden. Alle die, die sich kümmern müssen, brauchen noch mehr staatliche, rechtliche und finanzielle Unterstützung. In unserer medialen und kommunikativen Welt muss es doch möglich sein, dem Thema „Organspende“ eine breite politische und gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen – mehr, als uns das bisher gelungen ist.

Lassen Sie mich festhalten: Es gibt keinen Nachweis, dass sich mit der „Widerspruchslösung“ die Spendenbereitschaft in Deutschland signifikant erhöhen würde. Eine solche Regelung würde aber massiv in die Freiheit und in die Rechte der Menschen eingreifen, was viele Menschen auch vor ein persönliches Dilemma stellen würde und rechtlich und ethisch problematisch ist. Deswegen müssen wir die freiwillige Entscheidung noch sehr viel mehr befördern und sie dann auch umsetzen.

Der Ideenwettbewerb ist eröffnet. Alle, auch die Zivilgesellschaft, müssen bei der großen Aufgabe mithelfen.