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Andrea Lindholz: Das Kind hat einen Anspruch auf Umgang mit beiden Elternteilen

Rede zum familienrechtlichen Wechselmodell als Regelfall

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen Antrag, mit dem die FDP das familienrechtliche Wechselmodell, also die hälftige Betreuung der Kinder, zum Beispiel nach der Trennung als Regelfall einführen möchte.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Als Fachanwältin für Familienrecht habe ich viele Jahre in diesem Bereich gearbeitet und vieles erlebt. Es ist ein Rechtsgebiet, das wie kaum ein anderes von menschlichen Schicksalen begleitet ist und das von allen Beteiligten, auch den Richtern, Anwälten und Mitarbeitern beim Jugendamt, ein hohes Maß an sozialer Kompetenz und an Mediationsfähigkeit fordert. Ich bin deshalb froh, dass wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, dass wir die Fortbildung von Richterinnen und Richtern im Bereich des Familienrechts gemeinsam mit den Ländern stärken wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

CDU und CSU unterstützen es sehr, wenn Väter und Mütter auch nach einer Trennung ihre Kinder gemeinsam betreuen. Das ist heute zum Glück immer öfter die Regel, und das ist ein wichtiger gesellschaftlicher Fortschritt. Selbstverständlich sind beide Elternteile, Vater und Mutter, gleichermaßen in der Lage, ihre Kinder zu erziehen und zu betreuen. Das Gesetz sieht die gemeinsame elterliche Sorge auch als Regelfall vor. Auch das Umgangsrecht ist geregelt als Recht und Pflicht beider Eltern. Das Kind hat einen Anspruch auf Umgang mit beiden Elternteilen; zum Glück können sich viele Eltern in Trennungssituationen einigen. Das Wechselmodell kann gerichtlich angeordnet werden, ebenso wie erweiterte Umgangsregelungen. Es kann sogar gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden. Deshalb ist eine gesetzliche Klarstellung zwar nicht notwendig, aber eben auch nicht schädlich. Auch im Koalitionsvertrag steht ein Satz zu diesem Punkt.

Jede Form der Umgangsvereinbarung muss sich aber zuerst nach dem Kindeswohl, dann nach den Interessen der Eltern und erst ganz zum Schluss nach finanziellen Erwägungen ausrichten. Ich kenne verschiedenste Fälle, in denen die exakt hälftige Betreuung gerade nicht funktioniert. Ich will die jeweiligen Gründe gar nicht bewerten; das können räumlich-technische Gründe sein. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ist es nicht zielführend, das von Ihnen geforderte Wechselmodell bei Trennung ohne Elternkonsens – so steht es in Ihrem Antrag – als Regelfall zu verankern; denn im Fall des Konsenses haben wir gar kein Problem mit unserem Gesetz.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn sich Eltern nicht über das Umgangsrecht einigen können – genau darüber reden wir hier –, dann müssen eben zunächst Aspekte des Kindeswohls wie Alter des Kindes, Wille des Kindes, Bindung an die Eltern, die bisherigen Abläufe, neue Strukturen, Kooperationsfähigkeit der Eltern und vieles mehr geprüft werden. Wenn man Ihrem Antrag folgte, hätten Eltern auch Anspruch darauf, ein vier Monate altes Kind von Anfang an hälftig zu betreuen, selbst wenn sie noch nicht einmal zusammengelebt haben.

Ihr Antrag lässt verdammt viele Fragen offen. Er ist auch nicht geeignet, Streitpotenzial zu vermeiden. Im Gegenteil: Er ist sehr stark von Geldfragen geprägt. Bei einer Ehe, in der gleichberechtigt die Möglichkeit gegeben war, seinem Beruf nachzugehen, haben wir auch heute im Unterhaltsrecht kein Problem. Aber wenn Frauen – es können auch Männer sein – zurückstehen und weniger arbeiten, dann haben wir die Probleme, auch wenn wir die von Ihnen geforderten Änderungen vornehmen würden.

Ich will noch einen letzten Punkt zum Unterhalt ansprechen und nehme als Beispiel den schönen Begriff „erweitertes Umgangsrecht“. In diesen Fällen – das glaube ich auch – gibt es tatsächlich unterhaltsrechtlichen Regelungsbedarf. Da ist noch zu vieles zu unklar geregelt. Deswegen haben wir gemeinsam mit der SPD vereinbart, dass wir uns die Unterhaltsregelungen nochmals anschauen; das ist auch gut so. Letztlich sollten wir eines machen: Wir sollten dafür sorgen, dass in den Beratungen vor Ort den Eltern Mut gemacht wird, ihre Kinder gemeinsam zu betreuen und vielleicht auch neue und unkonventionelle Wege zu gehen. Das ist der richtige Schritt, nicht die gesetzliche Verankerung des Wechselmodells per se im Gesetz.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)